| Jennifer Evans |
| 22.12.2022 16:00 Uhr |
In Nürnberg beschäftigt derzeit ein Abrechnungsbetrug mit Hilfsmittel-Rezepten die Richter. Es geht um mehr als 11 Millionen Euro. / Foto: Adobe Stock/Tupungato
In einem 13-seitigen Dokument erläutert die 12. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth ziemlich ausführlich ihren Beschluss zu einem Verfahren, das sich im Kern um Rezeptmanagement dreht. Konkret konnten sich Patienten für ein sogenanntes Betreuungsprogramm bei einem Medizinproduktehersteller einschreiben und erhielten dann die benötigten Hilfsmittel ganz praktisch per Post nach Hause geliefert. Den Versand organisierte der firmeneigene Großhandel, der die Rezepte zuvor bei den Ärzten anforderte.
Zur ersten Kontaktaufnahme mit den Patienten stellte der Hersteller Kliniken und Ärzten ein Formular zur Verfügung, auf dem das Programm erklärt war. Das bestand etwa darin, gelegentliche telefonische Nachfragen bei den Patienten zu tätigen und zu fragen, ob sie die ärztlich verordnete Therapie mit dem jeweiligen Hilfsmittel auch korrekt ausführen oder ob hinsichtlich der Handhabung noch Beratung benötigen.
Willigten die Patienten in das Angebot ein, mussten sie bei einen Außendienstmitarbeiter des Herstellers ein Schreiben unterzeichnen, das unter anderem diesen Satz enthielt: »Ich bevollmächtige die Mitarbeiter der X GmbH, die für mich ärztlich verordneten Arzneimittel aus einer öffentlichen Apotheke zu beschaffen. Insofern verzichte ich ausdrücklich auf mein Auswahlrecht der beliefernden Apotheke...«. Ging ein Medikament in absehbarer Zeit zur Neige, nahm der Hersteller Kontakt zu dem Patienten auf und forderte auf Wunsch gleich ein neues Rezept beim Arzt an. Das landete dann direkt beim Hersteller. Für den Versand der Hilfsmittel waren dort zahnmedizinische Fachangestellte, Geschäftsführer, Logistikmitarbeiter, Medizininformatiker und Vertriebsmitarbeiter zuständig.
Der Apothekeninhaber, der an dem Betrug beteiligt war, fungierte als vermeintlicher Versender. Er bekam die Rezeptsammlung in regelmäßigen Abständen geliefert und rechnete die Verordnungen mit den Kassen ab. Insgesamt geht es in dem Fall um mehr als 11 Millionen Euro. Zunächst hatte das Amtsgericht Nürnberg einen Vermögensarrest gegen den Apothekeninhaber angeordnet, den die Richter des Landgerichts nun bestätigten. In seinem Beschluss fegte das LG alle Argumente der Verteidigung vom Tisch und machte damit auch die eingereichte Beschwerde des Beschuldigten hinfällig.
Der Entscheidung der Richter am Landgericht ist auch zu entnehmen, dass die Apotheke zum Jahresende geschlossen wird und dem Apotheker wohl eine Insolvenz bevorsteht. »Mit dem Wegfall der Kooperation zwischen dem Beschuldigten und X infolge des hiesigen Ermittlungsverfahrens ist der stärkste Umsatz- und Gewinnbringer der Apotheke entfallen«, schreibt das Gericht. Damit werde der Inhaber wohl nicht in der Lage sein, die Nachforderungen der Kassen zu erfüllen.
Interessant sind die Ausführungen der Richter insofern, als sie offenbar nicht nur den nicht getätigten Versand der Ware für strafrechtlich relevant erachten, sondern auch den Verstoß gegen das Zuweisungsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Apothekengesetz. Im Leitsatz des Beschlusses heißt es dazu: »Verstößt ein Apotheker gegen § 11 Abs. 1 ApoG, bedeutet das zugleich einen Verstoß gegen das Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V und führt insoweit zum Wegfall seines Vergütungsanspruchs. Daher täuscht ein Apotheker, der bei der Abrechnung gegenüber der Kasse wahrheitswidrig das Nichtvorliegen seines Verstoßes gegen § 11 Abs. 1 ApoG erklärt.«
In ihrer ausführlichen Begründung formulieren die Juristen die Angelegenheit noch einmal klarer. Demnach sprechen die Umstände »für eine unmittelbare Zuweisung von X an den Beschuldigten. Auch das erfüllt aber den Verbotstatbestand. Der Beschuldigte war als Erlaubnisinhaber der Apotheke Adressat des Verbots.« Ausschlaggebend für diese Bewertung ist laut Gerichtsbeschluss unter anderem das Betreuungsprogramm des Großhändlers. Damit zählt er nämlich zu dem Personenkreis, der sich mit der Behandlung von Krankheiten befasst und mit den Apotheken grundsätzlich keine Absprachen treffen darf, wenn es um die Zuweisungen von Verschreibungen geht. Insgesamt spricht das Landgericht in diesem Fall von einer »laxen Handhabung der Abgabe der Arzneimittel«.