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Überreaktives Immunsystem

Toleranzverlust macht krank

Datum 21.03.2018  10:45 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi, Frankfurt am Main / Chronisch-entzündliche Erkrankungen, Allergien und Autoimmunerkrankungen haben in den vergangen Jahrzehnten stark zugenommen. Die Ursache für diese Entwicklung ist nicht vollständig geklärt. Allen Erkrankungen liegt aber ein überreaktives Immunsystem zugrunde.

Chronische Entzündungen haben in der westlichen Welt in der Vergangenheit stark zugenommen. Beispiel Morbus Crohn: »Hier hat sich die Inzidenz in den vergangen 24 Jahren verdoppelt«, berichtete Dr. Volker von Baehr vom Institut für medizinische Diagnostik (IMD) in Berlin auf dem Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt am Main. Mit gleicher Geschwindigkeit erhöhten sich auch die Zahlen für Allergien und Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes und Multiple Sklerose. »Den Erkrankungen ist gemeinsam, dass sie auf immunologischen Überreaktionen beruhen«, sagte der Immunologe.

Das Immunsystem werde meist als Angriffsorgan verstanden, das Pathogene oder Krebszellen beseitigt, dabei sei der größte Teil des Systems damit beschäftigt, zu tolerieren. »Diese Toleranz ist eine wichtige Aufgabe des Immunsystems.« Verliert es die Toleranz gegen einen Stimulus – ein Allergen oder ein körpereigenes Antigen – ist eine überschießende Reaktion die Folge.

 

Warum verlieren aber immer mehr Menschen diese Toleranz? An den Genen könne es nicht liegen, dafür verlaufe die Entwicklung viel zu schnell, sagte von Baehr. Da es sich nicht um Alterserkrankungen handele, könne die Ursache des Anstiegs auch nicht in der demografischen Entwicklung zu suchen sein. Gerade zu Allergien gebe es eine ganze Reihe von Studien, die mögliche Ursachen wie Luftschadstoffe, hohe Hygienestandards, Amalgam oder Impfungen untersucht hätten. Insgesamt gehe man heute davon aus, dass nicht einzelne Faktoren ursächlich sind, sondern eine Vielzahl von äußeren Einflüssen zusammen auf das Immunsystem einwirken, wodurch dieses überreaktiv wird. Hierzu zählen unter anderem Stress, eine westliche Ernährungsweise, Umweltverschmutzung, Pestizide und Lebensmittelzusätze. »Unser Umfeld hat sich zu schnell verändert, als dass sich das Immunsystem an diese Stressoren anpassen konnte«, so von Baehr.

 

Multikausal und individuell

 

Die Faktoren stören das Immunsystem so, dass sich eine chronische unterschwellige Entzündung entwickeln kann. Diese wiederum stört die aktive Arbeit der Immuntoleranz, weshalb Sensibilisierungen oder Autoimmunreaktionen auftreten könnten. Die einzelnen Triggerfaktoren addierten sich solange auf, bis die Immuntoleranz zusammenbreche, sagte der Referent. Das erkläre auch, warum häufig Infektionen mit Erregern wie dem Epstein-Barr-Virus als Auslöser für Autoimmunerkrankungen diskutiert werden. Die Infektion sei dann nicht die Ursache für die Erkrankung, sondern »nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt«, erklärte von Baehr.

 

Wie gut es bei einem Menschen um die Immuntoleranz steht, lasse sich anhand von Markern der chronischen Entzündung bestimmen. Als wichtig nannte der Referent hier den Tumornekrosefaktor (TNF), IP-10, Histamin, Malondialdehyd-modifiziertes LDL (MDA-LDL), Nitrotyrosin und ATP in Leukozyten. MDA-LDL sei ein Marker für oxidativen Stress und Nitrotyrosin für nitrosativen Stress. Das Chemokin IP-10 (Interferon-γ-induced Protein 10 kD), auch CXCL10 genannt, zeige die T-zelluläre beziehungsweise die T-zellulär-induzierte Immunaktivierung an, berichtete von Baehr auf dem vom Institut für medizinische Diagnostik unterstützen Symposium.

 

An Entzündungen seien mindestens drei Systeme mit unterschiedlichen Faktoren beteiligt: Lymphozyten, Mononzyten/Makrophagen sowie die Mastzellen. In der akuten Phase einer Entzündung werde nur ein System hochreguliert, bei einer chronischen Entzündung mehrere, die sich auch gegenseitig aktivieren. Im Mittelpunkt des Geschehens bei einer akuten Inflammation stünden die Zytokine TNF und Interleukin 1 (IL-1). Diese lockten zum einen weitere Immunzellen zum Ort der Entzündung, zum anderen wirkten sie auch auf das Zentralnervensystem, wo sie Fieber, Appetitlosigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung auslösen. Die Zytokine stellten fast den gesamten Organismus auf Energiesparen und katabolen Stoffwechsel um: das Hormonsystem, den Knochen und die Muskeln. Hält die Entzündung länger an und wird chronisch, können die Botenstoffe zu klinischen Symptomen wie Depression, Osteoporose und Schmerzen führen.

 

Schmerzschwelle gesenkt

 

Gerade Schmerzen seien ein Zeichen für eine aktivierte Entzündungskaskade. Die Mediatoren senken die Schmerzschwelle, sensibilisieren also Nozizeptoren, die es in fast allen Geweben gibt. Erkennbar sei dies zum Beispiel an Muskelschmerzen, die bei akuten Infekten auftreten. Beteiligt an diesem Prozess seien die Mediatoren Bradykinin und Histamin in Zusammenspiel mit TNF. »Gerade die Kombination von Histamin und TNF ist problematisch«, sagte der Immunologe. Mastzellen, die den Botenstoff Histamin freisetzen, werden meist auf ihre Rolle bei Allergien reduziert. Dabei würden Mastzellen auf verschiedene Weisen aktiviert und sezernierten mehr als 40 verschiedene Mediatoren. Aktiviert werden Mastzellen neben Allergenen unter anderem auch durch Bakterien, Lipopolysaccharide, Neuropeptide, Substanz P, Oxytocin und Cannabinoide.

 

Die Mastzelle sei lange in ihrer Bedeutung unterschätzt worden, jetzt gelte sie aber zunehmend als Dirigent des Immunsystems, sagte von Baehr. Auch Histamin bewirke deutlich mehr als nur Allergiesymptome. Der Botenstoff wirke über die vier Histamin-Rezeptoren H1 bis H4 und habe auch Auswirkungen auf das Zentralnervensystem. Histamin ist an der Regulation von Durst- und Hungergefühl sowie Körpertemperatur beteiligt, hemmt noradrenerge, serotoninerge, cholinerge, dopaminerge und glutaminerge Neuronen und macht unter anderem die Bluthirnschranke durchlässig für Zytokine. Zudem aktiviert Histamin die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse. Auf diese zentralen Effekte des Histamins hätten Antihistaminika keinen Einfluss, berichtete der Referent. Daher müsse die Forschung an Mastzellstabilisatoren intensiviert werden, forderte er. /

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