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Morbus Bechterew

Rückenschmerzen sind verdächtig

23.03.2010  12:09 Uhr

Von Bettina Sauer, Berlin / Bei chronischen Rückenschmerzen sollten Heilberufler auch an Morbus Bechterew denken und die Betroffenen sicherheitshalber zum Rheumatologen schicken.

»Fünf bis zehn Jahre vergehen in der Regel, bis Patienten mit Morbus Bechterew die richtige Diagnose und damit die passende Therapie bekommen«, sagte Professor Dr. Jens Gert Kuipers, Chefarzt der Klinik für internistische Rheumatologie am Roten Kreuz Krankenhaus Bremen, Anfang März bei einem Pressegespräch des Pharmaunternehmens Abbott in Berlin.

Denn das früheste Anzeichen der rheumatischen Erkrankung wie auch ihr Leitsymptom im weiteren Verlauf seien chronische Rücken­schmerzen – die aber könnten auf viele mögliche Ursachen zurückge­hen. »Ärzte bringen sie zu selten mit Morbus Bechterew in Verbin­dung.« Zudem zeigen sich auf Röntgenaufnahmen erst Jahre nach dem Beginn typische Spuren der Krankheit.

 

Krummer Gang, gesenkter Blick

 

Dabei kommt es zu chronischen Entzündungsprozessen der Wirbelsäule, die in Schüben verlaufen und allmählich zu einer knöchernen Versteifung führen. Deshalb bezeichnen Mediziner die Krankheit auch als ankylosierende Spondylitis (AS) oder Spondylitis ankylosans. Die genauen Ursachen und Entstehungsmechanismen liegen noch im Dunkeln, doch scheint ein Gen namens HLA-B27 eine zentrale Rolle zu spielen. »Es kommt hierzulande bei über 90 Prozent der Morbus-Bechterew-Patienten vor, aber nur bei unter 10 Prozent der Normalbevölkerung«, erklärte Dr. In-Ho Song, Assistenzarzt an der Rheumatologie am Campus Benjamin Franklin der Charité – Universitätsmedizin Berlin, bei der Veranstaltung. Auch mit einigen anderen rheumatischen Erkrankungen lässt sich das Gen in Verbindung bringen. Mediziner bündeln die ganze Gruppe unter dem Oberbegriff der Spondyloarthritiden.

 

Typischerweise trete die AS zwischen dem 20. und 45. Lebensjahr auf, betreffe Männer etwa doppelt so häufig wie Frauen und verlaufe individuell sehr unterschiedlich, sagte Kuipers. »In schweren Fällen und späten Stadien verkrümmt sich der Rücken der Betroffenen stark, und sie können den Blick kaum noch vom Boden heben.« Viele Patienten entwickelten weitere entzündliche Erkrankungen, vor allem des Auges (Uveitis), der Sehnen (Enthesitis), der Haut (Schuppenflechte), des Darms (Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa) und verschiedener Gelenke. So beginne die AS bei fast allen Patienten mit einer Entzündung der Sakroiliakalgelenke (Sakroiliitis), die sich am unteren Ende der Wirbelsäule befinden.

 

Entsprechend aufmerksam müssten Ärzte ihre Patienten untersuchen. Als Leitsymptom nannten Kuipers und Song Rückenschmerzen, die bei Menschen unter 45 Jahren erstmals auftaten, länger als drei Monate bestehen und sich nachts, morgens und in Ruhe verschlimmern. »Die Betroffenen brauchen unbedingt eine Abklärung beim Rheumatologen«, betonte Song. Um das Problem stärker ins Bewusstsein zu rücken, entwickelten er und seine Kollegen von der Charité einen Selbsttest, der sich auf ihrer Homepage im Internet (www.rheumatologie-berlin.de) ausfüllen lässt.

 

Mix von Hinweisen führt zur Diagnose

 

Als zentrale Instrumente für die Diagnose nannte Song einen Bluttest auf HLA-B27, beziehungsweise den Nachweis der Sakroiliitis durch Röntgen- oder magnetresonanztomografische Aufnahmen des Beckenbereichs. »Die Magnetresonanztomografie verursacht hohe Kosten, zeigt aber dafür die Entzündung schon in sehr frühen Stadien«, sagte Song. Die Diagnose sei zu stellen, wenn mehre diagnostische und klinische Hinweise zusammenträfen: Nämlich entweder der Nachweis der Sakroiliitis plus ein weiteres Anzeichen oder ein positiver HLA-B27-Befund plus zwei weitere Anzeichen. Dabei stützte Song sich auf aktualisierte Empfehlungen, die 2009 in den »Annals of the Rheumatic Diseases« (Doi: 10.1136/ard.2009.108233) erschienen sind. Sie stammen von der internationalen Fachgesellschaft ASAS (die Abkürzung steht für »Assessment of SpondyloArthritis International Society«).

 

Auch für die Bechterew-Therapie entwickelte die ASAS Empfehlungen, und zwar zusammen mit einer weiteren Fachgesellschaft namens EULAR (»European League Against Rheumatism«). Sie erschienen 2006 in den »Annals of the Rheumatic Diseases« (Doi: 10.1136/ard.2005.041137). Demnach besteht die Basisbehandlung für alle Patienten – unabhängig vom Stadium–in Schulungen, Physiotherapie und viel Bewegung, um die Funktion der Wirbelsäule und der Gelenke so gut wie möglich zu erhalten. Zusätzlich benötigen die Betroffenen Medikamente. Dabei sollten Ärzte den ASAS-/EULAR-Empfehlungen zufolge zunächst nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen, Diclofenac oder Coxibe erproben. »Sie zeigen verschiedenen klinischen Studien zufolge eine gute Wirksamkeit gegen die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen bei Morbus Bechterew«, sagte Song. Um das Nebenwirkungsrisiko so gering wie möglich zu halten, empfahl er die Einnahme möglichst nur im Schub und gegebenenfalls unter Beigabe eines Präparats zum Magenschutz. »Allerdings deutet eine klinische Studie auf einen Vorteil der Dauertherapie hin, nämlich eine Verlangsamung der Verknöcherung der Wirbelsäule. Weitere Untersuchungen müssen also zeigen, wie die NSAR am sinnvollsten einzusetzen sind.«

 

Forschung muss weitergehen

 

Besteht auch unter verschiedenen, jeweils über etwa sechs Wochen erprobten NSAD eine stark belastende Krankheitsaktivität, empfehlen ASAS und EULAR die Gabe der relativ neuen TNF-α-Blocker, die auch zur Therapie anderer rheumatischer Erkrankungen dienen. »Sie zeigen allen klinischen Studien zufolge eine gute, lang anhaltende und offenbar gruppenübergreifend vergleichbare Wirksamkeit bei Morbus Bechterew«, sagte Song. Entsprechend sind in Deutschland derzeit Infliximab, Etanercept, Adalimumab und Golimumab für dieses Einsatzgebiet zugelassen und erstattungsfähig, aber nur bei eindeutiger Diagnose und schwerem Krankheitsverlauf.

 

Als weniger gut belegt charakterisieren ASAS und EULAR die Wirksamkeit von Methotrexat, Sulfasalazin und anderen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika bei Morbus Bechterew. »Zudem sprechen einige Patienten auf sämtliche bislang verfügbaren Medikamente nur unzureichend an«, sagte Song. »Deshalb darf die rheumatologische Forschung nicht aufhören.« Als letzte derzeit verfügbare Behandlungsmöglichkeit nennen ASAS und EULAR operative Eingriffe. So können Chirurgen stark zersetzte Gelenke ersetzen und eine massiv verkrümmte Wirbelsäule aufrichten. »Bei vielen Patienten kommt es aber nicht so weit«, beruhigte Kuipers. Um die Chance auf ein weitgehend schmerzfreies und bewegliches Leben zu erhöhen, empfahl er eine möglichst frühe Bewegungs- und Arzneimitteltherapie. Deshalb dürfe die Diagnose nicht so lange wie bisher auf sich warten lassen. /

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