Aus für Anbieter von Telemedizin-Software |
Jennifer Evans |
04.07.2024 13:11 Uhr |
Vor dem Hintergrund der europäischen Medizinprodukte-Verordnung hat das OLG in Hamburg ein Urteil mit Signalwirkung gesprochen. / Foto: IMAGO/Wirestock
Nach einem Jahr Rechtstreit um medizinische Softwareprodukte hat das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg entschieden. Der betroffene Anbieter muss sein Produkt mindestens als Medizinprodukt der Risikoklasse IIa zertifizieren lassen, um im konkreten Fall die angebotenen Online-Hautchecks durchführen zu dürfen.
Fehlt eine entsprechende Zertifizierung gemäß der europäischen Medizinprodukte-Verordnung, der sogenannten Medical Device Regulation (MDR), muss das Produkt vom Markt genommen werden. In diesem Fall trifft es das Unternehmen Dermanostic. Laut der einstweiligen Verfügung muss es seine Teledermatologie-Plattform sofort abschalten. Andernfalls droht eine Geldstrafe in Höhe von bis zu 250.000 Euro.
Der Hamburger Anbieter Online-Doctor ist Konkurrent und gleichzeitig Kläger in diesem Wettbewerbsstreit. Es geht um Software zur asynchronen Untersuchung von Hautveränderungen. Mit asynchroner Kommunikation ist gemeint, dass das Senden und Empfangen von Daten zeitlich versetzt passiert. Das heißt, der Patient lädt zunächst seinen Anamnesebogen sowie Fotos der betroffenen Hautstelle hoch. Das Sichten und Beurteilen der Daten durch die Fachärzte erfolgt jedoch nicht sofort, sondern erst später.
Ein solcher Dienst muss zertifiziert sein, entschied nun das OLG. Denn womöglich entstehen für den Patienten höhere Risiken im Vergleich zu einer Vor-Ort-Behandlung. Online-Doctor-Geschäftsführer Tobias Wolf begrüßte das Urteil: »Wir haben uns im letzten Jahr entschieden, die Einstufung des Wettbewerbers als Medizinprodukt der Risikoklasse I anzufechten. Das Urteil gibt jetzt Klarheit und eine eindeutige Vorgabe für die asynchrone Teledermatologie«, wie er in einer Mitteilung betonte.
Zudem bestätigen die Richter in Wolfs Augen, dass sich der hohe Kosten- und Zeitaufwand für die Zertifizierung als Medizinprodukt der Risikoklasse IIa lohne. Das Angebot von Online-Doctor fällt in die derzeitige MDR-Übergangsregelung, muss daher ein zertifiziertes Qualitätsmanagement-System aufrechterhalten, was wiederum jährlich durch eine externe Stelle auditiert wird. Darüber hinaus muss für das Produkt gemäß MDR aktuell bei einer Zertifizierungsstelle ein Zulassungsvertrag für die Risikoklasse IIa vorliegen, was Online-Doctor nach eigenen Angaben gemacht hat.
Mit seiner Entscheidung hat das OLG eine Aussage dazu getroffen, wie die Klassifizierungsregel 11 der MDR für medizinische Softwareprodukte auszulegen ist. Vielen asynchronen Telemedizin-Anbietern hierzulande fehlt die Zertifizierung – vor allem wollten sie dadurch wohl die Kosten umgehen.
Nach eigenen Angaben kooperiert Online-Doctor mit mehr als 60 Prozent der Kassen in Deutschland. Der beklagte Wettbewerber Dermanostic kann demnach nicht gegen die OLG-Entscheidung vorgehen.