Auch Apotheker sollten aufklären |
Christina Hohmann-Jeddi |
14.10.2020 09:00 Uhr |
Apotheker setzen sich bereits jetzt für die respiratorische Gesundheit ihrer Patienten ein. Zukünftig werde sich das Aufgabengebiet erweitern, hieß es beim FIP-Kongress. / Foto: ABDA
Luftverschmutzung zählt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu den größten Gesundheitsgefahren überhaupt. Etwa sieben Millionen Menschen sterben jedes Jahr an den Folgen. Laut WHO-Angaben atmen 90 Prozent der Weltbevölkerung verschmutzte Luft ein. Das berichtete Dr. Glenis Kathleen Scadding vom University College London auf dem FIP-Kongress, der aufgrund der Corona-Pandemie in diesem Jahr virtuell stattfand. »Luftverschmutzung ist mit Blick auf die Todeszahlen gefährlicher als Rauchen«, sagte Scadding.
In der Luft enthaltene Schadstoffe beeinträchtigen nicht nur die respiratorische Gesundheit. Sie können auf Dauer zu Asthma und Atemproblemen, aber auch Konjunktivitis, Dermatitis und Ekzemen führen. Die Nase als Eingang zu den Atemwegen habe eine wichtige Funktion für die respiratorische Gesundheit. Sie wärme, filtere, reinige und befeuchte jeden Tag 10.000 bis 15.000 Liter Luft, so Scadding.
In der Nase arbeitet ein wichtiges Schutzsystem, die mukozilliäre Reinigung: Epithelzellen produzieren Schleim, der Pathogene und Schmutz auffängt. Durch Zilien-Bewegung wird der Schleim in den Rachen transportiert und schließlich geschluckt. »Luftverschmutzung kann dieses Reinigungssystem, aber auch das Immunsystem auf verschiedene Arten stören«, erklärte die Medizinerin.
Weil Luftverschmutzung so eine große Gesundheitsgefahr sei, müssten alle Gesundheitsberufe – auch die Apotheker – aktiv werden, um die negativen Effekte für die Patienten zu minimieren, sagte Gonçalo Sousa Pinto. Der Apotheker leitet den Bereich »Entwicklung und Veränderung des Berufsbildes« des FIP. Apotheker seien dafür prädestiniert, über Luftverschmutzung und respiratorische Gesundheit sowie über mögliche Schutzstrategien aufzuklären. Das sei zwar keine traditionelle Aufgabe des Berufsstandes, könne aber eine Erweiterung werden.
Unter dieser Prämisse hat der FIP zwischen Mai und Juni dieses Jahres eine Umfrage unter den Mitgliedsorganisationen durchgeführt, um den momentanen Kenntnisstand, die derzeitige Rolle der Apotheker und das Vorhandensein von Leitlinien und Empfehlungen zu untersuchen. Organisationen aus 62 Ländern nahmen teil.
Die Befragung zeigte, dass sich Apotheker bereits in großem Umfang für die respiratorische Gesundheit ihrer Patienten einsetzen, etwa indem sie sie bei der Selbstmedikation unterstützen und die Therapieadhärenz stärken, den Umgang mit Inhalern üben und über Atemwegserkrankungen und deren Prävention aufklären.
An den Folgen der Luftverschmutzung sterben mittlerweile mehr Menschen als an denen des Rauchens. / Foto: Shutterstock/ssuaphotos
In der Hälfte der Länder gab es Leitlinien zu Asthma, etwas weniger häufig zu Erkältungen, Influenza und chronisch-obstruktiver Lungenkrankheit (COPD). Zu Allergien existierten nicht einmal in einem Drittel der Länder Leitlinien und in jedem fünften Land existierten gar keine Leitlinien zu respiratorischen Erkrankungen. Die am häufigsten empfohlenen nicht pharmazeutischen Maßnahmen zur Unterstützung der respiratorischen Gesundheit waren vor allem Nasenhygiene (Nasenduschen, Nasensprays) und Gurgeln.
Welche Veränderungen für den Berufsstand erwarten die Apothekerorganisationen als Folge der aktuellen Pandemie? Die meisten gehen davon aus, dass die Bedeutung der Pharmazeuten in der Primärversorgung verstärkt anerkannt und die Aufgabenbereiche erweitert werden. So könnten zusätzliche Aufgaben in der Prävention und Therapie von Atemwegserkrankungen und auch beim Impfen gegen respiratorische Erkrankungen hinzukommen. Außerdem erwarten die meisten, dass Apotheker auch verstärkt in das Screening auf Atemwegsinfekte eingebunden werden und entsprechende Mittel, wie Point-of-Care-Tests, an die Hand bekommen werden.
Der Befragung zufolge sind 90 Prozent der Organisationen der Ansicht, dass eine entsprechende Aufgabenerweiterung nicht ohne zusätzliche Schulungen und Trainings funktionieren könne, berichtete Sousa Pinto. Zudem benötigten Apotheker kurze Fragebögen für Patienten zur respiratorischen Gesundheit, mehr Informationen über lokale Umweltbelastungen und Geräte, um die Lungenfunktion zu messen. 92 Prozent der Befragten gaben an, dass es sinnvoll sei, die Aufgaben des Apothekers zu erweitern und ihn als Berater des Patienten zu respiratorischer Gesundheit und Luftverschmutzung zu etablieren.
Einige der geforderten Mittel haben Apotheker bereits an der Hand. Diese stellte der Pneumologe Dr. Sundeep Salvi, Direktor der Global Initiative for COPD (Gold), vor. Zur Bestimmung von respiratorischen Problemen ist beispielsweise ein Pulsoximeter geeignet, das die Sauerstoffsättigung im Blut misst. Diese kleinen, preiswerten Geräte seien gerade auch in der Coronavirus-Pandemie geeignet, Patienten mit noch unentdeckten Atembeschwerden zu erkennen. Zur Überprüfung der Lungenfunktion hilfreich seien Spirometer, die das Atemvolumen und dessen zeitliche Änderungen messen. »Diese Geräte können zum Beispiel bei Patienten mit chronischem Husten eingesetzt werden oder um Asthmatiker und COPD-Patienten zu identifizieren«, empfahl Salvi.
Die Lungenfunktion lässt sich auch mithilfe eines Peak-Flow-Meters bestimmen, das die Strömungsgeschwindigkeit der Atemluft beim Ausatmen misst. Das Gerät sei beispielsweise zum Identifizieren und Monitoren von Asthmapatienten geeignet. Zudem existierten auch Fragebögen, etwa das Chronic Respiratory Questionnaire, die Symptome von Atemwegsbeschwerden abfragen. Dieses »extrem hilfreiche Tool« sei wichtig, um die Lebensqualität bei Patienten mit Lungenerkrankungen zu messen, berichtete der Pneumologe.
Aber nicht nur zur Identifizierung von Atemproblemen gibt es Mittel, die Apotheker in der Offizin vorhalten könnten, sondern auch zur Prävention von Beschwerden. Um die Luftschadstoffexposition in belasteten Regionen zu senken, seien etwa Masken geeignet, sagte Salvi. Dabei sei es wichtig, dass Apotheker sich mit den verschiedenen Maskentypen gut auskennen und dazu beraten, denn die Unwissenheit in diesem Bereich sei groß. Neben den Masken gibt es auch Nasenfilter (zum Beispiel WoodyKnows, Sanispira), die in die Nasenlöcher eingesetzt werden und dort Partikel abfangen können. Die Filterleistung reiche aus, um größere Partikel wie Pollen aus der Luft zu entfernen, aber nicht zum Herausfiltern von Luftschadstoffen oder Viren, sagte der Pneumologe.
Einen protektiven Effekt hat auch eine Nasenreinigung etwa mit dem Neti Pot, einem speziellen Nasenspülkännchen, oder einer anderen Nasendusche. Mit warmem Wasser oder einer Salzlösung kann mit diesen Hilfsmitteln die Nase gereinigt werden, wobei Verstopfungen und Pollen, Erreger und abbelagerte Luftschadstoffe entfernt werden. Die Nasenreinigung könne helfen, Infekten vorzubeugen, so Salvi.
Apotheker hätten einige diagnostische und nicht pharmakologische Mittel an der Hand, um sich für die respiratorische Gesundheit ihrer Patienten zu engagieren und zu helfen, die Auswirkungen von Luftverschmutzung zu reduzieren. »Sie können wirklich was bewegen«, sagte Salvi. Es sei an der Zeit, dies zu realisieren und sich dieser wichtigen Rolle anzunehmen.
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