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Alkoholische Arzneien

Von Likörweinen und Läuseessig

Datum 21.02.2012  15:46 Uhr

Von Ulrike Abel-Wanek / Mit Wein berauschen sich die Menschen seit rund 8000 Jahren. Doch nicht nur als Genuss-, sondern auch als Arzneimittel war die alte Kulturpflanze von großer Bedeutung. Welche Rolle Wein und Alkohol für die Apotheke hatten und haben, zeigt eine Sonderausstellung des Brandenburgischen Apothekenmuseums in Cottbus.

Gegen Komatrinken gab es im 16. Jahrhundert ein einfaches Rezept: Wein durfte zeitweise nur noch als Arznei in Apotheken verkauft werden. Wie schon bei den Giften, wiesen die Behörden den Pharmazeuten diese besondere Aufgabe zu, um dem Missbrauch von Alkohol entgegenzutreten – so beispielsweise in Hessen laut einer Anordnung aus den Jahren 1526 und 1537.

Wein auszuschenken hat in Apotheken eine lange Tradition. Häufig betrieb der Apotheker bis zum Ende des 18. Jahrhunderts neben seiner Apotheke sogar eine öffentliche Trinkstube, in der er vor allem Wein, aber auch Branntwein und manchmal Bier verkaufte. Reiner Wein – ohne Zusätze von Arzneistoffen – galt als Stärkungsmittel und wurde Kranken und Genesenden zur Rekonvaleszenz empfohlen. Der Verkauf in den Trinkstuben war jedoch nur ein – wenn auch einträgliches – Nebengeschäft für die Pharmazeuten. In der Hauptsache diente der Wein als Träger für Arzneizubereitungen, medizinische Weine und Tink- turen.

 

Die unterschiedlichsten Weine kamen in den vergangenen Jahrhunderten in den Apotheken zum Einsatz. Dass nur ausgesprochen hochwertige Sorten für die Zubereitung von Arzneien verwendet wurden, darüber wachte der Gesetzgeber. Deutsche Rhein-, Pfälzer- und Moselweine, französischer Burgunder, österreichisch-ungarischer Tokayer, spanischer Malaga und Sherry, portugiesischer Madeira, aber auch afrikanische und asiatische Weine fanden seit dem späten Mittelalter bis weit ins 19. Jahrhundert ihren Weg in die Offizinen. Besonders die süßen, aromatischen Sorten erfreuten sich großer Beliebtheit. Sie überdeckten den Geschmack der häufig bitteren Arzneistoffe und waren ein willkommenes Mittel zur Förderung der Patienten-Compliance.

Für die »Vina medicata« – einer Lösung oder Mischung von Arzneimitteln mit Wein – zerkleinerte der Pharmazeut die erforderlichen Arzneibestandteile und übergoss sie mit dem vorgeschriebenen Rebensaft. Täglich wurde die Mixtur geschüttelt, schließlich abgegossen und wenn nötig gefiltert. Populär waren der Vinum Absinthii gegen Magenbeschwerden, Vinum aromaticum, ein alkoholischer Auszug von Cassiazimt, Kardamon, Nelken, Galgant und Ingwer zur Förderung der Verdauung oder Vinum Pepsini, eine Zubereitung mit dem Ferment Pepsin, die immer noch angefertigt wird.

 

Wichtiger als die Medizinischen Weine war für Apotheker jedoch der im Wein enthaltene Weingeist. Der hoch konzentrierte Alkohol löste die wasserunlöslichen Inhaltsstoffe aus pflanzlichen und tierischen Drogen heraus, sodass sie zu Extrakten und Tinkturen weiterverarbeitet werden konnten. Außerdem verhinderte er eine mögliche Wertminderung oder Zerstörung der gelösten Substanzen. Seine konservierende Wirkung führte zu einer deutlich höheren Haltbarkeit der Präparate – unschätzbare Vorteile, die Apotheker und pharmazeutische Industrie heute noch nutzen.

Der aus Wein, aber auch verschiedenen Getreide­arten, Zuckerrohr oder Kartoffeln destillierte Spiritus oder Weingeist fand Verwendung als Arznei und Genussmittel. Franzbranntwein wurde noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts aus vergorenem Weintrester hergestellt und nicht nur für Einrei­bungen, sondern auch zum Trinken gerne genommen. Heute besteht der ausschließlich äußerlich anzuwendende »Schnelldreher« aus der Apotheke aus verschiedenen Zusätzen wie Kampfer und Menthol und industriell gefertigtem Spiritus.

 

In einer guten Apotheke führte man außer alkoho­li­schen Getränken aus Weinbeeren auch jamaikani­schen Bay-Rum aus Zuckerrohr, Batavia-Arrac, der aus Reisstärke und Zuckerpalmen gewonnen wurde, Getreide-Branntweine, Kaffee- und Eierlikör, Kräuterliköre, Anisette und Punschessenzen. Fast jede Apotheke kreierte ihren eigenen Kräuterlikör, für den die Pharmazeuten ihre spezifischen Kenntnisse über in- und ausländische Drogen nutzten, um alkoholische Pflanzenauszüge zuzubereiten. Alkohol, der für die Zubereitung von Heilmitteln verwendet wurde, unterlag keiner staatlichen Alkoholsteuer – ein Umstand, gegen den der Gastwirte und Weinhändler heftig protestierten.

Wein in der Apotheke

Nicht nur Wein und Alkohol fanden Verwendung in der Apotheke. Fast alle Teile der Weinpflanze wurden für die Arzneizubereitung genutzt. Eine Traubenkur mit frisch ausgepressten Weintrauben sollte die Verdauung fördern und wirkte leicht harntreibend. Im späten Mittelalter war es üblich, durch Eindicken des Mosts ein Weinmus herzustellen, das als Brotaufstrich sehr geschätzt wurde. Der Saft unreifer Trauben in Salben verarbeitet half angeblich gegen Flechten und aufgesprungene Lippen. Die getrockneten Beeren, also Rosinen, Sultaninen und Korinthen, dienten dem Süßen vieler Nahrungsmittel und verbesserten den Geschmack in Käutermischungen für Brust- und Hustentees, aber auch in Blasen-, Nieren- und Abführtees.

 

Auch die Blätter und Fruchtstiele der Weinpflanze fanden Eingang in die Arzneizubereitung. Wunden wurden zur besseren Heilung mit zerstoßenen frischen Blättern belegt, und der Saft der Blätter soll bei Magenbeschwerden und gegen Durchfälle gewirkt haben. Die erwünschte milde Wirkung beruht wahrscheinlich auf dem Gehalt an Gerbstoffen und Pflanzensäuren.

 

Das als Weinstein bezeichnete Kaliumsalz der Weinsäure wurde früher als starkes Abführmittel verordnet, während die reine Weinsäure als gut verträgliche Säure in Brausepulvern verarbeitet wurde. Heute nimmt man Weinsäure in der Backwarenindustrie und zur Speiseeisherstellung.

Auch Essige standen auf der Liste der Arzneiformen, mit denen der Apotheker die Gebrechen seiner Kunden versuchte zu kurieren: Fingerhut- oder Meerzwiebelessig bei der Erkrankung des Herzens oder der noch bis etwa 1960 bekannte Acetum Sabadillae oder Läuseessig. Sabadillsamen enthalten das hoch giftige Veratrin, das Läuse abtötet. Die Anwendung war nicht ganz ungefährlich, denn kam die Lösung auf verletzte Haut durch beispielsweise vorheriges Kratzen, wäre es zu schweren Vergiftungserscheinungen gekommen. /

 

Quelle

Ulrich Gerasch, Zur Geschichte der Apotheken: In vino veritas, Schriftenreihe des Brandenburgischen Apothekenmuseums in Cottbus, Heft 15

In vino veritas

Die Ausstellung »In vino veritas« ist bis Dezember 2012 zu sehen:

 

Brandenburgisches Apothekenmuseum, Altmarkt 24, 03046 Cottbus,

Telefon: 0355 23997,

Fax: 0355 3831848,

info(at)brandenburgisches-apothekenmuseum.de

www.niederlausitzer-apothekenmuseum.de

 

Führungen:

Di. bis Fr.: 11 und 14 Uhr,

Sa. und So.: 14 und 15 Uhr

und nach Vereinbarung.

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