Arzneimittelversorgung sichern – jetzt |
Cornelia Dölger |
20.02.2024 17:00 Uhr |
Insbesondere Kinderarzneimittel sind immer wieder von Lieferengpässen betroffen. / Foto: Getty Images/Imgorthand
In ihrer Stellungnahme fordert etwa die ABDA, dass das Apothekenhonorar unverzüglich angepasst wird. »Apotheken müssen jetzt stabilisiert werden.« Zum Beispiel, indem der von 1,77 auf 2 Euro erhöhte Kassenabschlag sofort wieder gesenkt werde. Das Honorar müsse zudem dynamisiert werden, schließlich seien die Apotheken durch das Fixum von der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung abgekoppelt. Die Pläne des Bundesgesundheitsministeriums zur Apothekenreform verschärften dies noch einmal, weil die Wirkung zu spät einsetze.
Mehr Handlungsfreiheit fordert die ABDA obendrein. Schließlich seien Apothekerinnen und Apotheker qua Studium Arzneimittelspezialisten sowie Experten für die Arzneimitteltherapiesicherheit. Sie könnten diese Qualifikation einbringen, »um sachgerecht Entscheidungen im Einzelfall bei gleichzeitiger Vermeidung überbordender Bürokratie zu treffen«, so die Forderung. Besonders wertvoll sei diese Kompetenz vor dem Hintergrund der anhaltenden Lieferengpässe.
Eindringlich plädiert die ABDA für den Erhalt des Mehrbesitzverbots. »Der Apothekerberuf zeichnet sich durch seine Freiberuflichkeit aus.« Eine Einmischung durch die Möglichkeit von Fremdkapitalinvestitionen sei grundlegend auszuschließen.
Auch der GKV-Spitzenverband nimmt zu dem Antrag Stellung. Und auch er hat die Lieferengpässe auf dem Schirm, sieht hier aber nicht die Notwendigkeit, Apotheken beim Arzneimittelaustausch mehr Beinfreiheit zu geben. Vielmehr liege der Schlüssel in der »Verbesserung der Informationslage über die Verfügbarkeit von Arzneimitteln«, heißt es.
Etwa brauche es zusätzlich ein permanentes und anlassloses Monitoring aller Arzneimittel; die Befugnisse, die dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit dem Lieferengpassgesetz (ALBVVG) zugestanden wurden, reichten nicht aus, so der Spitzenverband.
Dies könne zum Beispiel umgesetzt werden, indem alle an der Arzneimittelversorgung beteiligten Akteure (Hersteller, Großhandel, Apotheken, Verordnende) verpflichtende Meldungen von Nicht-Verfügbarkeiten machen müssten. Mit solchen Daten könnte das BfArM effizienter arbeiten und die Informationen an alle Beteiligten zurückspielen. Engpässe würden so früher erkannt und auch lokalisiert. So könnten Ärztinnen und Ärzte darauf bereits bei der Verordnung Rücksicht nehmen. Ganz praktisch ließen sich die Securpharm-Daten für ein solches Monitoring nutzen, so der Vorschlag.
Mehr Geld für die Apotheken hält der GKV-SV nicht für die richtige Lösung. Es werde nicht zu einer besseren Versorgung führen. Vielmehr liege der richtige Ansatz auch hier in einer besseren Information der Ärzteschaft über die Lieferengpasslage. »Wenn diese Informationen zum Zeitpunkt der Verordnung berücksichtigt werden und dadurch eine alternative Arzneimittelauswahl erfolgen kann, sinkt auch der Aufwand in den Apotheken. Dies würde Unsicherheiten und Mehraufwände bei Patientinnen und Patienten verringern, die sich durch erneute Austauch- und Beratungsprozesse ergeben.«
Ohne aktuelle repräsentative Daten über die wirtschaftliche Lage der Apotheken sei an mehr Geld nicht zu denken. In einem Gutachten, das das damalige Bundeswirtschaftsministerium im Jahr 2018 habe erstellen lassen, habe sich die Lage der Apotheken als durchaus stabil gezeigt. Zu diesem Zeitpunkt seien »ein erheblich zu hohes Fixum und erhebliche Wirtschaftlichkeitsreserven festgestellt« worden. Zunächst einmal müssten also die damals gesammelten Informationen aktualisiert werden, um eine adäquate Höhe der Apothekenvergütung festlegen zu können.
Im bestehenden Vergütungssystem würden Apotheken mit hohen Absatzzahlen in eher dicht besiedelten Gebieten »belohnt«. Ein höheres Fixum würde diese Betriebe laut GKV-SV noch zusätzlich bevorteilen und falsche Anreize setzen. Deshalb plädiert der Spitzenverband analog zu den Vorschlägen des Bundesgesundheitsministeriums zur Apothekenreform für eine Umverteilung des Honorars in Richtung kleiner Apotheken auf dem Land.
Vorstellbar sei hier die Senkung der 3-Prozent-Marge bei gleichzeitiger Erhöhung der Nacht- und Notdienstpauschale, denn schließlich fänden solche Dienste in Landapotheken häufiger statt, als in Ballungsräumen. Auch hier liegen die Kassen mit dem BMG auf einer Linie; Lauterbach hatte in seinen »Eckpunkten« zur Apothekenreform eine »sofortige Erhöhung der Vergütung von in der Nacht und am Wochenende geleisteten Notdiensten« festgehalten. Statt 21 sollen die Apotheken demnach 28 Cent pro Packung bekommen.
Für eine solche angekündigte Erhöhung wäre nicht einmal eine Gesetzesänderung notwendig, da der Notdienstzuschlag in § 3 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelt ist und redaktionell geändert werden könnte. Noch ist in dieser Sache aber nichts passiert.
Doch nicht nur Geld spiele für eine gute Arzneimittelversorgung eine Rolle. Auch das Problem des Fachkräftemangels in Apotheken müsse angegangen werden. Der Spitzenverband rekurriert auch hier auf die BMG-Pläne zu den sogenannten Apotheken light mit PTA-Vertretung in Landfilialen oder flexiblen Öffnungszeiten. »Eine Flexibilisierung der Vorgaben könnte hier neue Potenziale für die flächendeckende Versorgung erschließen und zur Attraktivität des Berufs der Pharmazeutisch-technischen Assistenz beitragen«, meint der GKV-Spitzenverband.
Apotheken mehr Spielraum beim Arzneimittelaustausch einzuräumen, hält der Verband für unnötig. Schließlich seien wesentliche Regelungen bereits durch das ALBVVG ins SGB V gelangt, deshalb seien weitere Anpassungen nicht nötig. Ein Großteil aller Konstellationen, die sich durch Engpässe bei Arzneimitteln ergeben können, werde bereits durch die gesetzlichen Austauschregeln im SGB V und den Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung zwischen dem Deutschen Apothekerverband (DAV) und dem GKV-Spitzenverband berücksichtigt.
Auch für den Austausch von nicht verfügbaren Kinderarzneimitteln hätten Apotheken deutlich mehr Spielraum. »Diese Austauschmöglichkeiten gehen schon jetzt über das erforderliche Maß hinaus.« Noch weitergehende Austauschregelungen bedürften einer ärztlichen Bewertung und führten so nicht zu Erleichterungen in der Versorgung.
Den Großhändlern geht es vor allem um ein möglichst effizientes Frühwarnsystem bei Lieferengpässen. Vor diesem Hintergrund würden derzeit sogenannte Service-Level-Daten erfasst, die als Indikatoren für bestehende oder drohende Lieferengpässe fungierten. Die Meldung von Verfügbarkeits- und Service-Level-Daten des Großhandels sei Teil der aktuell geplanten Reform des EU-Arzneimittelrechts. Hier, schreibt der Verband Phagro, müssten alle Akteure der Arzneimittellieferkette in die Meldung von Bestands- und Verfügbarkeitsdaten einbezogen werden, um die Versorgungslage valide einschätzen zu können.
Die Vorschläge, dass der Großhandel alle versorgungskritischen Arzneimittel länger als die gesetzlich vorgeschriebenen zwei Wochen vorhalten solle, liefen im Übrigen ins Leere, wenn die Hersteller nicht oder nicht ausreichend lieferten oder den Großhandel umgingen. Auch der Import über EU- oder Drittstaaten trage nicht zu einer verbesserten Versorgung bei.
Zu viel Bürokratie bei der Bewältigung von Versorgungsengpässen kritisiert der Phagro ebenfalls, etwa bei dem Bemühen, Kleinstmengen verfügbar machen zu können.
Die Kinder- und Jugendärzte kommentieren, dass das Lieferengpassgesetz (ALBVVG) grundsätzlich ein guter und richtiger Schritt sei, um die Versorgung mit Kinderarzneien zu verbessern. Kurzfristig bringe es jedoch nichts, heißt es in der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.
Sinnvoll sei die mit dem ALBVVG beschlossene Aufhebung der Festbeträge für bestimmte Kinderarzneien. Ob sie langfristig zum Ausbau der Produktionskapazitäten führe wie erhofft, sei allerdings fraglich. Die Ärzte schlagen vor, die »Kinderarzneimittel-Liste« in ein Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden versorgungsrelevanten Lieferengpässen aufzunehmen. Diese Liste enthält zugelassene Arzneimittel mit für die pädiatrische Dosierung geeigneten Wirkstärken und/oder in für Kinder geeigneten Darreichungsformen sowie Parenteralia, welche ausschließlich in der Pädiatrie Verwendung finden.
Dringend notwendig sei zudem, das sogenannte »Kinderformularium«, eine Datenbank für evidenzbasierte Dosierungen, dauerhaft zu finanzieren. Zu kritisieren sei zudem, dass das ALBVVG die Möglichkeit und Problematik der Anwendung alternativer Off-Label-Arzneimittel nicht aufgreife, obwohl nach wie vor der mit den Engpässen verbundene Off-Label-Use ein drängendes Problem darstelle. Hier müssten etwa die Instrumente zur rechtssicheren Finanzierung von Verordnungen im Off-Label-Bereich angepasst und verbessert werden.
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) plädiert in seiner Stellungnahme für bessere Rahmenbedingungen für die Hersteller. Gesetze wie das ALBVVG und das Medizinforschungsgesetz (MFG) wiesen Regelungen auf, die in die richtige Richtung weisen. Sie reichten aber nicht aus. Gesetze wie das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) wiesen hingegen in vielen Bereichen in eine gegen- oder nachteilige Richtung.
Dass die CDU/CSU-Fraktion einen Pharmadialog auf Bundesebene forderte, sei zu begrüßen. Dieser solle die Kernprobleme in der Arzneimittelversorgung identifizieren und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Hier bringe sich der Verband gerne ein.