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Antihistaminika

Wach durch die Allergiesaison

Datum 29.03.2011  17:56 Uhr

Von Holger Stark / Die Zahl der Allergiker steigt stetig, und eine wirkungsvolle und sichere Therapie ist für diese Patienten unumgänglich. Dazu stehen im OTC-Bereich verschiedene apothekenpflichtige Präparate zur Verfügung. Sie unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich ihres sedierenden Potenzials.

Bei der Allergie handelt es sich um eine überschießende Immunantwort auf ein an sich harmloses Antigen. Die häufigste Allergieform ist der Heuschnupfen. Da sich die Symptome beim Heuschnupfen innerhalb kürzester Zeit durch Reaktionen der Immunglobuline E (IgE) zeigen, spricht man auch von einer Allergie vom Sofort-Typ oder einer Typ-1-Allergie. Ein Heuschnupfen sollte unbedingt sofort therapiert werden, da es neben den Störungen der Befindlichkeit und der Leistungsfähigkeit der Patienten sehr häufig zu einem »Etagen-Wechsel« kommt, bei dem sich die Erkrankung von den Abschnitten der oberen Atemwege zu tieferen Lungenabschnitten mit asthmatischen Beschwerden verschiebt. Eine kausale Therapie durch eine Allergenkarenz oder eine gesteigerte Immuntoleranz ist im akuten Stadium in der Regel nicht mehr durchführbar.

Zur Wiederherstellung der Lebensqualität können die Symptome mit Mastzellstabilisatoren, Anti-IgE-Antikörpern (Omalizumab), Glucocorticoiden oder mit Hist­amin-H1-Rezeptorantagonisten bekämpft werden. Mittel der ersten Wahl sind aufgrund des Nutzen-Risiko-Verhältnisses die Antihistaminika der neueren Generation. Bei den Antihistaminika der ersten Generation treten aufgrund unzureichender Selektivität oder hoher Penetration in zentrale Bereiche anticholinerge Effekte sowie Sedation und Gewichtszunahme als unerwünschte Arzneimittelwirkungen vermehrt auf. Mittlerweile wurden bei einigen Schlafmedikamenten diese Nebeneffekte zur Hauptindikation erhoben (zum Beispiel Doxylamin). Die peroral wirksamen Antihistaminika der zweiten Generation zeichnen sich durch deutlich verringerte beziehungsweise fehlende zentrale Effekte, höhere H1-Rezeptorspezifität sowie meist durch eine für eine einmalige Tagesgabe ausreichend lange Halbwertzeit aus.

 

Loratadin und Cetirizin

 

Die Substanzen mit den höchsten Marktanteilen sind Loratadin und Cetirizin. Loratadin ist ein Pyridinderivat, das rasch aufgenommen wird, eine mittlere Halbwertszeit von etwa acht Stunden besitzt und in der Leber über die Cytochrom-Isoenzyme CYP3A4 und CYP2D6 verstoffwechselt wird (siehe Tabelle). Desloratadin (Descarboethoxyloratadin) ist ein aktiver Metabolit des Loratadins mit einer wesentlich längeren Halbwertszeit von 24 bis 27 Stunden. Loratadin wird meist in einer Dosierung von 10 mg pro Tag eingesetzt und zeigt so gut wie keine sedierenden oder kardialen Wirkungen. Cetirizin ist ein Piperazinderivat, das ebenfalls rasch aufgenommen wird, eine mittlere Halbwertszeit zwischen sechs und zehn Stunden besitzt und größtenteils unverändert über Leber und Niere ausgeschieden wird.

Vergleich von Cetirizin und Loratadin

Cetirizin Loratadin
(Metabolite)
Wirkeintritt [h] 0,7 3,4
Wirkmaximum [h] 1,0 ± 0,5 1,2 ± 0,3
Terminale Halbwertszeit [h] 6,5 ± 10 7,8 ± 4,2
(24 ± 9,8)
Wirkdauer [h] > 24 24
Bioverfügbarkeit [%] 70 80
Verteilungsvolumen [L/kg] 0,56 119
Bindungsaffinität Ki [nM] 47 138
Proteinbindung [%] 93 98
(73 – 76)
Therapeutische Plasma-
konzentration [ng/ml]
20–300 1–20
Ausscheidung über Urin/Fäzes [%] 60/10 Spuren
Lipophilie [logP] 3,1 4,1
Dosisanpassung bei speziellen
Patientengruppen
Hepatische oder renale
Dysfunktion
Hepatische
Dysfunktion
Interaktionen kaum kaum
Fahrtüchtigkeitsbewertung (DfT) Beeinträchtigung Keine Beeinflussung
ICADTS Klassifikation Geringe bis mäßige
Beeinträchtigung
Kann als sicher
angenommen werden

Sowohl Loratadin als auch Cetirizin werden als Standarddosierung mit jeweils 10 mg pro Tag verabreicht. Beide Substanzen zeigen bei guter Verträglichkeit und einem raschen Wirkeintritt eine deutliche Wirkung für die Erkrankungen des allergischen Formenkreises. Bezüglich nasaler Effekte, wie sie vermehrt beim Heuschnupfen auftreten, sind kaum klinisch signifikante Unterschiede feststellbar, aber in Hautmodellen über Histaminexposition zeigt Cetirizin in den meisten Untersuchungen eine stärkere Wirkung als Loratadin. Diese stärkeren Hauteffekte könnten auf einer verbesserten Verteilung in den betroffenen Geweben, einer stärkeren Blockade von Histamin-H1-Rezeptoren oder anderen Effekte beruhen. Es zeigt sich, dass nicht nur eine Blockade von H1-Rezeptoren für die antiallergischen Effekte verantwortlich ist, sondern auch Hemmungen von Bradykinin-, Leukotrien- oder Zytokin-vermittelten Effekten zusätzliche Rollen spielen. Beim direkten Vergleich der beiden Antihistaminika zeigt Cetirizin zumeist etwas stärkere Maximaleffekte, ohne in jedem Fall von klinisch relevantem Unterschied beziehungsweise Vorteil zu sein. Im Falle von Urtikaria (chronischer Nesselsucht), Pruritus, atopischer Dermatitis oder anderen allergischen Hauterscheinungen scheint ein Vorteil von Cetirizin gegenüber den meisten anderen Antihistaminika feststellbar zu sein, allerdings ist hier die Datenlage nicht ganz eindeutig. Vermutlich wegen der ausgeprägteren Gesamteffekte kann Cetirizin zusätzlich bei asthmoiden Zuständen in einer Dosierung von zweimal täglich 10 mg angewendet werden.

Als unerwünschte Arzneimittelwirkungen werden Kopfschmerzen, Benommenheit, Schläfrigkeit, Mundtrockenheit oder Ausschlag und Pruritus beschrieben. Manche dieser Effekte unterscheiden sich nur geringfügig von der Placeborate. Ausgeprägte kardiale Effekte wie beim Terfenadin sind nicht beschrieben worden.

 

Je nach Darreichungsform sind die Stoffe teilweise bereits ab einem Alter von einem Jahr zugelassen. Ohne ärztliche Kontrolle sollten sie allerdings frühestens ab einem Alter von zwei Jahren gegeben werden. Bei Kindern ist eine Dosierungsanpassung von beiden Substanzen erforderlich, in der Regel wird bei einem Körpergewicht von weniger als 30 kg die Dosis halbiert. Obwohl es einige Untersuchungen und Daten zu fehlenden negativen Effekten in der Schwangerschaft gibt, sollte wegen der fehlenden Zulassung bei dieser besonderen Patientengruppe von einer Empfehlung in der Selbstmedikation abgesehen und auf den Arzt verwiesen werden. Dosisanpassungen wegen schwerer Leberschäden bei beiden Substanzen beziehungsweise bei Cetirizin zusätzlich bei Niereninsuffizienz sind am besten mit dem Arzt zu besprechen. In jedem Fall sollte während der Einnahme von H1-Antihistaminika auf den Konsum von Alkohol verzichtet werden.

 

Sedierung und Verkehrstüchtigkeit

 

Gerade bei der häufigsten Patientengruppe der 18- bis 49-Jährigen sind uneingeschränkte motorische Fähigkeiten und Aufmerksamkeit beim Bedienen komplizierter Geräte und beim Autofahren wichtige Entscheidungsfaktoren für die Medikamentenauswahl. Hinsichtlich des Sedierungspotenzials gibt es zwischen den beiden Substanzen eine abgestufte Klassifizierung. Das britische Verkehrsministe­rium hat im vergangenen Jahr auf Basis zahlreicher Studien eine aktuelle Einstufung von verschiedenen Antihistaminika vorgenommen. Bei dieser Bewertung wird Cetirizin mit dem Potenzial der »mäßigen Sedierung« und Loratadin unter »keine Sedierung« eingestuft. Auf Basis der vorliegenden Studien zur Verkehrstüchtigkeit wurden Loratadin keine zentralen Effekte hinsichtlich Sedierung, Aufmerksamkeit beziehungsweise feinmotorischen Verhaltens attestiert. Das Ministerium folgt mit dieser differenzierten Beurteilung im Wesentlichen einer früheren Klassifizierung des International Council on Alcohol, Drugs and Traffic Safety (ICADTS-Klassifizierung) aus dem Jahr 2007.

 

Häufig werden in diesem Zusammenhang die sogenannten »Piloten-Studien« zitiert, bei denen unter simulierten Flugbedingungen die Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit und die Fähigkeit, komplexe Aufgaben zu lösen, getestet wurden. Dabei zeigte sich für Loratadin im Vergleich zu Placebo und klassischen Antihistaminika keine Beeinträchtigung der mentalen und physischen Fähigkeiten von Flugpersonal und Piloten. Auch bei Schulkindern mit Allergie-Vorgeschichte verzeichnete man unter dreitägiger Behandlung mit Loratadin keine Einschränkung der Reaktions- und Lernfähigkeit. Im direkten Vergleich der morgendlichen Gabe von jeweils 10 mg Loratadin beziehungsweise Cetirizin in einer siebentägigen Untersuchung an einer kleinen Patientengruppe zeigte die Loratadin-Gruppe an jedem Tag höhere Motivation und weniger Schläfrigkeit als Patienten der Cetirizin-Gruppe. Der Unterschied machte sich ab etwa zwei Stunden nach der Einnahme bemerkbar.

 

Bei zahlreichen Patienten haben Allergien den Status einer banalen Erkrankung. Statt einer gelegentlichen Einnahme der Medikamente, wie sie häufig bei jüngeren aktiven Patienten anzutreffen ist, sollte den Patienten in der Zeit der Allergenexposition und nicht nur bei einer überschießenden Symptomatik dringend eine tägliche Therapie empfohlen werden. Hinsichtlich möglicher leichter sedierender Effekte mit Cetirizin kommt es häufig innerhalb der ersten fünf Tage zu einer Gewöhnung, die allerdings nicht mit einer Verbesserung der Aufmerksamkeitsleistung verbunden sein muss. Allgemein kann Allergie-Patienten im Beratungsgespräch zunächst Loratadin vorgeschlagen werden, da dieser Wirkstoff bei nahezu fehlender Sedierung ausreichende antiallergische Effekte vermittelt. Gerade bei Tätigkeiten, die erhöhte Aufmerksamkeit und Koordination erfordern, sollte Loratadin der Vorrang gegenüber Cetirizin eingeräumt werden. /

Literatur

Alvarez J et al. 2007: Categorization System for Medical Drugs Affecting Driving Perfomance. Stand 1.3.2011

Bender BG et al. 2001: Children´s School Performance is Not Impaired by Short-Term Administration of Diphenhydramine or Loratadine. J. Ped. 138, 656-660.

Hansen GR 1999: Loratadine in the High Performance Aerospace Environment. Aviat. Space Environ. Med. 70, 919 – 924.

Salmun MD et al. 2000: Loratatine versus Cetirzine: Assessement of Somnolonce and Motivation during the Workday. Clin. Therap. 22, 573-582.

Valk PJ et al. 1997: Effects of a Single Dose of Loratadine on Flying Ability under Conditions of Simulated Cabin pressure. Am. J. Rhinol. 11, 27-33.

Vandrevala T et al. 2010: Road Safety Research Report No 116. Medication and Road Safety: A Scoping Study. Stand 1.3.2011

 

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