Betroffene schlecht versorgt |
08.04.2008 16:59 Uhr |
<typohead type="3">Betroffene schlecht versorgt
Von Gudrun Heyn, Berlin
Seltene Erkrankungen sind in den letzten zehn Jahren immer mehr ins öffentliche Interesse gerückt. Die Forschung wurde verstärkt, und Zulassungsbedingungen für Medikamente erleichtert. Der einzelne Patient profitiert davon bislang noch nicht.
Seltene Erkrankungen sind keine vergessenen Erkrankungen mehr. Nicht zuletzt durch die europäische Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden aus dem Jahr 2000 ist das Interesse an den »verwaisten Erkrankungen« (engl.: Orphan Diseases) erheblich gewachsen. So werden Zulassungsgebühren erlassen und den Unternehmen bessere Marktkonditionen für entsprechende Präparate gewährt. Um die nationalen Kapazitäten in der Erforschung und Versorgung seltener Erkrankungen zu bündeln, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2003 zudem zehn krankheitsspezifische Netzwerke mit 31 Millionen Euro, seit Mai 2007 werden auf europäischer Ebene Forschungsaktivitäten mit fast 13 Millionen Euro unterstützt. Und seit Januar 2008 gibt es 80 Millionen Euro von der Bundesregierung, um in den nächsten zwölf Jahren die Erforschung der Orphan Diseases voranzutreiben. Doch von diesen vielen Forschungsinitiativen profitiert der einzelne Patient bislang wenig. »In der Versorgung der Patienten gibt es noch erhebliche Defizite«, sagte Professor Dr. Alfred Hildebrandt vor Journalisten in Berlin. Als Berater des Vorstandes der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE e. V.) hat der ehemalige Leiter des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte Kontakt zu über 70 verschiedenen Selbsthilfeorganisationen, die sich in dem Verein zu einem Netzwerk zusammengeschlossen haben.
Nach der in Europa gültigen Definition ist eine Erkrankung dann selten, wenn weniger als fünf von 10.000 Menschen darunter leiden. Nimmt man jedoch alle Betroffenen sämtlicher Erkrankungen zusammen, ergibt sich allein in Deutschland die stattliche Zahl von etwa vier Millionen Menschen. Zu den seltenen Erkrankungen (SE) gehören verschiedene Muskel- und Stoffwechselerkrankungen, bestimmte Formen der Netzhautdegeneration, Kleinwuchs, Leberzelltumore, Lungenhochdruck oder Epilepsie. Von über 30.000 bekannten Krankheiten zählen heute über 7000 zu den SE. Etwa 80 Prozent sind genetisch bedingt. Ihr Verlauf ist oft schwer, schmerzhaft und sogar lebensbedrohlich. Besonders häufig sind Kinder betroffen. So gehören alle Krebserkrankungen im Kindesalter zu den Orphan Diseases.
»Menschen mit einer seltenen Erkrankung sind sehr skeptische Patienten«, sagte Hildebrandt. Die meisten von ihnen haben eine jahrelange Odyssee hinter sich, bis die richtige Diagnose gefunden wurde. Eine Reise von sieben bis acht Jahren von Arzt zu Arzt ist dabei keine Seltenheit. Häufig fällt es den Medizinern sehr schwer, eine seltene Erkrankung zu erkennen, da die Symptome auf andere Erkrankungen hindeuten. Zudem stehen die Orphan Diseases aufgrund ihrer Seltenheit in der Regel nicht im Mittelpunkt des ärztlichen Interesses. Nur wenige Ärzte haben sich spezialisiert, und ihre Kollegen wissen oft nichts von diesen Spezialisten, sodass Patienten nicht überwiesen werden. Aber auch nach der Diagnose ändert sich die Situation für viele Betroffene nicht. So gibt es bis heute für die meisten seltenen Erkrankungen keine angemessene Therapie.
Geringe Teilnehmerzahl als Hindernis
Nur 50 bis 60 Arzneimittel sind derzeit in Europa zur Behandlung seltener Erkrankungen zugelassen, in den USA sind es etwa 250. Häufig werden daher von Ärzten und Patienten Medikamente im Off-label-Use eingesetzt. Die für eine Zulassung der Medikamente zu diesen Indikationen nötigen klinischen Studien sind trotz der verbesserten Rahmenbedingungen immer noch schwierig. Ein großes Problem bereiten die geringen Patientenzahlen. Manchmal ist es sogar weltweit kaum möglich, wenigstens eine Mindestanzahl von Studienteilnehmern zusammenzubekommen.
Eine große Hilfe könnte ein Versorgungskonzept für seltene Erkrankungen sein. So ist etwa aus Studien mit herzkranken Patienten bekannt, dass mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit das Leben verlängern und die Lebensqualität der Patienten deutlich verbessern kann. Ein ähnliches Konzept mit regelmäßigen Besuchen von Pflegern könnte auch bei Patienten mit seltenen Erkrankungen greifen.
Nach wie vor fehlt es zudem an einem Austausch zwischen Grundlagenforschern und Praktikern. Experten, wie Hildebrandt sehen daher in einem nationalen Kompetenzzentrum eine gute Möglichkeit, um das Wissen über seltene Erkrankung zu bündeln und bessere Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Forschung zu schaffen. So könnte nach dem Vorbild Frankreichs ein nationales Netzwerk entstehen, unter dessen Dach die Universitäten zusammengeschlossen sind, die sich auf bestimmte Erkrankungen spezialisiert haben.
Außerdem gilt es, das derzeit bereits existierende Wissen über seltene Erkrankungen weiter zu verbreiten. Einen Beitrag dazu leistet die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Im März 2008 werden die verwaisten Erkrankungen einer der Schwerpunkte des 114. Internistenkongresses in Wiesbaden sein, um die Ärztekompetenz weiter zu verbessern.