Von Menschmaschinen und Chimären |
20.04.2010 15:03 Uhr |
Von Uta Grossmann, Berlin / Keimbahntherapie, Mensch-Tier-Mischwesen, verbrauchende Embryonenforschung – die Biotechnologie wirft ethische Fragen auf, die unser Verständnis vom Leben berühren. Im Wissenschaftsforum des Bundestags suchte Jochen Taupitz nach Antworten.
Darf der Mensch alles tun, was er kann? Der Jura-Professor Dr. Jochen Taupitz beantwortete die Frage mit einer Gegenfrage: Dürfen wir nichts tun, was wir können? Es gebe auch eine Verantwortung für unterlassenes Handeln, sagte er, denn es könne die Chancen für künftige Generationen zerstören.
Der Jurist ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Mannheim und Heidelberg. Er ist Mitglied zahlreicher Gremien, auch des Deutschen Ethikrats. Vorige Woche referierte er in Berlin im Wissenschaftsforum des Bundestags über ethische Fragen der Biotechnologie.
Fortschritt verschiebt Grenzen
Die Fortschritte in der Biotechnologie haben Grenzen verschoben, die bisher als unverrückbar galten. In England ist die Züchtung von Tier-Mensch-Chimären erlaubt. Ein menschlicher Zellkern wird in eine entkernte tierische Eizellhülle transferiert, um embryonale Stammzellen herzustellen. Kritiker sehen in der in Deutschland verbotenen Methode eine unzulässige Überschreitung der Artgrenzen. Als ebenso unzulässige Vermischung begreifen die meisten Versuche der Transplantationsmedizin, menschliches Hirngewebe in tierische Hirne zu implantieren, um Hirnkrankheiten zu heilen. »Verhält sich der Mensch dann wie ein Affe?«, formulierte Taupitz die mit solchen Experimenten einhergehenden Befürchtungen.
Ein Beispiel aus der Implantattechnologie zeigt eine weitere Facette der Grenzverschiebungen: Wenn neuronale Implantante in ein Menschenhirn eingepflanzt werden und dann ein Computer Signale an das Hirn sendet, um etwa bei einem Parkinsonpatienten das Zittern zu verhindern, haben wir dann den ferngesteuerten Menschen, die Menschmaschine? Oder die synthetische Biologie, bei der künstlich Zellen, Moleküle und Organismen erschaffen werden. Die Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur wird überschritten. Solche Forschungen werfen Fragen nach unserem Verständnis vom Leben und der Einzigartigkeit des Menschen gegenüber dem Tier und der unbelebten Natur auf.
Auch die Keimbahntherapie kratzt an der Individualität des Menschen, wie wir sie bisher verstanden. Dabei werden genetische Veränderungen in den Zellen der Keimbahn vorgenommen, die an die folgenden Generationen weitergegeben werden. Therapeutisches Ziel ist es, genetische Defekte wie Erbkrankheiten zu beseitigen. »Sind solche Experimente unverantwortliche Menschenversuche?«, fragte Taupitz. »Wie weit darf die Forschungsfreiheit gehen?« Die Antwort des Verfassungsjuristen lautet: Das Grundgesetz enthält keine eindeutigen Hinweise, nur allgemeine Grundrechte, die von der Rechtsprechung konkretisiert werden müssen. »Wir dürfen die Lösung des Konflikts nicht vom Grundgesetz erwarten«, sagte Taupitz. Vielmehr sei es Aufgabe der Gesellschaft und der Politik, diese ethischen Fragen zu diskutieren und in einem demokratischen Abwägungsprozess einen Konsens zu finden.
Welches Menschenbild haben wir?
Auch der erste Artikel des Grundgesetzes über das Prinzip der Menschenwürde gibt keine Auskunft darüber, welches Bild vom Menschen wir haben sollen. Folter verstößt gegen die Menschenwürde, sie erniedrigt den Menschen und würdigt ihn zum Objekt (etwa der Informationsbeschaffung) herab. Aber, fragte Taupitz, ist es auch eine Herabwürdigung des Embryos, ihn für Forschungszwecke in Anspruch zu nehmen?
Der Jurist wies darauf hin, dass sich Rechtsauffassungen und Moralvorstellungen im Laufe der Zeit wandeln. »Neue Erkenntnisse der Biologie, der Medizin und der Naturwissenschaften erfordern neue ethische Bewertungen ihres Nutzens und ihrer Gefahren«, sagte er. Es sei geradezu ein »Moralimperialismus« zu verlangen, dass heutige Moralvorstellungen auf ewig gelten sollen. »Dammbruchargumente«, nach denen auf den ersten unweigerlich weitere, ins Verderben führende Schritte folgten, verkennen nach Ansicht von Taupitz das Differenzierungsvermögen der Gesellschaft. So sei Abtreibung in Deutschland unter bestimmten Bedingungen erlaubt, doch das heiße nicht, auch Leben außerhalb des Mutterleibs töten zu dürfen.
Der Referent wandte sich gegen allzu detaillierte internationale Forschungsregeln, weil sie einen Konsens aller Staaten erforderten und dadurch eine weltweite »Versteinerung des Rechts« drohe.
Er findet es gut, dass jeder Staat eigene Regeln habe und weltweit experimentiert werden dürfe, denn der Vergleich zeige, wer auf dem richtigen Weg sei. Woher wir wissen, welcher Weg der richtige ist, diese Frage muss nach Auffassung von Taupitz in einer Abwägung des Für und Wider geklärt werden. Beispiel Keimbahntherapie. Dagegen spricht, dass es sich um einen Eingriff in das Erbgut handelt, dessen Tragweite unbekannt ist. Es handelt sich auch um einen Eingriff in die Einzigartigkeit des Menschen, der möglicherweise seine Würde verletzt und einen »Menschen nach Maß« zum Ziel hat.
Dafür spricht das therapeutische Ziel, Erbkrankheiten zu beseitigen und Leid zu vermeiden. Möglicherweise, so ein weiteres Argument, kann die (in Deutschland verbotene) Keimbahntherapie Abtreibungen vermeiden.
Taupitz verwies auf das Gefühl intuitiver Abwehr gegenüber Neuem, das dem Menschen eigen ist. Es müssten Rechts- und Interessenverletzungen untersucht werden, um zu einer rationalen Bewertung zu kommen. Herztransplantationen seien anfangs misstrauisch beäugt worden. Ängste wurden wach, ob eine Transplantation des Herzens, das von Alters her als Sitz der Seele galt, den Menschen verändern werde. Heute ist die Methode akzeptiert. Für Taupitz ein Beispiel, wie sich die Grenzen der Moralvorstellungen verschieben. Sein Plädoyer lautet: In dubio pro libertate, im Zweifel für die Freiheit. Wenn es, wie bei der Keimbahntherapie, gute Argumente dafür und dagegen gebe, solle der Verfassungsstaat für die Freiheit entscheiden.
Widerspruch aus dem Publikum
Das blieb im Publikum nicht unwidersprochen. »Wenn in die Keimbahn eingegriffen wird, um zum Beispiel ein Downsyndrom zu verhindern, nähern wir uns dann nicht dem Menschen nach Maß, und geht das nicht an die Substanz der Schöpfung?«, lautete eine Frage.
Kritisiert wurde auch die Selbstverständlichkeit, mit der Taupitz das, was die Gesellschaft als normal und gesund ansieht, Krankheit und Behinderung vorzog. Es dürfe nicht nur das als richtig bezeichnet werden, was gesellschaftlicher Konsens ist. »Auch jenseits dessen muss es Maßstäbe geben«, sagte eine Zuhörerin. /