State of the art und Perspektiven |
16.02.2009 15:09 Uhr |
<typohead type="3">MS: State of the art und Perspektiven
»Multiple Sklerose findet sich vornehmlich bei Individuen nordeuropäischer Abstammung, die in Ländern hoher Breitengrade leben«: Hintergründe zur MS-Ätiologie und -Pathogenese sowie etablierte und zukünftige Behandlungsansätze zeigte Professor Dr. Roland Martin, Hamburg, auf.
Martin verwies auf die komplexe genetische Basis der MS als Autoimmunerkrankung, die mit Entmarkung und Gliose sowie axonalen Schäden und makroskopisch nachweisbaren, bei Betasten hart und sklerotisch anmutenden Läsionen im ZNS einhergeht. Als typische Erstmanifestationszeichen hob der Referent Sehnervenentzündungen, isolierte Gefühlsstörungen wie Parästhesien und Dysästhesien, halbseitige oder beidseitige Gefühlsstörungen und Lähmungserscheinungen beziehungsweise Ataxie hervor. Im weiteren Verlauf der Erkrankung, so Martin, können nahezu alle Funktionen des ZNS betroffen sein und zu sensiblen, sensorischen Ausfällen, Schäden des autonomen Nervensystems unter anderem mit Blasen-, Mastdarmfunktions- und Koordinationsstörungen, Fatigue, neurokognitiven Ausfällen, Depressionen und Schmerzen führen.
Werden klinisch vier Verlaufsformen beziehungsweise Stadien der MS unterschieden, so beginnen 80 bis 85 Prozent der Patienten mit schubförmig-remittierender MS und gehen dann in die sekundär progrediente Form über. Circa 10 Prozent der Patienten weisen von Beginn an einen primär-progredienten Verlauf auf. Die momentane MS-Standardtherapie, so Martin, umfasst je nach Schwere der Erkrankung die Schubtherapie mit Steroiden oder Plasmapherese sowie die Basis- und Eskalationstherapie mit Interferon-beta (IFN-β), Glatirameracetat (GA), Mitoxantron und Natalizumab. »Alle gegenwärtigen Behandlungen zielen auf die frühe, entzündliche Phase der Erkrankung«, betonte der Referent. »Alle zugelassenen Substanzen sind zu injizieren oder zu infundieren und sind wie IFN-ß oder GA entweder nur mäßig wirksam oder haben wie Natalizumab und Mitoxantron ein erhebliches Nebenwirkungspotenzial.«
Derzeit sei eine große Zahl sehr unterschiedlicher MS-Therapie-Ansätze in der klinischen Prüfung, die von monoklonalen Antikörpern über konventionelle Immunsuppressiva und Chemotherapeutika bis hin zu Hormonen, Vitamin(derivat)en und Wachstumsfaktoren wie Erythropoetin reichen. Auch neuroprotektive Strategien und regenerative Ansätze sind in der Prüfung.
Wichtigste Herausforderung der nächsten Jahre ist laut Martin die Zulassung oral wirksamer Therapien. In diesem Zusammenhang hob er Substanzen hervor, die sich derzeit in Phase II und III der klinischen Prüfungen befinden: Statine, Cladribin, Fingolimod, Laquinimod, Teriflunomid und Fumarat. Als in Entwicklung befindliche Antikörper nannte er Alemtuzumab, Rituximab, Daclizumab sowie Ustekinumab, das hoch effektiv bei Psoriasis ist, sich jedoch in einer Phase-II-Studie mit 240 MS-Patienten gegenüber Placebo als nicht wirksam erwies. Die Studie wurde gestoppt. Die Resultate mit Ustekinumab hätten wichtige Fragen zur MS-Pathogenese aufgeworfen.
»Raus mit dem alten und rein mit dem neuen Immunsystem«: Große Bedeutung könnte zukünftig der autologen hämatopoetischen Stammzelltransplantation (aHSCT) zukommen, mit der im vergangenen halben Jahr am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf vier Patienten behandelt wurden. Die zu klärende Frage sei, ob die aHSCT zu einer lang andauernden, aber letztlich vorübergehenden Immunsuppression oder aber zu einem wirklichen »Zurückstellen der immunologischen Uhr« mit nachfolgender Immuntoleranz und MS-Stopp führt. Derzeit gehe man davon aus, dass die autoimmune Entzündung unterbrochen und die aHSCT zur kompletten Erneuerung des Immunrepertoires führt. Zukünftig, so Martin, wird es wichtig sein herauszufinden, welche Patienten am besten für die aHSCT geeignet sind und in welchem Stadium die Behandlung erfolgen sollte.