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Mit Geldscheinen Seuchen auf der Spur

06.02.2006  10:32 Uhr

Epidemiologie

<typohead type="3">Mit Geldscheinen Seuchen auf der Spur

von Sven Siebenand, Eschborn

 

Das Tempo, mit dem sich ansteckende Krankheiten ausbreiten, hängt unter anderem davon ab, welche Entfernungen Infizierte in welcher Zeit zurücklegen. Um ein mathematisches Modell für das Reiseverhalten und damit die Seuchenausbreitung zu entwickeln, haben Forscher die Zirkulation von Geldscheinen ausgenutzt.

 

Historische Seuchen wie die Pest im Mittelalter haben sich nur langsam und wellenförmig ausgebreitet. Da die Menschen meist zu Fuß unterwegs waren, schritt der Erreger nur etwa zwei Kilometer pro Tag voran. Rund drei Jahre dauerte es, bis ganz Europa von Süd nach Nord durchquert war. Auf Grund der erhöhten Mobilität durch Flugzeug, Bahn oder Auto würde beispielsweise der Vogelgrippe-Erreger sich heute viel schneller ausbreiten.

 

Um das Voranschreiten mit mathematischen Modellen genau zu beschreiben und Vorhersagekonzepte zu entwickeln, müsste das gesamte internationale Reiseverhalten erfasst werden. »Alle nationalen und internationalen Verkehrsströme über einen längeren Zeitraum zu messen und auszuwerten, ist kaum möglich«, erläutert Professor Dr. Theo Geisel, Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Statt der Bewegung einzelner Menschen untersuchte sein Institut zusammen mit Forschern der Universitäten in Göttingen und Santa Barbara daher die geographische Zirkulation von Geldscheinen. Dazu analysierten sie mehr als eine Million Einträge zu insgesamt 464.670 Dollarscheinen auf der Internetsite www.wheresgeorge.com. Die Erfinder dieser Site brachten 1998 eine große Anzahl markierter Dollarnoten in Umlauf. Jeder, der einen solchen Geldschein erhielt, konnte im Netz den neuen Aufenthaltsort der Note mitteilen und ihn dann wieder in Umlauf bringen. Inzwischen sind fast 77 Millionen Geldscheine dort registriert. Als Zeitvertreib für zwischendurch gedacht, waren die Datensätze den Physikern nun behilflich, das menschliche Reiseverhalten zu analysieren.

 

Wo ist George?

 

Wie die Forscher im Fachmagazin »Nature« (Band 439, Seite 462 bis 465) berichten, ging ein Großteil der Dollarnoten kaum oder gar nicht auf Wanderschaft. Selbst in Großstädten wie New York legte mehr als die Hälfte der Scheine zwischen Registrierung und erstem Auftauchen einen Weg von höchstens zehn Kilometern zurück. Die Reisefreudigkeit anderer Scheine kannte dagegen keine Grenzen. Mehr als 7 Prozent der in New York registrierten Dollarnoten mit dem Porträt von George Washington, legten in kurzer Zeit Entfernungen von mindestens 800 Kilometern zurück.

 

Aus diesen Ergebnissen schlossen die Physiker, dass es etwa zwei bis drei Monate dauert, bis sich die Scheine in ganz Amerika verteilt haben. Diese Vermutung war falsch: Nach mehr als hundert Tagen befand sich nur knapp jede vierte Banknote weiter als 800 Kilometer vom Startpunkt entfernt. Ungefähr jede fünfte Note war dagegen maximal 50 Kilometer weit gekommen. Die zurückgelegten Wege und die Verweildauer der Noten an einem Ort konnten die Wissenschaftler mit der gleichen Wahrscheinlichkeitsverteilung darstellen.

 

Das menschliche Reiseverhalten folgt laut den Forschern also einfachen mathematischen Gesetzmäßigkeiten. Sie entwickelten eine so genannte Skalierungsfunktion, mit der sich die Reisebewegungen erstaunlich genau auf Entfernungen von wenigen Kilometern bis tausend Kilometern berechnen lassen. Diese Skalierungsfunktionen sind typisch für turbulente Strömungen und chaotische Systeme. Der Göttinger Physiker Dr. Dirk Brockmann erläuterte, dass nicht das Spar-, sondern das geringe Reiseverhalten der Bevölkerung dafür verantwortlich ist, wenn eine Banknote relativ lange an einem Ort verweilt. Reisefreudige Menschen dagegen treiben die Verbreitung der Geldscheine voran.

 

Übertragen auf die Ausbreitung von Seuchen bedeutet dies, dass sie nicht mehr in langsamen Wellenbewegungen, sondern in rasanten Sprüngen erfolgt. Denkbar wäre beispielsweise, dass ein Erreger wie H5N1 über den Flughafen einer Großstadt wie Frankfurt nach Deutschland eingeschleppt wird. Im Ballungsgebiet Rhein-Main käme es zunächst zu einer explosionsartigen Ausbreitung. Von dort würde sich die Epidemie jedoch nicht etwa in die ländlichen Regionen der Umgebung ausbreiten, sondern zunächst auf andere Großstädte oder dicht besiedelte Zentren wie das Ruhrgebiet oder Berlin »überspringen«.

 

Vorteil des neuen Modells ist, dass es vom Verkehrsmittel unabhängig ist. Bereits im Jahr 2004 hatten die Forscher ein Modell zur Seuchenausbreitung auf der Basis des internationalen Flugverkehrs erstellt. Dafür haben sie mehr als zwei Millionen Flüge pro Woche zwischen den 500 größten Flughäfen der Welt berücksichtigt, die Daten von 95 Prozent aller Flüge weltweit. Am Beispiel des Erregers der Lungenkrankheit Sars konnten sie nachweisen, dass ihr Modell präzise funktioniert, allerdings nur im Hinblick auf den Flugverkehr. Dieses Manko hat das neue Modell nicht.

 

Für viele Krankheitserreger ist die Übertragung von Mensch zu Mensch mittlerweile gut untersucht. Die Vogelgrippe hat gezeigt, wie schnell eine Epidemie von Fernost bis nach Westeuropa vordringen kann. Geisel glaubt, dass sich die Vorhersage der geographischen Ausbreitung von Epidemien durch das Modell entscheidend verbessern wird. Im nächsten Schritt wollen die Forscher zudem beweisen, dass die aufgestellten Reisegesetze nicht nur für Amerika, sondern auch für Europa gelten. Dazu will Brockmann europäische Statistiken heranziehen, die zeigen, welche Zeit Euromünzen einzelner Länder benötigt haben, um sich in anderen Ländern unter die dortigen Münzen zu mischen.

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