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Tierversuche

Von Mäusen und Menschen

26.02.2013  15:26 Uhr

Von Annette Mende / Obwohl sie in Forschungslaboren weltweit dafür eingesetzt werden, eignen sich Mäuse als Tiermodelle für menschliche Erkrankungen eigentlich nicht besonders gut, wie eine aktuelle Untersuchung zeigt. Auf Entzündungsreize reagieren Mäuse ganz anders als Menschen.

Mäuse sind üblicherweise die ersten, die einen neuen Arzneistoff verabreicht bekommen, bevor dieser in klinischen Prüfungen an Menschen getestet wird. Das ist sinnvoll, etwa um die Toxizität der Wirkstoffkandidaten abzuschätzen, ohne Menschen zu gefährden. Da Mäuse aber nun mal keine Menschen sind, ist die Aussagekraft solcher Tierversuche limitiert.

Das gilt vor allem in Bezug auf das menschliche Immunsystem, bei dessen Erforschung sich Wissenschaftler nicht zu sehr auf Tiermodelle stützen sollten. Kritiker bemängeln das seit Jahren und verweisen darauf, dass von 150 Substanzen, die immerhin schon in klinischen Studien auf ihre Potenz zur Blockade der Entzündungsantwort bei Intensivpatienten getestet wurden, keine einzige Marktreife erlangte. Wie gut Mausmodelle abbilden, was in einem menschlichen Körper bei einer Entzündung passiert, sei nie systematisch untersucht worden, schreibt ein internationales Forscherteam um Junhee Seok von der Stanford University im Fachjournal »PNAS«
(doi: 10.1073/pnas.1222878110).

 

Seok und Kollegen wollen mit ihrer Publikation diese Wissenslücke schließen. Mittels genomweiter Expressionsanalysen untersuchten sie, welche Gene in weißen Blutkörperchen von Patienten nach einem stumpfen Trauma beziehungsweise einer Brandverletzung sowie von gesunden Freiwilligen nach der Injektion von niedrigen Dosen bakterieller Endotoxine aktiviert werden. Diese Daten verglichen die Forscher mit denen aus analogen Proben von Versuchsmäusen.

 

Es zeigte sich, dass Menschen auf den akuten Entzündungsreiz unabhängig von dessen Auslöser nahezu identisch reagierten. Die Genantworten der Mäuse fielen dagegen sehr unterschiedlich aus. Sie waren nicht nur untereinander sehr verschieden, sondern stimmten auch mit denen der Menschen sehr schlecht überein. Beim Vergleich der genetischen Veränderungen der beiden Spezies stützten sich die Wissenschaftler auf sogenannte orthologe Gene. Das sind Gene, die entwicklungsbiologisch auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgehen. Laut Seok und Kollegen war die Korrelation zwischen den Genen, die bei den menschlichen Probanden aktiviert oder gedrosselt wurden, mit den Orthologen der Mäuse »nahezu zufällig«.

 

Um Tiermodelle zu entwickeln, die mit dem menschlichen Vorbild besser übereinstimmen, sollten aus Sicht der Autoren künftig die Gene stärker berücksichtigt werden. Dazu müssten zunächst die genetischen Veränderungen bei diversen Krankheiten noch besser verstanden werden. Die Qualität eines Tiermodells solle sich daran messen, wie gut es die menschliche Erkrankung auf molekularer Ebene abbildet. Daneben könne die Weiterentwicklung von In-vitro-Modellen, etwa mit isolierten Zellen oder Geweben, eine Alternative darstellen. /

Kommentar

Fundamentale Fehlentwicklung

Für Tierexperimente gilt – genau wie für klinische Studien – die Forderung nach ihrer grundsätzlichen Berechtigung und nach maximaler Qualität, spezifiziert durch ein forschungsethi-sches Regelwerk. Die Arbeit von Junhee Seok stellt die Zweckmäßigkeit und Sinnhaftigkeit vieler Tierversuche fundamental infrage und ist damit von hoher Relevanz. Die Notwendigkeit als letzte Stufe vor der ersten Verabreichung eines neuen Medikaments am Menschen scheint weiterhin nicht infrage zu stehen. Doch dieser Übergang ist nicht so unkritisch, wie er scheint.

 

Wie auf der anderen Seite Tierversuche als Erkenntnisquelle für neues Wissen vermarktet werden, sieht eher aus wie eine fundamentale Fehlentwicklung. Was dort als »vielversprechend« für eine spätere Anwendung am Menschen angepriesen wird, kommt diesem Ziel in vermutlich 90 Prozent aller Fälle nicht einmal nahe. Auch dort scheint jetzt jedoch Besinnung einzukehren. Das Lancet-Motto »Research in Context« ist auch bei den Tierexperimenten angekommen. Das heißt, der systematische Review bisheriger Tierexperimente steht zwingend am Beginn jedes neuen Tierexperiments. Am Ende folgt die Einbettung der neuen Erkenntnisse in das bestehende Wissen.

 

Anfang März 2013 werden auf dem 2. »Symposium on Systematic Reviews in Laboratory Animal Science« in Edinburgh die überfälligen Verbesserungen in der Tierversuchsforschung weiter diskutiert und in hoffentlich entsprechende Forderungen umgesetzt (http://systematicreviewsofanimaldata.weebly.com/).

 

Professor Dr. Gerd Antes

Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums

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