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H1N1

Zwischenbilanz einer Pandemie

16.03.2010  15:08 Uhr

Von Christina Hohmann, Frankfurt am Main / Das H1N1-Virus hat alle überrascht: Die Schweinegrippe-Pandemie verlief deutlich milder als von Experten befürchtet. Sie hat vor allem gezeigt, dass neue Viren mit bisherigen wissenschaftlichen Methoden nicht einzuschätzen sind.

Vor einem Jahr tauchte der Erreger der Schweinegrippe, das Influenza-A-Virus H1N1, das erste Mal auf, verbreitete sich rasch um die Welt und hielt die Menschheit in Atem. Im Juni 2009 rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pandemiestufe 6 aus, was eine Reihe von Vorsorgemaßnahmen, unter anderem die massenhafte Produktion von Impfstoff, in Gang setzte. Der Erreger erwies sich jedoch als deutlich harmloser als angenommen. War die Aufregung berechtigt? Waren die aufwendigen Vorsorgemaßnahmen angebracht? Über diese Fragen diskutierten Experten auf der »Interpharm 2010« in Frankfurt am Main.

Da die Schweinegrippe-Pandemie bei Weitem nicht das Ausmaß früherer Grippeepidemien erreichte, treten mittlerweile Zweifel auf, ob es sich tatsächlich um eine Pandemie handelte. Professor Dr. Klaus Cichutek, Leiter des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), ist sich sicher: »Es war eine Pandemie und ist es immer noch.« Es sei ein nachhalti­ges, weltweites Infektionsgesche­hen zu beobachten. Man müsse sich von dem landläufigen Bild einer Pandemie mit Millionen von Toten verabschieden. Zwar berücksichtige die WHO die Pathogenität des Erregers. Aber ihre Entscheidun­gen, wie das Ausrufen der Warn­stufen, müsse sie sehr früh treffen, wenn die Gefährlichkeit des Erregers noch nicht abzuschätzen ist. Die Wissenschaft hat kaum Möglichkeiten, die Pathogenität neuer Viren zu ermitteln. Das Erbgut lässt sich rasch entschlüsseln, doch Informationen über die Gefährlichkeit des Erregers können Wissenschaftler daraus bis heute nicht gewinnen. Weltweit sei man diesbezüglich schlecht aufgestellt, sagte Cichutek. Hier ist viel Forschungsarbeit nötig, um die Prognosemöglichkeiten zu verbessern.

 

Auch die Epidemiologie sei noch nicht richtig verstanden, sagte Dr. Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums in Freiburg. Die Zahlen zu Infektionsraten und Mortalität aus den vergangenen Monaten seien unzuverlässig. Offiziell hätten sich in Deutschland 225 000 Menschen mit dem Erreger infiziert, 241 seien gestorben. »Diese Zahlen sind aber mit großen Fragezeichen zu versehen.« Auch das Abschätzen des Verlaufs einer möglichen nächsten Welle sei hoch spekulativ, so Antes.

 

Die Wissenschaft sei bislang nicht in der Lage, vorherzusagen, ob noch weitere Wellen kommen, stellte auch Professor Dr.  Theodor Dingermann von der Universität Frankfurt am Main fest. Um geeignete Prognoseverfahren zu entwickeln, sei ein erheblicher Forschungsaufwand nötig. Dennoch warnte er, den Erreger zu unterschätzen: »Die Brisanz der Biologie dieses Virus ist in keiner Weise verschwunden.« Es bestünde immer noch die Möglichkeit, dass es sich verändere. Aus diesem Grund hält er es für sehr bedenklich, dass sich die Bevölkerung nicht hat impfen lassen. Nur etwa 5 bis 10 Prozent der Deutschen sind je nach Bundesland zur Impfung gegangen.

 

In diesem Zusammenhang kritisierte Cichutek die Berichterstattung in einigen Medien. Durch bruchstückhafte und falsche Informationen hätte sie die Angst vor der Impfung geschürt. Die Sorge richtete sich damals vor allem gegen den in der Pandemievakzine Pandemrix enthaltenen Wirkverstärker AS03, der angeblich nicht ausreichend getestet war. Von einem »Großversuch an der deutschen Bevölkerung« sprachen einige Kritiker. Diesem Vorwurf widersprach Cichutek. Zum einen hätte man AS03 in klinischen Studien mit insgesamt 20 000 Personen erprobt. Zum anderen sei es fast identisch aufgebaut wie der Wirkverstärker MF59, der seit 1997 in dem saisonalen Grippeimpfstoff Fluad® enthalten ist und seitdem etwa 30 Millionen Mal verimpft wurde, ohne dass ein auffälliges Nebenwirkungsprofil auftrat. Dass die Sorgen unberechtigt waren, zeigten die Daten der Massenimpfung: Der Pandemieimpfstoff ist mindestens so sicher wie bei der Zulassung angenommen. »Die Realität hat uns recht gegeben«, sagte Cichutek.

 

Wer noch nicht geimpft ist, könne dies jetzt noch nachholen. Derzeit sei es zwar schwierig vorherzusagen, wie sich das H1N1-Virus entwickelt, doch Erfahrungen mit früheren Grippepandemien zeigten, dass einer milden ersten Welle heftigere Wellen in den späteren Jahren folgten. Aus diesem Grunde sei er froh, dass Pandemrix eine Haltbarkeit von zwei Jahren besitzt, sagte Cichutek. Zudem wird der saisonale Grippeimpfstoff der kommenden Saison eine H1N1v-Komponente enthalten.

 

Logistik noch verbesserungsfähig

 

Insgesamt sei Deutschland auf die Pandemie gut vorbereitet gewesen, sagte Cichutek. Durch Vorbestellungen habe man sich rechtzeitig Bestellmöglichkeiten gesichert, und auch die Impfstoffproduktion an sich habe, abgesehen von einer kurzen Verzögerung, gut funktioniert. Die Logistik der Impfstoffauslieferung sei aber noch verbesserungsfähig, sagte Walter Frie vom Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen. Man habe sich mit den Kammern und Verbänden zusammengesetzt, um mögliche Verbesserungen zu besprechen.

 

Dies hielt Antes für zu wenig. Er forderte eine völlige Umstellung der Pandemieplanung vom föderalistischen auf ein zentralistisches System: »Wir müssen den Schritt zu Zentralisierung machen«. Mit den derzeitigen Strukturen sei eine akute Gefahrensituation nicht zu meistern. /

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