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Bioresponsive Arzneifreigabesysteme

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26.04.2017  09:44 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi, Bonn / Ein Arzneistoff soll idealerweise nur am Zielort wirken. An solchen bioresponsiven Arzneistofffreigabesystemen, die ihre Zielstruktur erkennen und nur dort aktiv werden, arbeiten Forscher weltweit. Dabei sind solche Systeme kein Zukunftsszenario mehr. Einzelne Präparate sind bereits auf dem Markt.

»Mit Substanzen, die nur am Zielort wirken, können systemische Nebenwirkungen vermieden werden«, berichtete Professor Dr. Lorenz Meinel von der Universität Würzburg auf dem Fort­bildungskongress Interpharm in Bonn. 

 

Der Technologe gab dort einen Einblick in das Forschungsgebiet der bioresponsiven Arzneifreigabesysteme. Als Vorbild diene dabei auch die Natur, wie der Pharmazeut am Beispiel des Transformierenden Wachstumsfaktor-beta (TGF-β) zeigte. Dieser liegt gebunden an das Protein LAP vor, das wiederum an eine Art Ankermolekül gekoppelt ist. Der Anker bindet an die Zielstruktur, an der der Komplex über Monate ruhen kann. Eine Wirkung tritt erst ein, wenn LAP durch Proteasen gespalten und TGF-b freigesetzt wird.

 

Dieses Bauprinzip versucht das Team um Meinel nachzuempfinden: Es entwickelt Systeme, bei denen derWirkstoff über eine spaltbare Peptidbrücke (Linker) an einen Konjugationspartner gebunden ist. Der Wirkstoff wird frei, wenn der Linker über spezifische Proteasen gespalten wird. »Je nach Zielort muss der Linker für spezifische in diesem Gewebe vorhandene Enzyme empfindlich sein«, erklärte Meinel. Solche Systeme wären nicht nur zur »targeted therapy«, sondern auch zur Behandlung von schubförmigen Erkrankungen geeignet, bei denen sich der Wirkstoff am Zielort anreichert, aber erst aktiv wird, wenn im Schub physiologische Veränderungen eintreten.

 

Einzelne Wirkstoffe nach diesem Bauprinzip sind in Form von Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten bereits auf dem Markt, berichtete Meinel. Diese bestehen aus einem gegen die Zielstruktur gerichteten Antikörper, der über einen Linker mit einem Zytostatikum verbunden ist. Das Antikörper-Wirkstoff- Konjugat Brentuximab Vedotin kam 2012 auf den deutschen Markt, 2014 folgte Trastuzumab Emtansin. Erst kürzlich erhielt mit Inotuzumab Ozo­gamicin ein drittes Konjugat eine Zulassungsempfehlung (lesen Sie dazu Seite 19). Diese Produkte hätten aber die Unsicherheit, dass durch den Herstellungsprozess ein Antikörper unterschiedlich viele Wirkstoffmoleküle tragen könne. Das versucht das Team um Meinel mit gezieltem Wirkstoffdesign zu vermeiden. Mithilfe eines gentechnologischen Tricks bauen die Forscher an bestimmten Stellen des Proteins eine unnatürliche Aminosäure ein, an die dann der Linker geknüpft wird.

 

Interleukin-4 gezielt steuern

 

Angewandt haben die Würzburger Forscher diese Methode bereits bei einem bioresponsiven Freigabesystems für Interleukin-4 (IL-4). Dieses Zytokin steuert unter anderem die Differenzierung von Makrophagen, seine systemische Anwendung wird allerdings durch die Dosis-limitierende Toxizität begrenzt. 

Die Wissenschaftler entwickelten daher eine mit IL-4 besetzte Oberfläche, die zum Beispiel für antiinflammatorische Wundauflagen genutzt werden kann (»ChemBioChem« 2016, DOI: 10.1002/cbic.201600480). Dabei designten sie den Wirkstoff so, dass die Bindestelle für den Linker weit entfernt von der Rezeptorbindestelle lag, sodass der auf der Oberfläche fixierte Wirkstoff dauerhaft aktiv war.

 

Eine nicht dauerhafte, sondern gezielte Aktivierung am Wirkort will man dagegen bei der systemischen Applikation von IL-4 erreichen. Hierfür wird das Zytokin über einen Linker so auf einem Polymer-Nanopartikel fixiert, dass die Rezeptorbindungsstelle verborgen ist. Sie wird erst zugänglich, wenn Proteasen im Zielgewebe den Linker spalten und das Zytokin freisetzen.

 

Ein mögliches Einsatzgebiet für bioresponsive Arzneifreigabesysteme sind auch Antibiotika. Denn bei einer Therapie befinden sich zwar große Mengen des Wirkstoffs im Körper, die Konzentration am Wirkort ist jedoch nicht ausreichend hoch. Das fördere die Resistenzbildung, so Meinel. »Es wäre von erheblichem Vorteil, wenn der Wirkstoff seinen Wirkort gezielt finden könnte.« Ein entsprechendes System beschrieb der pharmazeutische Technologe für das atypische Tetracyclin Chelocardin. Um es in mit Staphylococcus aureus infiziertem Gewebe anzureichern, wird der Wirkstoff über eine Peptidkette an einem Polymer-Partikel befestigt. Dabei ist die Peptidkette so gewählt, dass sie nur von dem bakteriellen Enzym Aureolysin gespalten wird, das von Staphylococcus aureus produziert und freigesetzt wird. Die Aktivierung erfolgt somit nur in befallenem Gewebe, da nur hier das Enzym vorliegt.

 

Diagnostika zum Kauen

 

Dasselbe Prinzip lässt sich auch zu einem Diagnostikum umwandeln, berichtete Meinel. Auf die Idee brachte seine Arbeitsgruppe die Anfrage eines Zahnimplantat-Herstellers, der einen Nachweis von bakteriellen Infektionen an Implantaten benötigte. Die Forscher entwickelten daraufhin einen Kaugummi, der ein entsprechendes Freigabesystem, allerdings dieses Mal für einen Geschmackstoff, enthält. Dieser ist wiederum über einen spaltbaren Linker an einem Polymer befestigt. Sind die zu diagnostizierenden Bakterien im Mundraum vorhanden, setzen sie spezielle Proteasen frei, die den Linker spalten und den Geschmacksstoff freisetzen. Die Infektion kann somit geschmeckt werden.

 

Entsprechende Diagnostik-Kaugummis könnten für verschiedene medizinische Indikationen genutzt werden wie zum Nachweis von Grippeviren, Streptokokken bei Halsschmerzen oder Streptococcus mutans, dem Leitkeim von Karies. Hierfür müsste lediglich die Peptidkette auf den jeweiligen Erreger beziehungsweise auf dessen Proteasen angepasst werden. Für ein Startup-Unternehmen zur Produktion der Diagnostik-Kaugummis habe man bereits einen Businessplan fertig gestellt, berichtete Meinel. Nun müsse man abwarten, wie schnell die Produkte auf den Markt kommen. /

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