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Plötzlicher Kindstod

Genmutation als mögliches Risiko

18.04.2018  10:24 Uhr

Von Judith Lorenz / Der plötzliche Kindstod ist in einigen Fällen eventuell auf ein genetisch bedingtes Versagen der Atemmuskulatur zurückzuführen. Zu diesem Schluss kommen britische und ­US-amerikanische Wissenschaftler, nachdem sie Gewebeproben von verstorbenen Säuglingen genetisch analysiert haben. Ihr ­Bericht erschien jetzt im Fachjournal »The Lancet«.

Vom plötzlichen Kindstod spricht man, wenn ein scheinbar gesundes Kind un­erwartet stirbt – typischerweise im Alter zwischen zwei und vier Lebensmonaten – und die Todesursache letztlich nicht geklärt werden kann. Zu den bekannten Risikofaktoren zählen unter anderem Zigaretten­rauch-Exposition, Überwärmung beim Schlafen, das Schlafen in Bauchlage oder unter bestimmten Bedingungen im Bett der Eltern. Männliche Neugeborene und Frühgeborene gelten als besonders gefährdet.

 

Schwäche der Atemmuskulatur

 

Die Wissenschaftler um Erstautor Dr. Roope Männikkö vom University College London haben nun untersucht, wie häufig Mutationen des SCN4A-Gens, das für ein Transmembranprotein in der Skelettmuskulatur kodiert, bei den betroffenen Kindern nachweisbar sind. Bei dem Membranprotein handelt es sich um einen spannungsgesteuerten Na­triumkanal, der die Erregbarkeit der Muskelzellen reguliert. Funktioniert er nicht optimal, verlieren die Muskeln an Kraft. Im Erwachsenenalter manifestiert sich eine solche Mutation in Form neuromuskulärer Störungen, beispielsweise einer Myasthenie oder Myo­pathie. Da der dysfunktionale Natriumkanal auch auf der Atemmuskulatur exprimiert wird, kommt es bei den Mutationsträgern häufig auch zu respiratorischen Problemen: Lebensbedrohliche Apnoe-Attacken können auftreten.

 

Um zu klären, ob SCN4A-Genmutationen für den plötzlichen Kindstod prädisponieren, sequenzierten die Forscher die DNA von 278 verstorbenen Kindern kaukasischer Abstammung. In allen Fällen war die Todesursache trotz umfangreicher forensischer Untersuchungen unklar geblieben. Das Vergleichskollektiv bildeten 729 gesunde Erwachsene gleicher Ethnie, die weder an kardialen noch an neurologischen oder respiratorischen Vorerkrankungen litten. Das Ergebnis: Bei vier der verstorbenen Kinder (1,4 Prozent), aber bei keinem der Kontrollprobanden konnte eine dysfunktionale SCN4A-Genvariante nachgewiesen werden (DOI: 10.1016/S0140-6736(18)30021-7).

 

»Der plötzliche Kindstod hat möglicherweise eine genetische Basis«, schlussfolgern Männikkö und Kollegen. Sie vermuten, dass die bei den verstorbenen Babys überproportional häufig nachgewiesene Natriumkanal-Muta­tion die Vulnerabilität der Kinder für exogene respiratorische Stressoren in einer diesbezüglich kritischen Entwicklungsphase erhöht. Aufgrund einer Schwäche der Atemmuskulatur sind sie in Risikosituationen – beispielsweise bei Rauchexposition, einer ungünstigen Schlafposition, einer Verlegung der Atemwege oder einer leichten Erkrankung – nicht in der Lage, angemessen auf eine Hypoxie zu reagieren, also ihre Atmung zu beschleunigen, zu husten oder den Atem kurzzeitig anzuhalten.

 

»Noch verstehen wir die Zusammenhänge zwischen der Genmutation und dem plötzlichen Kindstod nicht vollständig«, so die Wissenschaftler in einer Pressemitteilung. Insbesondere die klinische Bedeutung des Defekts sei noch unklar. Weitere prospektive Stu­dien an anderen ethnischen Kollektiven müssen daher folgen.

 

Sollten sich die Ergebnisse reproduzieren lassen, muss auch über medikamentöse Behandlungsoptionen nachgedacht werden: So deutet laut den Autoren etwa ein Fallbericht darauf hin, dass der Carboanhydrasehemmer Acetazolamid, der unter anderem zur Prophylaxe der Höhenkrankheit eingesetzt wird, auch bei SCN4A-Mutation die Atmungseffektivität erhöht. Mög­licherweise profitieren Geschwister eines am plötzlichen Kindstod verstorbenen Kindes von einer solchen prophylaktischen Medikation.

 

Sichere Schlafumgebung

 

»Die Genmutation ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der einzige Grund für den plötzlichen Kindstod«, schließen die Wissenschaftler. Eltern sollten daher in jedem Fall für eine sichere Schlafumgebung ihrer Kinder sorgen.

 

Der plötzliche Kindstod tritt sehr selten auf. Im Jahr 2015 waren in Deutschland insgesamt 127 Kinder betroffen. /

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