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Fomepizol, Galsulfase und Rotigotin

Datum 30.03.2006  13:13 Uhr

Neu auf dem Markt

<typohead type="3">Fomepizol, Galsulfase und Rotigotin

von Brigitte M. Gensthaler, München, und Kerstin A. Gräfe, Eschborn

 

Im März kamen drei neue Arzneistoffe auf den Markt: Fomepizol als Antidot bei einer Ethylenglykol-Vergiftung, das Orphan drug Galsulfase zur Enzym-ersatztherapie bei der Erbkrankheit Mukopolysaccharidose VI und erstmals ein Pflaster zur Behandlung von Morbus Parkinson.

 

Fomepizol

 

Seit Anfang März steht Ärzten und Notärzten ein neues Antidot zur Behandlung einer akuten Ethylenglykol-Vergiftung zur Verfügung: Fomepizol (Fomepizole OPi 5 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung; OPi Deutschland GmbH).

 

Bereits Mitte der 1980er-Jahre wurde Fomepizol (4-Methylpyrazol) als kompetitiver Hemmstoff der Alkoholdehydrogenase (ADH) erprobt. Ende der 1990er-Jahre ließ die FDA den Wirkstoff für die Behandlung der Ethylenglykol-Vergiftung und im Jahr 2000 auch der Methanol-Vergiftung zu. In Deutschland ist er seit 2002 als Orphan drug zugelassen, wurde aber erst jetzt als Fertigarzneimittel (mit fünf Ampullen zu je 20 ml) auf den Markt gebracht. Ziel der Behandlung einer Ethylenglykol-(EG)-Vergiftung ist es, dessen Abbau zu toxischen Metaboliten zu bremsen, die Muttersubstanz und deren Metaboliten zu eliminieren und die Azidose zu korrigieren (siehe Kasten). Als Antidot wird seit langem Ethanol intravenös oder bei wachen Patienten auch peroral eingesetzt. Besser steuerbar ist Fomepizol, das eine deutlich höhere Affinität zur ADH hat. Ethanol und der Arzneistoff hemmen den ADH-katalysierten Abbau von EG zu Glykoaldehyd in der Leber. Nach Fomepizol-Gabe steigt die Plasmahalbwertszeit von Ethylenglykol von vier auf zehn bis 16 Stunden, wodurch dieses unverändert renal ausgeschieden werden kann. Dabei wird eine Polyurie induziert. Bei schweren Vergiftungen erfolgt zusätzlich eine sekundäre Giftentfernung durch Hämodialyse.

 

Fomepizol selbst wird fast vollständig metabolisiert, hauptsächlich zu 4-Carboxypyrazol, das das Enzym nicht mehr hemmt. Das Antidot und seine Metaboliten werden über die Nieren ausgeschieden.

 

Die Behandlung sollte möglichst schnell nach einer Vergiftung sowie bereits im Verdachtsfall beginnen. Patienten mit normaler Nierenfunktion erhalten initial eine intravenöse Dauerinfusion mit 15 mg Fomepizol/kg Körpergewicht in isotonischer Kochsalzlösung oder 5-prozentiger Glucoselösung (über 30 bis 45 Minuten). Die Infusion wird alle zwölf Stunden (10 mg/kg) wiederholt, bis die Plasmakonzentration von EG unter 0,2 g/l liegt. Das Antidot kann während der Hämodialyse infundiert werden; seine Wirksamkeit wird durch Alkohol nicht beeinflusst.

 

Fomepizol eignet sich auch bei Methanol-Vergiftung, da es dessen ebenfalls ADH-katalysierten Abbau zu Formaldehyd und Ameisensäure hemmt. Dafür ist das Arzneimittel in Deutschland derzeit aber nicht zugelassen.

Vergiftung mit Ethylenglykol

Ethylenglykol (EG) ist der Hauptbestandteil von Frostschutzmitteln (Kühlerfrostschutz für Autos enthält bis zu 100 Prozent) und auch in Lösemitteln, Bremsflüssigkeit und Enteisern enthalten. Es ist farb- und geruchlos und per se nicht toxisch. Es wird jedoch durch die Alkoholdehydrogenase (ADH) in der Leber sehr schnell zu Glykoaldehyd abgebaut, aus dem weitere toxische Metaboliten entstehen. Während Glykolsäure für die Entwicklung einer metabolischen Azidose verantwortlich ist, gelten Glykoaldehyd und Glyoxylat als nephro- und tubulotoxisch. Aus Glyoxylat entsteht schließlich Oxalat, das im Urin in Form von Calciumoxalat-Kristallen ausfällt.

 

Bald nach Trinken von EG kommt es durch Reizung des Magen-Darm-Trakts zu Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Infolge der Resorption und Metabolisierung des Gifts treten nach 30 Minuten bis zwölf Stunden neurologische Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Rausch (ohne Alkoholgeruch im Atem!) und Schläfrigkeit bis zur Bewusstlosigkeit auf. Später kommt es durch die toxischen Metaboliten zu Tachykardie und Bluthochdruck, schwerer metabolischer Azidose, Nierenschädigung, Hämaturie und Albuminurie bis hin zum Nierenversagen. Als letal gelten Mengen von 1,5 g/kg Körpergewicht.  

 

Zu Vergiftungen kommt es, wenn Menschen versehentlich oder in suizidaler Absicht entsprechende Flüssigkeiten trinken. Bei Hautkontakt mit EG soll die Haut sofort mit Wasser abgewaschen werden, da eine Resorption toxischer Mengen möglich ist.

Galsulfase

 

Galsulfase (Naglazyme® 1 mg/ml zur Herstellung einer Infusionslösung, BioMarin Europe Ltd.) hat die Zulassung als Orphan drug zur langfristigen Enzymersatztherapie von Patienten mit Mukopolysaccharidose VI (MPS VI, Maroteaux-Lamy-Syndrom) erhalten. Charakteristikum dieser autosomal-rezessiv vererbten Krankheiten ist ein Mangel an Enzymen, die in den Lysosomen Glykosaminoglykane (GAG) abbauen. Bei MPS VI ist dies das Enzym Arylsulfatase B. Infolgedessen sammeln sich GAGs an und lagern sich in Knochen, inneren Organen und bei vielen Patienten auch im Zentralnervensystem ab. Die auffälligsten Symptome sind Minderwuchs, ein großer Kopf sowie massive Bewegungsstörungen. In der Regel wird die Krankheit bei Kleinkindern im Alter von einem bis fünf Jahren diagnostiziert.

 

Das Präparat wird nur an Krankenhaus versorgende Apotheken geliefert. Gereinigte Galsulfase, eine rekombinante Form der humanen  N-Acetylgalaktosamin-4-Sulfatsulfatase, ist ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von etwa 56 kD. Sie wird mittels rekombinanter DNA-Technologie aus Säugetierzellen des Chinesischen Hamsterovars  hergestellt. Nach intravenöser Gabe wird Galsulfase rasch aus dem Blutkreislauf entfernt und vermutlich über Mannose-6-Phosphatrezeptoren in die Lysosomen aufgenommen. Die empfohlene Dosierung beträgt 1 mg/kg Körpergewicht. Sie sollte einmal wöchentlich als vierstündige Infusion und nur von einem erfahrenen Arzt gegeben werden. Vor jeder Infusion sollten die Patienten zur Minimierung einer möglichen allergischen Reaktion ein Antihistaminikum und unter Umständen ein Antipyretikum erhalten.

 

Naglazyme ist in drei klinischen Studien untersucht worden. Sicherheit und Wirksamkeit wurden in einer randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudie an 39 MPS-VI-Patienten im Alter von 5 bis 29 Jahren untersucht. Sie erhielten 24 Wochen lang entweder Verum (1 mg/kg) oder Placebo. Der primäre Endpunkt war die Gehstrecke in 12 Minuten im Vergleich zum Studienbeginn. Als sekundärer Endpunkt galt die Geschwindigkeit, mit der Treppen in drei Minuten überwunden werden konnten. Nach 24 Wochen verbesserte sich, verglichen mit Placebo, bei den mit Galsulfase behandelten Patienten die 12-Minuten-Gehstrecke um 92 ± 40 Meter. Auch das Treppensteigen fiel diesen Patienten leichter: Sie konnten 5,7 Stufen pro Minute mehr nehmen.

 

Die häufigsten Nebenwirkungen waren Infusionsreaktionen wie Fieber, Schüttelfrost, Rigor, Hautausschlag und Urtikaria. Zudem traten Übelkeit, Erbrechen, Dyspnoe und Bronchospasmen sowie Kopf-, Bauch- und Gelenkschmerzen auf.

 

Rotigotin

 

Erstmals ist eine Parkinson-Therapie mit einem transdermalen therapeutischen System möglich. Das Präparat Neupro® (Schwarz Pharma) mit dem Dopamin-Agonisten Rotigotin ist zur Monotherapie der Parkinson-Erkrankung im Frühstadium zugelassen. Das Matrixpflaster ist in vier Wirkstärken mit Freisetzungsraten von 2, 4, 6 oder 8 mg Rotigotin pro Tag erhältlich. Die zwischen 10 und 40 cm2 großen Pflaster werden einmal täglich aufgeklebt,  bleiben 24 Stunden auf der Haut und werden anschließend möglichst zur gleichen Zeit gegen ein neues Pflaster ausgetauscht.

 

Rotigotin ist ein nicht-ergoliner Dopamin-Agonist mit einer Aktivität an Dopamin D1-, D2- und D3-Rezeptoren im Gehirn. Nach der Applikation wird der Arzneistoff kontinuierlich freigesetzt und über die Haut resorbiert. Steady-state-Konzentrationen werden nach einem bis zwei Tagen erreicht, die absolute Bioverfügbarkeit beträgt etwa 37 Prozent. Rotigotin wird zu einem großen Teil metabolisiert, wobei die Hauptmetabolite Sulfate und Glucuronide der Muttersubstanz sind. Etwa 71 Prozent der Dosis wird über den Urin, 23 Prozent über die Fäzes ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertszeit liegt zwischen fünf bis sieben Stunden.

 

Die Zulassung beruht auf zwei randomisierten placebokontrollierten Doppelblindstudien. In beiden Studien wurde das Ansprechen auf die Therapie mit Hilfe eines Standardfragebogens (Unified Parkinsonís Disease Rating Scale, UPDRS) vor und nach der Behandlung ermittelt. In der ersten Studie, die Wirksamkeit und Verträglichkeit in frühen Parkinson-Stadien untersuchte, erhielten 177 Patienten Rotigotin und 96 Patienten Placebo. In einer dreiwöchigen Titrationsphase wurde die Verumdosis von 2 auf 6 mg/24 h gesteigert und die individuell optimale Dosis dann für 24 Wochen beibehalten. Mehr als 90 Prozent der Patienten erreichten während der Titrationsphase eine Dosis von 6 mg pro Tag. Durch die Rotigotin-Behandlung verbesserten sich die kombinierten UPDRS-Scores gegenüber den Ausgangswerten signifikant um durchschnittlich 4 Punkte, während sie sich in der Placebogruppe um 1,3 Punkte verschlechterte (p < 0,0001). Die Verbesserung kam vor allem durch eine anhaltende Reduktion der motorischen Subscores zu Stande.

 

Die zweite Studie verglich Rotigotin mit Ropinirol: 213 Patienten erhielten Rotigotin, 227 Ropinirol und 117 Placebo. Dabei wurden die Patienten über vier Wochen auf täglich 8 mg Rotigotin beziehungsweise über 13 Wochen auf täglich 24 mg Ropinirol eingestellt. Anschließend erhielten die Patienten diese Erhaltungstherapie sechs Monate. Nimmt man als Maß für einen klinischen Nutzen eine Verbesserung der Beschwerden um 20 Prozent, zeigte sich ein solcher bei 52 Prozent der Patienten unter Rotigotin, bei 68 Prozent unter Ropinirol und bei 30 Prozent unter Placebo. Damit waren beide Verumgruppen dem Placebo signifikant überlegen. Allerdings ist auch der Unterschied zwischen den beiden Vera zu Gunsten von Ropirinol signifikant.

 

Die transdermale Anwendung wurde allgemein gut vertragen. Zu den unerwünschten Ereignissen, die unter Rotigotin häufiger als unter Placebo auftraten, gehörten Hautreaktionen an der Applikationsstelle, Übelkeit, Somnolenz, Schwindel und Erbrechen. Lokale Hautreaktionen waren meistens leicht bis mittelschwer und führten lediglich bei 7 Prozent aller Patienten zur vorzeitigen Beendigung der Studie.

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