Warten auf Inhalt |
25.04.2006 11:08 Uhr |
Vor dem Beginn der parlamentarischen Sommerpause im Juli will die große Koalition ihre Gesundheitsreform verabschieden. Schon im Herbst soll dann die Reform, die laut Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) 20 Jahre Bestand haben soll, durch Bundestag und Bundesrat geschleust werden und schließlich im November 2006 im Gesetzblatt veröffentlicht werden. Während der Zeitplan gerne in der Öffentlichkeit breitgetreten wird, bleiben die Parteien die Inhalte schuldig. Und so wird klar, dass es eben nur um einen Zeitplan geht. Viel schwerer tun sich die Parteien, diese bloße Hülle mit Inhalten zu füllen.
Wie schwer das Ganze tatsächlich werden wird und dass manche ihre Erwartungen an eine Reform lieber deutlich absenken sollten, verdeutlichen die Selbstfindungsprozesse der großen Parteien. Kurt Beck, der designierte SPD-Vorsitzende, will manchen längst verlorenen Pfad der Sozialdemokratie zurückerobern. Seine Partei will sich ein neues Grundsatzprogramm geben, sucht nach einem, gerne wörtlich gemeint, roten Faden, an den sie sich klammern kann. Doch so sehr Beck skizzieren will, wonach ihm und seinen Genossen ist, so undeutlich und schemenhaft bleibt dieses Bild.
Die Jahre des Wandels sind vorbeigerauscht an den Sozialdemokraten, die Erneuerung ist ein frommer Wunsch. Doch mit den Rezepten von vorgestern, mit Steuererhöhungen und dem Gräbenschaufeln zwischen den Reichen und den Armen, wird Beck nicht weit kommen. Er sollte wahrnehmen, dass jeder Versuch, den Sozialstaat gegen die Realität abzugrenzen, Gräben tiefer werden lässt. Denn diejenigen, die es sich leisten können, werden sich einem rückwärts gewandten staatlichen Allmachtsdenken entziehen.
Bemerkenswert ist, dass die Koalitionäre Kommissionen für Detailfragen wie die Gesundheitspolitik einrichten, ohne den eigenen parteipolitischen Weg überhaupt zu kennen. Während also allerhand dahergeplaudert wird, bekennen CDU wie SPD, dass sie kein zeitgemäßes Grundsatzprogramm haben.
Die Union verspürt in der großen Koalition zwar nicht den kalten Atem der Opposition im Nacken. Allerdings fürchtet sie, keinen großen Wurf hinzubekommen, sie fürchtet die selbst verschuldete Mehrwertsteuererhöhung, sie fürchtet die Deutschen, die auf die Wärme des Sozialstaats nicht verzichten mögen, sie fürchtet französische Verhältnisse.
Einer wie Horst Seehofer (CSU) warnt schon vor einer halb garen Reform. Spürt er, dass die nächste Gesundheitsreform erneut nicht ihren Namen verdient? Vielleicht kennt er erste Details - und bekommt es mit der Angst zu tun.
Die Gemengelage ist trotzdem oder gerade deswegen allzu durchsichtig. Im Gesundheitsministerium liegt längst ein in Teilen öffentlich bekannter fertiger Vorschlag. Die Parteien machen den Eindruck, als lägen immer noch Welten zwischen ihnen. Ein Blick in die Vergangenheit erlaubt die Prognose, dass Ulla Schmidt (SPD) darauf hoffen kann, dass weite Teile ihres Konzepts gerade deswegen im Herbst zum Gesetzentwurf reifen. Dann aber bedeutet dies für viele Leistungserbringer, dass die Finanzierungsstrukturen nur minimal, die Anbieterstrukturen umso stärker Veränderungen unterworfen sind. Steigen die Arzneimittelausgaben weiter an, dürfte dies für Politiker, egal welcher Couleur, eine Steilvorlage sein. Warten wir also weiter auf die Inhalte.
Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion