Neues vom Zappelphilipp |
24.04.2007 11:58 Uhr |
<typohead type="3">Neues vom Zappelphilipp
Glaubt man Umfragen unter Lehrern, gibt es viele und immer mehr hyperaktive Kinder. Tatsächlich sind aber nur 2 bis 4 Prozent der deutschen Schulkinder von Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) betroffen. Eingebettet in eine Multimodaltherapie zeigen Stimulantien wie Methylphenidat einen deutlichen Nutzen.
»Unruhe eines Kindes generell mit ADHS zu erklären, ist Quatsch«, sagte Privatdozent Dr. Michael Huss von der Charité Berlin. Kernsymptome der neurobiologischen Erkrankung sind Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität und Hyperaktivität, wobei vor allem Letztere die Unfallrate bei ADHS-Kindern um das Zehnfache erhöht. Während die Aufmerksamkeitsstörung meist bestehen bleibt, lassen Impulsivität und Unruhe jedoch im Erwachsenenalter nach.
Die Ursachen für ADHS seien häufig im psychosozialen Umfeld zu suchen, sagte der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Allerdings scheinen auch genetische Faktoren und Rauchen in der Schwangerschaft einen Einfluss zu besitzen. Huss erklärte, dass bei ADHS ein Zuviel an Rücktransportern dafür sorge, dass Dopamin seine Wirkung nicht entfalten kann. Methylphenidat blockiert diese Transporter, sodass sich Dopamin im synaptischen Spalt anreichert.
Bei der Diagnosestellung sei es vor allem wichtig, sowohl Eltern und Lehrer als auch das Kind selbst zu befragen. Erst wenn sich der Verdacht auf ADHS hierbei erhärtet, sollte eine aufwendigere Diagnostik, zum Beispiel mit Doppler-Radar, herangezogen werden.
Die Behandlung sollte immer multimodal erfolgen, das heißt neben psychoedukativen Maßnahmen sind verhaltenstherapeutische Interventionen und in manchen Fällen auch eine Pharmakotherapie erforderlich. »Ausschließlich mit Medikamenten zu behandeln, ist ein Kunstfehler«, betonte der Mediziner. Allerdings könne die medikamentöse Behandlung Bedingungen schaffen, unter denen man therapeutisch viel besser arbeiten kann. Auch aus Sicht der Eltern schneide der Erfolg der medikamentösen Behandlung besser ab als Ergotherapie, Verhaltenstherapie sowie analytische Spieltherapie. Gemäß Therapieleitlinien kommt die Arzneistofftherapie erst ab dem sechsten Lebensjahr infrage. Jüngere Kinder seien viel besser mit nichtmedikamentösen Maßnahmen therapierbar.
Mittel der Wahl sei nach wie vor das Stimulans Methylphenidat. Der Chemiker Leandro Panizzon synthetisierte die Substanz im Jahre 1944. Der Handelsname Ritalin geht auf den Vornamen von Panizzons Frau Rita zurück, die im Selbstversuch eine belebende Wirkung der Substanz festgestellt hatte. Das Krankheitsbild, das das Mittel später berühmt machte, war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht beschrieben.
Neben der nicht retardierten Arzneiform, die etwa drei Stunden wirkt, stehen heute lang wirksame Formulierungen von Methylphenidat zur Verfügung. Zu ihren Vorteilen zählen laut Huss eine bessere Compliance und geringere Stigmatisierung.
Methylphenidat müsse individuell titriert werden. Als Richtwert für eine Obergrenze nannte der Referent 1 mg/kg Körpergewicht. Das Stimulans könne Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit und Schlafstörungen verursachen. In der Regel führen diese aber nicht zum Therapieabbruch. Anders sehe das bei kreisrundem Haarausfall aus, der unter Methylphendiat bei einem von etwa 7000 Patienten auftritt.
Mit der Zulassung von Atomoxetin liegt ein Arzneistoff vor, der sich eines anderen Wirkprinzips bedient. Während Stimulantien direkt in das dopaminerge System eingreifen, wirkt Atomoxetin indirekt dopaminerg. Der Wirkstoff beeinflusst als selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer die Dopamin-Aktivität im präfrontalen Cortex. Verglichen mit den Stimulantien sei die Effektstärke von Atomoxetin allerdings niedriger, so der Mediziner. Im Gegensatz zu den Stimulantien setze eine spürbare Wirkung von Atomoxetin zudem erst nach einigen Wochen ein. Vorteile biete der Wirkstoff vor allem dann, wenn neben den ADHS-Kernsymptomen zum Beispiel Angststörungen oder Depressionen auftreten.
Eine ADHS-Therapie wird in der Regel über mehrere Jahre durchgeführt, informierte der Referent. Häufig komme die Frage auf, ob mit Medikamenten therapierte ADHS-Kinder später schneller zu anderen Drogen greifen. Da die Verteilung von Methylphenidat und Cocain im ZNS sehr ähnlich ist, sei es nachvollziehbar, dass man sich Gedanken über das Suchtpotenzial des Wirkstoffs macht, so Huss. Die meisten Studien mit Methylphenidat hätten aber genau das Gegenteil gezeigt. »Die Neigung zu Drogenkonsum im Erwachsenenalter wird durch Methylphenidat eher verringert als erhöht.