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Rationierung

»Irgendjemand kommt immer zu kurz«

23.02.2010  16:05 Uhr

Von Werner Kurzlechner, Berlin / In der Debatte über Priorisierung wird mittlerweile schon darüber diskutiert, wer den Kritierienkatalog dafür erarbeiten soll. An der Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses für diese Aufgabe gibt es Zweifel.

Immerhin Professor Dr. Walter Schaffartzik sieht noch Luft. Der Ärztliche Leiter am Unfallkrankenhaus Berlin wies bei dem Symposium für Juristen und Ärzte der Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen einen Weg aus den Engpässen der medizinischen Versorgung, an dem kein Schild mit der Aufschrift »Priorisierung« steht.

Die aktuelle Lage in seinem Klinikum sei kritisch, so Schaffartzik. Nur mit viel Mühe habe man der Verwaltung in der Hauptstadt zwölf dringend benötigte zusätzliche Intensivbetten abringen können. Allerdings seien die 19 500 Krankenhausbetten in der Hauptstadt im Jahr 2008 nur zu 82 Prozent belegt gewesen. »Die Frage muss lauten: Was machen wir mit den übrigen 18 Prozent«, so Schaffartzik. »So ist die Lage in Berlin, und so sieht es überall in der Bundesrepublik aus.« Es gibt demnach durchaus noch Spielräume, durch effizientere Verteilung der Ressourcen den wachsenden finanziellen Druck im Gesundheitswesen auszugleichen.

 

Verdeckte Rationierung ist Alltag

 

Andere Teilnehmer am Symposium sprachen hingegen über die alltägliche verdeckte Rationierung und darüber, dass die Luft in der Versorgung unweigerlich zu dünn werde. So betrachtet ist Priorisierung schlicht alternativlos. Dann bleibt als Frage nur noch die, nach welchen Kriterien priorisiert wird und wer darüber entscheidet. Die Diskussion darüber folgt inzwischen den unterschiedlichen Blickwinkeln der Heilberufler, Ökonomen, Juristen und Politiker. Während Mediziner die Kluft aus dem beruflichen Ethos des Heilens und der ganz realen Budgetierung ausbalancieren müssen, versucht die Politik, den Bürgern und Wählern die Angst vor medizinisch vermeidbarem Leiden oder gar dem Tod auf der Warteliste zu nehmen.

 

Professor Dr. Eckhard Nagel vom Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth zeigte dafür aus ökonomischer Perspektive kein Verständnis. Man komme um für Betroffene schmerzhafte Entscheidungsprozesse nicht herum: »Irgendjemand kommt zu immer zu kurz«, so Nagel, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist. Genau deshalb müssten jedoch Maßstäbe für rechtlich einwandfreie, breit gestützte Priorisierung entwickelt werden. »Wir brauchen dabei Bürgerbeteiligung, wie es sie in England schon gibt«, forderte Nagel.

 

Professor Dr. Christian Katzenmeier vom Institut für Medizinrecht der Universität Köln warb ebenfalls für einen Kriterienkatalog, der Transparenz und Klarheit schaffe. Sorgen bereiteten hierzulande abschreckende Beispiele wie England, wo die Krankenversicherung von 70 Jahren an aufwärts keine künstliche Hüfte mehr bezahle. »Aber das ist eine Frage der Ausgestaltung«, sagte der Jurist Katzenmeier. Es müssten Priorisierungskriterien nach den in der Bundesrepublik geltenden Wertvorstellungen entwickelt werden. Dabei müssten neben Nützlichkeits- auch Gerechtigkeitserwägungen eine Rolle spielen.

 

Nicht zumutbar sei es, die Ärzte weiterhin dem Konflikt zwischen Helfen und Kostenkontrolle auszusetzen, so Katzenmeier. Die Entscheidung über Priorisierungskriterien müsse »möglichst weit weg vom Krankenbett« gefällt werden. Auch rechtlich sei längst eine unhaltbare Situation entstanden. Einerseits zwinge das Sozialgesetzbuch die Mediziner zu Wirtschaftlichkeit. Andererseits drohten über das Haftungsrecht Schadensersatzansprüche, weil der Leistungsanspruch der Patienten fortbestehe.

 

Neues Gremium nötig

 

In der Pflicht zum Handeln sieht der Jurist ganz klar den Gesetzgeber. »Wir haben im Staatsrecht die Wesentlichkeitstheorie«, so Katzenmeier. »Das greift hier, weil es um die Grundrechte der Bürger geht.« Für die Ausgestaltung des geforderten Kriterienkatalogs müsse der Bundestag in der Praxis wohl ein neues Gremium einberufen. Der bestehende Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) sei jedenfalls ungeeignet. »Der GBA ist nicht ausreichend demokratisch legitimiert«, so Katzenmeier. Außerdem müssten Patientenvertreter im Prozess mitentscheiden können. Ein Anhörungsrecht wie im GBA reiche nicht aus.

 

Das Priorisierungsthema wurde während des Symposium mit ethischen Aspekten in Katastrophenfälle verknüpft. Dr. Sigurd Peters, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin, führte dazu aus, dass nach extremen Unfällen mit vielen schweren Verletzungen Ärzte um heikle Entscheidungen nicht herumkämen. Etwa die, einen Knochenbruch später zu behandeln, weil andere Menschen noch schwerer beeinträchtigt seien. Derartige Konflikte müssten Ärzte aushalten können, sagte Peters. /

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