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Coronaviren

Arzneimittel und Impfstoffe gesucht

An Medikamenten und Impfstoffen gegen das neue Coronavirus wird weltweit fieberhaft gearbeitet. Unter den Kandidaten sind altbekannte Wirkstoffe, aber auch neue Technologien kommen zum Einsatz. Die Forscher bauen dabei auf den Erkenntnissen zu SARS und MERS auf.
Daniela Hüttemann
Sven Siebenand
06.02.2020  14:00 Uhr

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte am 31. Januar angesichts der steigenden Erkrankungszahlen nun doch eine »gesundheitliche Not­lage von internationaler Tragweite« ausgerufen. Damit verbunden sind zum einen verschärfte Maßnahmen zur Bekämpfung des Ausbruchs. Zum anderen werden mit der Erklärung in der Regel mehr finanzielle und andere Ressourcen freigegeben. Auch die Europä­ische Kommission unterstützt die Forschung. Sie stellt 10 Millionen Euro aus ihrem Forschungs- und Innovationsprogramm »Horizont 2020« zur Erforschung der Corona­virus-Krankheit bereit.

Noch gibt es kaum wissenschaft­liche Literatur, wie Infektionen mit 2019-nCoV derzeit behandelt werden. Laut einem Bericht im Fachmagazin »The Lancet« vom 24. Januar über die ersten 41 Erkrankungsfälle erhielten einige der Patienten orale oder intravenöse Antibiotika (ohne genauere Nennung) und den Neuraminidase-Hemmer Oseltamivir (Tami­flu®). Bei schwerer Lungenentzündung gaben die chinesischen Ärzte auch ­Methylprednisolon. Manche Patienten erhielten Sauerstoff über die Nase oder wurden gar intubiert (DOI: 10.1016/S0140-6736(20)30183-5).

Bei der SARS-Pandemie 2002/2003 wurden Patienten ebenfalls mit Corticosteroiden sowie dem Hepatitis-C-Mittel Ribavirin behandelt. Erste Berichte hatten vielversprechend geklungen, heißt es in einem Review aus dem Jahr 2007 (»Annals Academy of Medi­cine Singapore« 36, 2007, 438–443). Es stellte sich jedoch heraus, dass die Toxizität von Ribavirin zu hoch und der antivirale Effekt zu niedrig war. Das Einnahmeschema und die Dosierung von Corticosteroiden waren umstritten. Auch Interferon wurde eingesetzt, um den Heilungsprozess zu unterstützen. Zudem erhielten die Patienten gegebenenfalls schmerz- und fiebersenkende Mittel wie Paracetamol und Ibuprofen sowie bei gastrointestinalen Symptomen wie Durchfall auch Elektrolyt­lösungen.

Damals wurde den SARS-Patienten auch versuchsweise das HIV-Mittel Kaletra® gegeben. Es enthält die beiden HIV-Protease-Hemmer Lopinavir und Ritonavir. Wie nachfolgende Studien zeigten, scheinen die Wirkstoffe über Wasserstoffbrücken einen Komplex mit SARS-Viren zu bilden (DOI: 10.1016/j.jtbi.2008.07.030). In China wird es derzeit wohl zur Behandlung von Coronavirus-Infektionen eingesetzt. Eine klinische Studie läuft bereits (im chinesischen Studienregister unter ChiCTR2000029308 registriert). 

Inzwischen wird an spezifischen Wirkstoffen gegen Coronaviren geforscht, zum Beispiel an der Uni Lübeck. Einem Bericht von »Zeit online« zufolge arbeitet die Arbeitsgruppe des Biochemikers Professor Dr. Rolf Hilgenfeld bereits seit vielen Jahren an Substanzen, die Coronaviren hemmen. Die Wirkstoffe befinden sich jedoch noch im experimentellen Stadium.

Hilgenfeld hält neben Lopinavir/Ritonavir noch den neuen Arzneistoff Remdesivir für vielversprechend. Er sei ursprünglich gegen das Ebolavirus entwickelt worden, wirke in Zellkulturen aber auch gegen SARS- und MERS-Coronaviren. Remdesivir wird der Nachrichtenagentur Xinhua zufolge ab dem 6. Februar in China an 2019-nCoV-Patienten getestet. Es handelt sich um ein Nukleosid-Analogon, das die RNA-Polymerase der Viren hemmen soll.

Hilft ein Bandwurmmittel?

Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgen Forscher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) an der Berliner Charité, der Uniklinik Bonn und dem Max-Planck-Institut für Psychia­trie in München. Sie stellen im Fachjournal »Nature Communications« aktuell Autophagie-fördernde Wirkstoffe vor (DOI: 10.1038/s41467-019-13659-4). Als Autophagie bezeichnet man einen Prozess, den Zellen nutzen, um beschädigtes Material und Abfallprodukte abzubauen. Auch Bestandteile von Krankheitserregern werden darüber entsorgt. Mittlerweile haben aber einige Viren Strategien entwickelt, um dieser »Müllabfuhr« zu entkommen.

In ihren Untersuchungen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass der Autophagie-Prozess in MERS-CoV-infizierten Zellen gestört ist. Sie entdeckten zudem einen bisher unbekannten molekularen Schalter, der für den Ablauf der Autophagie wichtig ist: das Protein SKP2 (S-Phase-Kinase-assoziiertes Protein 2). Dem MERS-Virus gelingt es, diesen Schalter zu aktivieren, drosselt damit die Recycling-Maschinerie und entgeht so dem eigenen Abbau.

Daher behandelten die Forscher MERS-CoV-infizierte Zellen mit verschiedenen SKP2-Hemmern, um den Entsorgungsprozess wieder anzukurbeln. Dies war erfolgreich: Die Vermehrung des Virus wurde sehr deutlich reduziert. Positiv ist, dass sich unter den getesteten SKP2-Inhibitoren auch bereits zugelassene Wirkstoffe befinden, zum Beispiel das Bandwurmmittel Niclosamid. Auch dieser Wirkstoff war bei den Versuchen in der Lage, die Vermehrung des MERS-Erregers in den Zellen deutlich zu verringern. Die Forscher wollen nun prüfen, ob die Mittel auch gegen 2019-nCoV aktiv sind. »Für den Einsatz von SKP2-Hemmern als Medikamente fehlen allerdings noch Tests im Organismus«, schränkt Privatdozent Dr. Marcel Müller ein. Außerdem sei eine klare Risiko-Nutzen-Abwägung nötig, da auch bereits zugelassene Medikamente Nebenwirkungen haben können.

Oder ein Virostatikum?

Das Forscherteam um Wiebke Obermann von der Universität Marburg und die Gießener Virologin Dr. Christin Müller berichten im Fachmagazin »Anti­viral Research« über einen synthe­tischen Virenhemmstoff mit Breitbandwirkung (DOI: 10.1016/j.antiviral.2020.104706). Neben einer Aktivität gegen Zika- und Lassa- sowie Krim-Kongo-Fieber-Viren konnten die Wissenschaftler auch eine Wirkung gegen Coronaviren nach­weisen.

Die Prüfsubstanz CR-31-B leitet sich von Silvestrol ab, einem Naturstoff aus asiatischen Mahagonigewächsen. Beide Substanzen sind in der Lage, ein körpereigenes Enzym zu hemmen, den eukaryotischen Initiationsfaktor 4A (eIF4A). Dieser ist an der Translation von mRNA in Proteine beteiligt und Viren sind auf ihn angewiesen, um ihre eigenen Proteine herstellen zu können. Wird dieses Enzym gehemmt, ist die Formation des Initiationskomplexes für die Translation erschwert.

Bislang handelt es sich allerdings noch um präklinische Ergebnisse. Von einer Zulassung als Medikament ist man noch weit entfernt, sodass die getestete Substanz in der Behandlung ­

der aktuellen Coronaviren-Infektionen ­keine Rolle spielen wird.

Impfsfoffentwicklung läuft auf Hochtouren

Gleichzeitig arbeiten Forscher weltweit an Impfstoffen gegen das neue Coronavirus. Mehrere Institute in China sind nach Angaben von Staatsmedien parallel von der Regierung beauftragt worden, einen Impfstoff zu entwickeln. Wie schnell das realisiert werden kann, wird von Experten allerdings unterschiedlich eingeschätzt. Erste Studien könnten dank neuer Impfstofftechnologien bereits in wenigen Wochen starten. Die chinesische Seuchenkontrollbehörde China CDC kündigte laut der Nachrichtenagentur Xinhua am 26. Januar an, selbst Impfstoffe entwickeln zu wollen und auch Wirkstoffe auf ihre Wirksamkeit bei der Lungenerkrankung zu testen. Das Krankenhaus der Shanghaier Tongji Universität arbeitet laut Nachrichtenagentur Xinhua gemeinsam mit dem Unternehmen Stermirna Therapeutics an einem neuen mRNA-Impfstoff. Die Herstellung der Prüfmittel soll nicht länger als 40 Tage dauern. Die verimpfte mRNA soll die genetische Sequenz für Antigene des neuen Erregers enthalten und im Körper des Geimpften die Antikörper-Produktion anregen.

Viele aktuelle Projekte werden von CEPI, der Coalition for Epidemic Pre­paredness Innovations, unterstützt, unter anderem das Tübinger Unternehmen CureVac. Die Firma produziert bereits einen experimentellen Impfstoff gegen 2019-nCoV, ebenfalls auf Basis seiner mRNA-Impfstoff-Plattform. Bislang kann CureVac auf erste Erfolge aus klinischen Studien mit einem Tollwut­impfstoff auf mRNA-Basis verweisen. Laut Vorstand könnte der Coronaviren-Impfstoff innerhalb von 16 Wochen die Präklinik durchlaufen haben und dann an Menschen getestet werden.

Von MERS lernen

Die US-Firma Inovio arbeitet bereits seit 2018 an einer DNA-Vakzine gegen das MERS-Virus. Ihr Kandidat INO-4700 war in einer Phase-I-Studie erfolgreich. Kürzlich wurden die Ergebnisse im Fachjournal »The Lancet Infectious Diseases« veröffentlicht (DOI: 10.1016/S1473-3099(19)30397-4). Er sei gut vertragen worden und 95 Prozent der Probanden hätten eine hohe, über 60 Wochen anhaltende Antikörper-Antwort auf die Impfung gezeigt. Der MERS-CoV-Impfstoff soll nun in einer Phase-II-Studie getestet werden. Inovio gab bekannt, dass es mit INO-4800 bereits den Prototypen einer spezifischen Vakzine gegen 2019-nCoV entwickelt hat und gemeinsam mit Beijing Advaccine Biotechnology in klinischen Studien in China und den USA testen will. Präklinik und Produktion für das Prüfprodukt laufen bereits.

Auch das US-Unternehmen Novavax hatte 2017 bereits erste Ergebnisse über eine rekombinante Nanopartikel-Vakzine gegen das MERS-CoV-Virus veröffentlicht. Die Firma hat bereits mit der Entwicklung eines 2019-nCoV-Impfstoffs auf der gleichen Basis begonnen.

Mit Johnson & Johnson (J&J) und GSK kündigten auch zwei Riesen der Branche an, einen Impfstoff gegen 2019-nCoV entwickeln zu wollen. J&J setzt dabei auf die Tochterfirma Janssen und deren Impfstoffprogramm mit den Technologien AdVac und PER.C6, die bereits bei der Entwicklung und Herstellung von Janssens Ebola-Impfstoff zum Einsatz kamen. Dabei sollen Virusproteine als Antigene eingesetzt werden. Außerdem prüft J&J anhand einer Datenbank, ob bekannte Wirkstoffe antivirales Potenzial gegenüber 2019-nCoV besitzen.

GSK will in Kollaboration mit CEPI seine Adjuvanzien-Plattform zur Verfügung stellen. Dadurch soll weniger Antigen benötigt werden, was die Produktion größerer Impfstoffmengen in kürzerer Zeit ermöglichen soll. GSK kooperiert bereits mit der Universität von Queensland in Australien, die an einem eher klassischen Impfstoff arbeitet, der wie der aktuell verwendete Grippeimpfstoff bereits fertige Virusantigene enthält.

Erster Impfstoff frühestens in einem Jahr

Auch das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) arbeitet an einem Impfstoff gegen das neue Coronavirus. Die Forscher nutzen ebenfalls eine Impfstoffplattform, die wie ein Baukastensystem für Viren und passende Antigene funktionieren soll. Basis ist ein abgeschwächtes Pockenvirus (MVA). »Man kann aber nicht erwarten, dass man bereits in der ersten Ausbruchphase eines neuen Virus einen Impfstoff zur Verfügung hat«, betont Professor Dr. Stephan Becker, Direktor des Marburger Instituts für Virologie. Mindestens ein Jahr dauere es, um zu testen, ob ein Impfstoff wirksam und sicher ist.

Nach Einschätzung vom Präsidenten des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Professor Dr. Klaus Cichutek, kommt jedweder Impfstoff nicht mehr rechtzeitig, um die aktuelle Pandemie einzudämmen. Das PEI selbst forsche an Vektorimpfstoffen gegen MERS- und Zikaviren auf Basis eines Masern-Impfvirus, berichtete Cichutek im Interview mit dem Berliner »Tagesspiegel«. Alle Impfstoffkonzepte hätten ihre Vor- und Nachteile. »Wir werden sehen, welche die besten und schnellsten sind«, so Cichutek. Einen konkreten Zeitpunkt, wann die ersten Phase-I-Studien starten könnten, konnte er noch nicht­ nennen.

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