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Prostatakrebs und Erschöpfungssyndrom

Ein Mäusevirus sorgt für Verwirrung

12.01.2010  13:01 Uhr

Von Daniela Biermann / Das 2006 entdeckte XMR-Virus steht im Verdacht, bei der Pathogenese von Prostatakrebs und dem chronischen Erschöpfungssyndrom eine Rolle zu spielen. Während US-amerikanische Studien Virusspuren bei Patienten fanden, können europäische Wissenschaftler diese Theorie bislang nicht bestätigen.

»Xenotropic murine leukaemia virus-related virus«: Der Erreger mit dem komplizierten Namen stammt vermutlich von Mäusen, kann diese aber nicht infizieren. »Das Virus ist Retroviren von Mäusen extrem ähnlich, die in ihren Wirten Krebserkrankungen hervorrufen können«, erklärt der Virologe und Privatdozent Dr. Norbert Bannert vom Robert-Koch-Institut (RKI). »Xenotrop bedeutet, dass es Mauszellen nicht infizieren kann, jedoch Zellen anderer Spezies, zum Beispiel die des Menschen.« US-amerikanische Forscher entdeckten das Virus 2006.

Es könnte beim Menschen für ein Krankheitsbild verantwortlich sein, das mit teils extremer Müdigkeit, Leistungsabfall, Depressionen und Schmerzen einhergeht: das chronische Erschöpfungssyndrom. Diese These hatte eine Gruppe um Judy A. Mikovits vom Whittemore-Peterson-Institute in Nevada in der Oktoberausgabe des Wissenschaftsmagazins »Science« aufgestellt (doi: 10.1126/science.1179052). Die Amerikaner fanden genetische Spuren von XMRV bei 67 Prozent der etwa 100 untersuchten Erschöpfungspatienten, doch nur bei knapp 4 Prozent der Kontrollgruppe. Die Entdeckung führte zu der Annahme, das Virus sei mitverantwortlich für die Krankheit mit bislang unklarer Genese, die mit einem beträchtlichen Leidensdruck einhergeht.

 

Uneinheitliche Ergebnisse

 

Britische Forscher um Otto Erlwein vom Imperial College London kamen in einer unabhängigen Auswertung mit Proben von 186 diagnostizierten Patienten mit chronischem Erschöpfungssyndrom zu einem ganz anderen Ergebnis. Alle Proben waren negativ für das Virus. Zwar schreiben die Forscher in der Januarausgabe des Fachmagazins »PLoS One«, dass dies an der unterschiedlichen weltweiten Verbreitung des Virus liegen könnte (doi: 10.1371/journal.pone.0008519). Doch sie bezweifeln, dass XMRV eine Rolle bei der Pathogenese des chronischen Erschöpfungssyndroms spielt. Das amerikanische Whittemore-Peterson-Institute reagierte gleich mit einer offiziellen Erklärung, in der es die Methoden der Briten anzweifelt, die wiederum eine gewisse Vergleichbarkeit der Studien proklamieren.

 

Ähnlich gespalten sieht die Lage beim Prostatakrebs aus. Hier deuten Studien darauf hin, dass eine Mutation des Enzyms RNAseL mit dem Krebsgeschehen in Verbindung steht. »Diese Mutation reduziert die Aktivität der RNaseL um den Faktor 3«, erklärt RKI-Virologe Bannert. Sie ist bei bis zu 13 Prozent der amerikanischen Prostatakrebspatienten zu finden. »Die RNAseL ist ein Enzym, das durch Interferone induziert wird, um nach einer Infektion virale RNA zu zerstören. Funktioniert die Zerstörung schlechter, kann sich das Virus besser vermehren oder überhaupt erst im Menschen etablieren.« Da die durch Mutation geschwächte RNAaseL mit Prostatakrebs in Verbindung steht, liegt der Verdacht nahe, dass ein Virus in die Tumorentstehung involviert sein könnte – XMRV.

 

In einer amerikanischen Studie entdeckten die Wissenschaftler das Virus bei acht von zwanzig Patienten (40 Prozent) mit familiärem Prostatakrebs, die homozygote Träger der Mutation waren; im Vergleich zu 1,5 Prozent zu heterozygoten oder Nicht-Trägern des Defekts. Bannert und seine Kollegen vom RKI und der Charité in Berlin fanden dagegen in einer eigenen Studie mit 589 Biopsien von Prostatakrebspatienten keinen Hinweis auf das Virus, wie sie im Oktober in »Retrovirology« schrieben (doi: 10.1186/1742-4690-6-92). »Auch in den bisher getesteten Seren von Prostatakrebspatienten haben wir keine spezifischen Antikörper gefunden, die XMRV oder ein sehr nahe verwandtes Virus induziert haben könnte. Das spricht gegen XMRV als Ursache dieser Erkrankung in Deutschland«, schließt Bannert. »Es ist vorstellbar, dass in den USA die Virusprävalenz höher ist als in Europa. Das würde die unterschiedlichen Ergebnisse erklären.

 

Die derzeit vorhandenen Daten sind jedoch weder hinreichend, um eine Rolle von XMRV bei Prostatakrebs und chronischem Erschöpfungssyndrom zweifelsfrei zu belegen, noch um sie völlig auszuschließen.« Er hofft, dass die Ergebnisse weiterer Studien bald mehr Klarheit bringen. Das RKI und die Charité forschen in Kooperation mit der US-amerikanischen Seuchenkontrollbehörde weiter an XMRV, vor allem zur Prävalenz und Pathogenese.

 

Derweil warnt Bannert wie andere Experten vor einer Selbstmedikation mit dem Virostatikum Zidovudin, das sich in Laborversuchen als wirksam gegen XMRV erwies. »Ein solches Aids-Therapeutikum kann erhebliche Nebenwirkungen haben. Das ist keine Kopfschmerztablette«, mahnt der Virologe. »Wer es ohne ärztliche Anordnung einnimmt, geht ein hohes Risiko ein und gefährdet seine Gesundheit.« /

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