Arzneimittelversorgung muss resilient aufgestellt sein |
| Brigitte M. Gensthaler |
| 17.11.2025 13:00 Uhr |
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr bei der Versorgung von Verwundeten unter Einsatzbedingungen. Simuliertes Szenario im Rahmen des Nato-Großmanövers Steadfast Defender, 2024 / © Imago/photothek
Zur Verteidigungsfähigkeit sind eine resiliente Arzneimittelbevorratung, -verteilung und -versorgung unabdingbar. »Ohne die knapp 17.000 Apotheken in Deutschland wird dies nicht möglich sein«, sagte Oberstapotheker Dr. Bernd Klaubert, Leitender Apotheker und Inspizient Wehrpharmazie der Bundeswehr, am vergangenen Mittwoch bei der Delegiertenversammlung der Bayerischen Landesapothekerkammer. Immer wieder verwies er auf Erfahrungen aus dem Krieg in der Ukraine.
Im »Operationsplan Deutschland« sind die zentralen militärischen Bestandteile der Landes- und Bündnisverteidigung mit den notwendigen zivilen Unterstützungsleistungen zusammengeführt. Ein großer Teil der Gesamtverteidigung entfällt auf die Zivilverteidigung. Klaubert: »Die Bundeswehr kann nicht die Zivilbevölkerung versorgen, sondern es muss umgekehrt erfolgen.«
Das heutige Russland gilt als größte Bedrohung von Frieden und Sicherheit in Europa. In der Bündnisverteidigung werde die Bundeswehr überwiegend nicht mehr in Deutschland, sondern im Osten stehen, sagte Klaubert, der verantwortlich für die gesamte fachliche Führung der Wehrpharmazie ist.
Oberstapotheker Dr. Bernd Klaubert, Leitender Apotheker und Inspizient Wehrpharmazie der Bundeswehr / © BLAK
Als »Drehscheibe Europas« sei Deutschland nicht nur Angriffsziel, sondern auch Durchzugs- und Stationierungsgebiet von befreundeten NATO-Partnern. Zur Versorgung sei sehr viel Material nötig: von Wasser und Nahrung bis hin zu Arzneimitteln und Sanitätsmaterial. »Das kann nur aus dem Zivilbereich kommen.« Im Kriegsfall kämen Flüchtlingsströme und Verwundete aus den Einsatzgebieten – »bis zu 1000 Patienten pro Tag; dafür werden alle Kräfte benötigt«. Verwundete würden in zivile Einrichtungen verteilt. Eine gute zivil-militärische Zusammenarbeit sei essenziell für die Patientensteuerung, den Transport und die Behandlung.
Klaubert stellte den Delegierten den aktuellen Aufbau der Arzneimittel- und Medizinprodukteversorgung in der Bundeswehr vor. Es gebe drei Ebenen: zwei Sanitätsmateriallager mit sehr großen Vorräten, drei Versorgungs- und Instandsetzungszentren – Apotheken – in Quakenbrück, Blankenburg und Pfungstadt sowie fünf Krankenhausapotheken, die auch eine Großherstellung von Medikamenten leisten können.
»Wir wollen hin zu einem gesamtstaatlichen Gesundheitslagebild«, betonte der Oberstapotheker. Ein Teil davon ist die KRITIS, also die kritische Infrastruktur. Hierzu gehören auch die Apotheken, »aber das ist noch nicht bei jedem angekommen«. Diese seien zentrale Anlaufstellen für die Versorgung und Beratung der Menschen, auch bei Kollateralschäden. »Der zivile Anteil an der Arzneimittelversorgung liegt bei 60 bis 70 Prozent, aber dafür wird zu wenig getan«, monierte Klaubert.
In der ausführlichen Diskussion, die Vizepräsidentin Dr. Sonja Mayer leitete, sprachen die Delegierten unter anderem die instabilen Lieferketten, die mangelnde Bevorratung und die Ausdünnung des Apothekennetzes an. Im Kriegsfall müssten Zivilbevölkerung, Soldaten, Verwundete und Flüchtlinge versorgt werden und der Arzneimittelverbrauch werde extrem steigen, prognostizierte der Oberstapotheker. »Wir brauchen viel mehr Arzneimittel in der Fläche und mehr Bevorratung.«
Angesichts des zu erwartenden riesigen Materialbedarfs müssten auch Verfalldaten überdacht werden, sagte Klaubert. »Produkte dürfen nicht verfallen, sondern müssen wieder in den Kreislauf eingeschleust werden. Dafür sehe ich noch kein schlüssiges Konzept.« Einmalartikel, auch sterile Produkte, müssten aufbereitet werden. Nötig sei ein Grundstoff-Bevorratungskonzept, denn: »Wenn wir Grundstoffe, idealerweise in granulierter Form, haben, können wir damit Kapseln herstellen.«
Die Bundeswehr spreche das Thema resiliente Arzneimittelversorgung auf allen politischen Ebenen an, versicherte Klaubert. »Wir kämpfen mit den Apothekern gemeinsam, aber das Thema Gesamtstaatlichkeit ist politisch noch nicht angekommen.« Für ihn gehe alles zu langsam. Auch die Strom- und Wasserversorgung sei im Krisenfall nicht gesichert.
In baltischen Ländern und in Polen sei die Bedrohung viel näher und Politiker und Bevölkerung stellten sich darauf ein. »Das Mindset ist dort anders und daran müssen auch wir arbeiten.« Er wisse aber nicht, wie man die Denkweise in der Politik ändern könne.
Eine neue Arbeitsgruppe der Bundesapothekerkammer zum Thema Krisenvorsorge tage demnächst zum ersten Mal, berichtete Kammerpräsidentin Franziska Scharpf. Sie selbst habe in ihrer Region Mitarbeiter des Katastrophenschutzes eingeladen, um mit den Apothekern zu sprechen und damit sich die Beteiligten kennenlernen. »Machen Sie dies auch in Ihren Regionen und überlegen Sie, was wir im Katastrophen- und Krisenfall brauchen.«