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Arzneimittel für alle – aber wie?

Dass ärmere Länder bei der Verteilung von Arzneimitteln nicht das Nachsehen haben sollten, hat die Corona-Pandemie wieder deutlich gezeigt. Das Thema ist nicht neu, verschafft aber unterschiedlichen Lösungsansätzen neue Aktualität, etwa der Idee, Pharmafirmen für den Gesundheitsgewinn ihrer Präparate zu prämieren. Gleichzeitig sucht die Politik nach langfristigen Lösungen.
Cornelia Dölger
05.08.2021  09:00 Uhr

Schleppende Fortschritte bei der Digitalisierung, Behördenpannen oder politische Schnellschüsse, die nach hinten losgehen: Die Corona-Pandemie bedroht nicht nur Leben und Gesundheit vieler Menschen, sondern fördert auch manchen technischen und organisatorischen Missstand zu tage. Auch das Thema gerechte Verteilung von Impfstoffen und Arzneimitteln hat die globale Krise wieder aufs Tableau gehoben, denn während etwa die Impfdosen in wohlhabenden Industrieländern inzwischen reichlich bis überreichlich vorhanden sind, müssen arme Länder mit einem Bruchteil davon auskommen – allen gegenteiligen Beteuerungen und Ankündigungen seitens der Politik zum Trotz. Auch bei Therapiemöglichkeiten gegen Covid-19 werden die ärmeren Teile der Welt wohl das Nachsehen haben.

Dass dieses Schicksal so nicht sein müsste, treibt den Armutsforscher Professor Thomas Pogge dauerhaft an. Der gebürtige Hamburger lehrt schon lange in den USA, zunächst viele Jahre an der Columbia-University in New York Politikwissenschaften und Philosophie, seit 2008 ist er Professor für Philosophie und internationale Angelegenheiten an der Yale-University. Er beschäftigt sich mit dem Thema Gerechtigkeit, wozu elementar auch das Thema Gesundheit beziehungsweise mangelhafte Gesundheitsversorgung in armen Ländern gehört. Dass die Weltgesundheit also in Schieflage liegt, habe die aktuelle Pandemie wieder gezeigt, sagte Pogge im Gespräch mit der PZ. Die Ursache dafür, dass arme Länder chronisch mit (neuen) Arzneimitteln unterversorgt sind, liegt seiner Ansicht nach dabei vor allem in einem falschen Anreizsystem für die Pharmaunternehmen.

Patentrecht in der Kritik

Im Blick hat Pogge hierbei das Patentrecht, das Unternehmen für einen festgelegten Zeitraum davor schützt, dass andere ihre Präparate nachahmen und so wirtschaftlich nutzen. Die vorübergehende Aussetzung von Patenten auf Coronavirus-Impfstoffe war ja zwischenzeitlich ein umstrittenes politisches Thema. Dass patentierte Arzneimittel nicht von Generikaherstellern produziert werden dürften, führe dazu, dass weltweit ärmere Patientinnen und Patienten von der Arzneimittelversorgung abgeschnitten würden, erklärte Pogge. »Das Patentsystem bringt Innovationen, die für Wohlhabende von Interesse sind«, betonte er. Daraus folge, dass Krankheiten, die häufig in armen Ländern und unter armen Menschen grassieren, von der Forschung »weitgehend ignoriert« würden. Außerdem hätten Pharmafirmen unter einer solchen Regelung überhaupt keinen Anreiz, Präparate zu entwickeln, die Krankheiten tatsächlich eindämmen oder gar ausrotten. »Denn damit würden sie sich ja den eigenen Markt kaputtmachen«, sagte Pogge. »Im Kampf gegen Infektionskrankheiten suchen solche Firmen also vorrangig nach Produkten, die individuellen Patienten helfen, aber die Ausbreitung der Krankheit nicht oder wenig behindern.«

Andere Anreize für die Pharmaindustrie

Pogge schlägt vor, Pharmafirmen anders für ihre kostspieligen und aufwändigen Forschungen zu entlohnen. Geschehen soll dies mit dem so genannten Health Impact Fund, einem von ihm mitbegründeten alternativen Anreizsystem für die Pharmaforschung. Der Fonds wurde von der US-amerikanischen gemeinnützigen Organisation Incentives for Global Health (IGH) entwickelt, in deren Internationalem Beirat laut IGH-Website Persönlichkeiten wie der weltbekannte Linguist Noam Chomsky oder auch die ehemalige Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sitzen.

Die Idee dahinter ist, dass Pharmafirmen sich künftig nach anderen Anreizen ausrichten als nur nach Patenten und Märkten, nämlich indem sie für die nachweisbaren Gesundheitsgewinne bezahlt werden, die ihre Präparate bei Reichen wie bei Armen erzielen. Anders gesagt: Je mehr Menschen gesundheitlich davon profitieren, desto mehr Geld bekommt das Unternehmen. Dafür sollten die Firmen auf ihre Monopolrechte verzichten, dürften aber ihre Patente auf die Substanzen behalten – ein Aspekt, der auf Kritik stieß, während die Idee des Fonds an sich oft als vielversprechend gewertet wurde. Kurz nach dem Start der Initiative vor mehr als zehn Jahren holte die Bundes-SPD den Health Impact Fund sogar auf ihre Agenda. 

Finanziert werden soll das Ganze demnach von Staaten, internationalen Steuern oder auch wohltätigen Geldgebern. Seit der Gründung hätte der Fonds zudem mehrmals öffentliche Fördergelder für die weitere Ausarbeitung des Konzepts erhalten, zuletzt etwa zwei Millionen Euro von der Europäischen Forschungsgemeinschaft, erklärte Pogge. Damit der Plan auch umgesetzt werden könne, brauche es aber mehr: »Wirklicher Erfolg erfordert einen Piloten mit etwa  100 Millionen Euro Ausstattung«, erklärte Pogge. Dies sei aber mehrmals abgelehnt worden, zunächst von China, dann von Deutschland. »Jetzt liegt der Vorschlag beim US-Kongress, wo wir ihn mithilfe von USAID hoffentlich werden durchführen können«, sagte der Wissenschaftler.

Für das Prämiensystem könnten die Pharmafirmen sich freiwillig anmelden. Nach diesem Prinzip, erklärte Pogge, sei es für die Unternehmen reizvoller, an Mitteln zur Ausrottung von Krankheiten zu forschen – essenziell wichtig insbesondere bei Pandemien. »Die Firmen hätten ganz andere Anreize: Sie würden für Gesundheitsgewinne unter Armen genauso gut bezahlt wie für solche unter Reichen und sie erzielten den größten Gewinn, wenn sie eine Krankheit ganz ausmerzen könnten, auch wenn sie nach Erreichen dieses Ziels nichts mehr zu tun hätten«, sagte Pogge. Denn die Belohnungen liefen demnach bis zu zehn Jahre weiter. »Die Erfinderfirma würde weiterhin bezahlt für Abwendung des Schadens, den die Pandemie ohne ihr Eingreifen angerichtet hätte«, erklärte Pogge.

Pandemie verschärft die Ungleichheit

Die derzeitige Pandemie richtet derweil weiterhin Schaden an, auch wenn die Impfraten weltweit steigen. Wirklich sicher vor dem Corona-Virus ist bislang wohl noch niemand – und das Nachsehen bei der Versorgung mit Impfstoffen und Therapien haben ärmere Länder, wie es auch das Bundesentwicklungsministerium einschätzt. Die Pandemie verschärfe die bestehende Ungleichheit bei der Verfügbarkeit von Arzneimitteln, unter anderem weil Gesundheitsdienstleistungen unterbrochen und Medikamente wegen Lieferschwierigkeiten knapp würden, erklärte eine Ministeriumssprecherin auf PZ-Anfrage. Internationale Kampagnen sollten hier kurzfristig helfen, etwa der so genannte Access to Covid-19 Tools Accelerator (ACT-A), mit dem in beschleunigten Verfahren Corona-Diagnostika, -Impfstoffe und -Therapeutika entwickelt und allen Ländern gerecht zur Verfügung gestellt werden sollen. Im Zuge dessen wurde übrigens auch das internationale Impfprogramm Covax gegründet. Dessen Schlagkraft wird aber inzwischen immer öfter angezweifelt; zu wenig und zu ungerecht seien die Vakzine über Covax bislang verteilt worden, sagen Kritiker. Für die ACT-A-Kampagne habe die Bundesrepublik bislang rund 2,2 Milliarden Euro bereitgestellt, so die Sprecherin. Bis Ende dieses Jahres sollten darüber 165 Millionen wirksame Arzneimittel sowie Sauerstoff für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zur Verfügung stehen.

Was passiert aber, wenn die Pandemie eines Tages überstanden ist? Arzneimittel braucht die Welt ja bekanntlich auch über Akutkrisen hinaus. Dass ärmere Länder hierbei gegenüber den Industrienationen benachteiligt sind, ist dabei schon ein bekanntes Public-Health-Thema. Unzählige internationale Forschungen, wissenschaftliche Studien und politische Ansätze gibt es dazu – erst im Mai stellte eine interdisziplinäre Studie rund um Jennifer E. Miller von der Yale School of Medicine im Medizinjournal Jama Network Open fest, dass Arzneimittelzulassungen in Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen häufig deutlich schneller erfolgen als in solchen mit geringerem. Afrikanische Länder seien hierbei besonders benachteiligt, so die Studie – wohl leider wenig überraschend.

Zugang erleichtern

Dabei ist klar, dass Zulassungen als solche kein Garant dafür sein können, dass die Arzneimittel auch zu den Menschen gelangen, aber sie sind ein erster wichtiger Schritt. Bei der Zulassung geht es darum, Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu überprüfen und durch das Erteilen der Zulassung zu bestätigen – ein rein regulatorisches Vorgehen. Laut Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) gibt es inzwischen auf internationaler Ebene Vorgaben für Unternehmen, um die Bereitstellung von Arzneimitteln in ärmeren Ländern zu erleichtern. Etwa hätten die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) ein entsprechendes Verfahren zur Entwicklung und Bewertung von Medikamenten erarbeitet, sagte ein BPI-Sprecher auf PZ-Anfrage. Die EMA könne in Kooperation mit der WHO wissenschaftliche Stellungnahmen zu Arzneimitteln von hoher Priorität geben, inklusive für Impfstoffe, die für Märkte außerhalb der EU bestimmt sind. Zu diesem Verfahren sei im Mai ein Frage-und Antwort-Dokument erstellt worden, das die entsprechende EU-Verordnung («EU-Medicines for all«) erläutern solle. »Das Ziel ist es, den Zugang von essenziellen Arzneimitteln für Patienten in Ländern von kleinen und mittleren Einkommens zu erleichtern«, so der Sprecher.

Und was ist mit der Produktion? Gerade in der Corona-Krise ist oft die Rede von Produktionsstätten für Arzneimittel und die daraus entstehenden gegenseitigen Abhängigkeiten. Das Thema hat es sogar ins Wahlprogramm der CDU geschafft: Bei der Vorstellung im Juni sprach CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet davon, prüfen zu wollen, ob Rabattarzneimittel künftig nur noch in der EU hergestellt werden dürfen, außerdem solle Deutschland wieder »zur Apotheke der Welt werden«. Ziel sei es die »Abhängigkeit von Drittstaaten« zu reduzieren. Auf diesen Pfad setzt auch das Bundesentwicklungsministerium – für arme Länder allerdings mit anderer Blickrichtung. Um deren Abhängigkeit von der weltweiten Versorgung mit Arzneimitteln zu mindern, seien Auf- und Ausbau pharmazeutischer Produktionskapazitäten vor Ort sinnvoll, sagte die Sprecherin der PZ. Dadurch werde der Zugang zu Medikamenten sichergestellt und die Widerstandsfähigkeit gegenüber künftigen Gesundheitskrisen gestärkt. Deutschland prüfe daher Möglichkeiten, »in absehbarer Zeit kommerziell tragfähige und nachhaltige Produktionskapazitäten in Afrika zu unterstützen«. Zudem setze sich die Bundesregierung dafür ein, nationale Gesundheitssysteme und die Etablierung einer nachhaltigen Gesundheitsfinanzierung zu stärken, etwa durch Krankenversicherungen oder höhere öffentliche Gesundheitsausgaben. 

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