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Off-label-Use

Reizwort für die Krankenkassen

10.04.2007  15:30 Uhr

Off-label-Use

<typohead type="3">Reizwort für die Krankenkassen

Von Siegfried Löffler

 

Es bleibt dabei: Die grenzüberschreitende Kostenerstattungspflicht der GKV für nicht im Leistungskatalog enthaltene oder für andere Indikationsbereiche zugelassene Medikamente bleibt die Ausnahme. Daran hat auch die fortentwickelte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts (BSG) nichts geändert. Das geht aus zwei Entscheidungen des BSG vom 27. März hervor.

 

In einem Fall aus Berlin (Aktenzeichen: B 1 KR 17/06) hatte ein Neurologe bei einer an Multipler Sklerose leidenden Frau das nicht für diese Indikation zugelassene Präparat Polyglobin® 10% eingesetzt. Die Frau war zuvor fünf Jahre lang mit Betaferon behandelt worden und litt unter Nebenwirkungen. Nachdem der Arzt wegen seiner vertragsärztlichen Verordnungen Regressen ausgesetzt war, verordnete er das Mittel nur noch auf Privatrezept. Das kostete die Patientin in sechs Monaten insgesamt 4776,98 Euro, die sie von der zuständigen DAK forderte. Sie verlor den Prozess in allen Instanzen.

 

Ein Off-label-Use setzt nach der Entscheidung des BSG unter anderem voraus, dass aufgrund einer Phase-III-Zulassungsstudie oder gleichwertiger Erkenntnisse die »begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht«. Das sei hier nicht der Fall. Die Regelungen des Leistungsrechts sind nur dann anspruchserweiternd verfassungskonform auszulegen, wenn mit der Behandlung einer schweren Krankheit nicht nur die Kriterien für den Off-label-Use erfüllt sind, sondern eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende, beziehungsweise eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliege.

 

Unter diesem Aspekt reichte es trotz der gravierenden Beeinträchtigungen der Gesundheit für einen Anspruch gegenüber der Ersatzkasse nicht aus. Ziel der hier angewandten Therapie sei es primär gewesen, auf Krankheitsschübe Einfluss zu nehmen und ein Fortschreiten der Behinderung zu hemmen. Das sei aber nicht mit einer notstandsähnlichen Situation, Zeitdruck oder einem zur Lebenserhaltung notwendigen akuten Behandlungsbedarf gleichzusetzen.

 

Ebenfalls erfolglos war die Klage eines Versicherten der AOK Baden-Württemberg. Er ist seit einem 1987 erlittenen Unfall querschnittsgelähmt und leidet deshalb seit Jahren an einem chronischen Schmerzsyndrom. Nachdem Therapien mit Lioresal® (Baclofen) und mit Opiaten keine ausreichende Schmerzreduktion bewirkten, beantragte er mit einem Attest eines Anästhesiologen, ihm einen Therapieversuch mit Cannabinol zu bewilligen.

 

Mit dem Urteil B 1 KR 30/06 R wies der Erste Senat des BSG die Klage endgültig ab. Die Kasseler Richter wiesen darauf hin, dass es weder in Deutschland noch EU-weit für cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel eine arzneimittelrechtliche Zulassung gebe. Eine nicht für die Schmerztherapie bestehende Arzneimittelzulassung in den USA entfalte nicht zugleich entsprechende Rechtswirkungen in Deutschland. Auch cannabinoidhaltige Rezepturarzneimittel könnten nach der Gesetzeslage nicht beansprucht werden. Für die hier begehrte neuartige Schmerztherapie fehle es an der erforderlichen Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Da weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vorliegt und das chronische Schmerzsyndrom des Querschnittgelähmten nicht mit einem »nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gleichgestellt werden kann«, war die Klage erfolglos.

 

Dagegen hat eine Nicht-Entscheidung des BSG die Anspruchsgrundlage von Schwerkranken indirekt erweitert. Das BSG wollte am 27. März unter dem Aktenzeichen B 1 KR 31/06 R im Prozess einer Krebskranken gegen eine Betriebskrankenkasse über den Anspruch auf Behandlung mit homöopathischen und anthroposophischen Präparaten entscheiden. Die Frau, bei der 2005 ein Mammakarzinom entfernt worden war, wurde anschließend mit einer Chemo- und Strahlentherapie behandelt. Sie beantragte die Behandlung mit Helixor. Dieses wird nach der anthroposophischen Lehre zur Anregung von Form- und Integrationskräften zur Auflösung und Wiedereingliederung selbstständiger Wachstumsprozesse eingesetzt.

 

Erstattung verweigert

 

Die BKK lehnte den Antrag auf Behandlung mit Helixor® ab und verweigerte die Erstattung des Präparats. Das Sozialgericht Dresden hatte die BKK zur Kostenerstattung verurteilt. Da die BKK kurz vor der Verhandlung des Falles die gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegte Revision zurücknahm, brauchte das BSG nicht mehr zu entscheiden. Das Urteil des Sozialgerichts Dresden wurde damit rechtskräftig.

 

Die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie, Professor Dr. Barbara Sickmüller, folgert daraus, dass die Kassen, die bisher lediglich die Kosten für eine palliative Tumortherapie übernahmen, künftig auch anthroposophische Mistelpräparate zur ergänzenden Krebstherapie, etwa zur Nachbehandlung einer Chemotherapie erstatten müssen.

 

Der Gemeinsame Bundesausschuss müsse nun »seinem gesetzlichen Auftrag nachkommen und für weitere schwere Erkrankungen die dringend notwendigen Therapiestandards auch innerhalb der Besonderen Therapierichtungen festlegen«. Die Arzneimittel der Besonderen Therapierichtungen hätten ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach geltendem Recht längst nachgewiesen.

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