Chef und Angestellter zugleich |
24.04.2012 16:30 Uhr |
Von Peter Sandmann / Das Geschäftsmodell der Filialisierung scheint sich nach anfänglichen Fehlstarts am Markt zu etablieren. In Deutschland gibt es heute rund 3700 Filialapotheken. Damit ist in der Apothekenbranche auch eine neue Berufsgruppe entstanden: der Filialleiter.
Berufsrechtlich trägt der Filialleiter für alles, was in dem von ihm geleiteten Geschäft geschieht, die Verantwortung. Er ist aber auch den Zwängen eines normalen Arbeits- und Angestelltenverhältnisses unterworfen. Von den Inhabern der Filialapotheken wird dieser Umstand auf äußerst unterschiedliche Art und Weise interpretiert. Im einen Fall ist der Filialleiter lediglich Erfüllungsgehilfe ohne Möglichkeit selbstständiger Gestaltung. In vielen anderen Fällen wiederum ist er ein vollwertiger Geschäftsführer mit weitreichenden Kompetenzen. Diese erstrecken sich dann von Personalführung über Warenbestellungen bis hin zur Analyse betriebswirtschaftlicher Auswertungen.
All dies sind Aufgabengebiete, für die approbierte Apotheker in ihrem Studium unzureichend oder gar nicht ausgebildet werden und die im täglichen Arbeitsumfeld eines normalen Angestelltenverhältnisses selten eine Rolle spielen. Zwar gibt es in zunehmendem Maße Weiterbildungsangebote. Viele Inhaber insbesondere größerer Filialverbünde ziehen sich den Führungsnachwuchs aber immer öfter selbst heran.
Position erkämpfen
Die ungewohnte Position zwischen dem zu führenden Team und den Vorstellungen des Inhabers machen den Beruf des Filialleiters nicht einfach. Häufig müssen sich Filialleiter ihre Position gegen beide Seiten hart erkämpfen. Aus Sicht des Betroffenen stellt sich die Situation wie folgt dar: Nach Jahren als rechte Hand des Chefs wird man plötzlich vor das Team einer neu übernommenen Apotheke gestellt. Die Mitarbeiter der neuen Filiale kennen sich untereinander meist seit Jahren und versuchen erst einmal, dem Neuen zu zeigen, wie der Hase bei ihnen läuft. Denn im Gegensatz zum Inhaber hat der Filialleiter keine natürliche Autorität, er muss sich im neuen Team erst als Primus inter Pares bewähren.
Das kann sehr anstrengend sein. Zumal häufig nicht genau geklärt ist, welche Kompetenzen der Filialleiter eigentlich ausüben darf. Er steht damit immer im Spannungsfeld zwischen eingefordertem wirtschaftlichen Erfolg und seinem Team. Nicht wenige scheitern an dieser Aufgabe und versuchen, durch eigenen Arbeitseinsatz Probleme in der Teamführung zu kaschieren.
Insbesondere die Personalknappheit in Ballungsräumen stellt hier oft ein zusätzliches Problem dar, da Filialleiter in letzter Konsequenz Personalnotstände selbst ausbaden sollen. Die wirtschaftliche Situation vieler Apotheken lässt keine Personalreserven zu, zumal der Filialleiter – rein finanziell betrachtet – eine zusätzliche betriebswirtschaftliche Belastung darstellt. Viele Apothekeninhaber enthalten ihren Filialleitern zudem wichtige betriebswirtschaftliche Kennzahlen vor und machen es ihm damit schwer, die eigene Situation und Position am Markt einschätzen zu können.
Hohe Erwartungen
Nun zur Sicht des Inhabers, der die Situation erwartungsgemäß anders interpretiert: Nach der Entscheidung, eine Filiale zu übernehmen, folgt eine Zeit hoher Belastung. Bankgespräche, Businesspläne, Zulassungsunterlagen und vieles mehr zerren an den Nerven des Kaufwilligen, bis endlich die Übernahme erfolgen kann. Dann werden in vielen Fällen sofortige Umsatz- und Gewinnsteigerungen erwartet, damit sich der eigene monetäre und physische Einsatz gelohnt hat. Diese Erwartungshaltung wird auf den Filialleiter übertragen.
Die Herausforderung ist groß, viele der übernommenen Apotheken sind über Jahre in den Keller gewirtschaftet worden. Das Personal kennt oftmals nur die Arbeitsweise des Vorgängers und hat sich sehr häufig daran angepasst. Die größte Aufgabe für den Filialleiter ist daher, sein Team auf dem neuen Weg mitzunehmen, damit nicht gegeneinander gearbeitet, sondern an einem Strang gezogen wird.
Die Anforderungen an Filialleiter sind also hoch: Belastbarkeit, Stressresistenz, Führungseigenschaften, soziale Kompetenz und nicht zuletzt auch herausragende fachliche Kompetenz. Er prägt das Bild der Filiale nach außen entscheidend mit, sowohl in Bezug auf sein fachliches als auch sein optisches Auftreten. Der Inhaber einer oder mehrerer Filialen muss aber auch lernen, Aufgaben an den Filialleiter abzugeben und Kompetenzen zu delegieren – für manchen eine neue und ungewohnte Situation.
Für hoch motivierte Mitarbeiter ist die »Sandwichposition« eines Filialleiters eine gut bezahlte Alternative zur risikobehafteten Selbstständigkeit. Sie kann einerseits als Sprungbrett in die unternehmerische Freiheit betrachtet werden, andererseits ist ein Scheitern mit geringem Risiko behaftet und die Rückkehr in ein »normales« Arbeitsverhältnis jederzeit möglich. Hervorragende Filialleiter sind jetzt schon ein seltenes Gut, mit steigendem Grad der Filialisierung wird sich die Situation weiter verschlechtern. Ein Grund, frühzeitig nach geeignetem Nachwuchs Ausschau zu halten und diesen langsam und sorgfältig auf die kommenden Aufgaben vorzubereiten. /