ARZ Haan gibt Entwarnung |
Alexander Müller |
06.11.2023 16:20 Uhr |
Die ARZ Haan AG wirkt bei der Aufarbeitung des Falls WDS mit, die Apotheken seien davon aber nicht betroffen, heißt es. / Foto: ARZ Haan AG
Spätestens seit der AvP-Insolvenz reagiert die Branche sehr nervös, wenn es Probleme bei einem Apothekenrechenzentrum gibt. Das war bei der Noventi-Krise der Fall, und ist auch bei den aktuellen Turbulenzen bei der ARZ Haan AG zu beobachten. Die FAZ hatte über mutmaßliche Scheinrechnungen beim Pflegedienstleister WDS berichtet, der später von der ARZ-Gruppe übernommen wurde. Laut Bericht soll die ARZ-Tochter RZH von Forderungsausfällen im Factoringgeschäft betroffen sein.
Die ARZ Haan AG hatte bereits eine Stellungnahme abgegeben und die Vorwürfe betreffend RZH zurückgewiesen. Weitere Auskünfte werden derzeit nicht gegeben. Gegenüber den Apotheken hat die Geschäftsführung der ARZ-Service GmbH nun nachgelegt. Die erhobenen Vorwürfe beträfen die WDS und einen Zeitraum, als der Dienstleister noch nicht Teil der Unternehmensgruppe war. Die betroffenen ehemaligen Mitarbeitenden der WDS seien nicht mehr im Unternehmen. »Die geäußerten Mutmaßungen berühren also die ARZ Service GmbH in keiner Weise, es geht hier um eine andere Gesellschaft und es geht nicht um Rezeptabrechnungen«, heißt es in der Stellungnahme. Das Unternehmen sei kerngesund und verfüge über eine starke Eigenkapitalquote. »Ihre Gelder sind bei uns gut aufgehoben«, versichert die Geschäftsführung.
Die Unruhe ist dennoch beim Rechenzentrum spürbar: Zahlreiche Nachfragen und vereinzelte Kündigungen haben das ARZ in der Zwischenzeit erreicht, einige Apotheken wollten ihr Geld vorab haben. Aus Sicht von Experten sind das Überreaktionen. Rechtsanwalt Morton Douglas hat gegenüber der von ihm beratenen Apothekenkooperation Elac Entwarnung gegeben und auch Steuerberater Bernhard Bellinger hat als Kernbotschaft an seine Mandanten verschickt : »Ich würde meine Rezepte ganz normal weiter beim ARZ Haan einreichen.«
Die erste zentrale Frage betrifft aus Bellingers Sicht die Liquidität des Rechenzentrums. Der letzte publizierte Konzernabschluss der ARZ Haan AG zum 31. Dezember 2021 sei »sauber«. Hier stehe ein Gewinn von rund 6,9 Millionen Euro, 2020 seien es 5,3 Millionen Euro gewesen. Der Gewinnvortrag per Ende 2021 belaufe sich auf 46,2 Millionen Euro. Es sei also, so Bellinger, relativ viel Masse vorhanden, um auch einen Betrag von maximal 20 Millionen Euro wegzustecken, ohne dass es bei der Liquidität irgendwelche Engpässe geben dürfte.
Ob überhaupt noch Ausfälle in dieser Höhe drohen, ist gar nicht gesagt. In der Bilanz von 2022 sind Verlustübernahmen in Höhe von 4,4 Millionen abgeschrieben. Was die mutmaßlichen Scheinrechnungen angeht, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ehemalige Spitzen der WDS, nicht gegen Personen bei der ARZ-Gruppe. Gefährlich dürfte aber selbst ein Totalverlust nicht werden: ARZ Haan hat für 2021 ein Eigenkapital in Höhe von 62,5 Millionen Euro ausgewiesen, für 2022 65,6 Millionen Euro. Die Eigenkapitalquote habe damit zuletzt bei 87,9 Prozent gelegen.
Bellinger zufolge sind auch die Verbindlichkeiten des Rechenzentrums »völlig okay«. Aufgrund der Vorfinanzierung etwa beim Hersteller-Rabatt seien Verbindlichkeiten bei Kreditinstituten gängig. Kritisch seien solche Verbindlichkeiten nur, wenn ihnen in der Aktiv-Seite der Bilanz kein entsprechender Betrag gegenüberstehe. Beim ARZ Haan seien im Umlaufvermögen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen von rund 218 Millionen Euro – deutlich über den Verbindlichkeiten gegenüber Banken von 147 Millionen Euro und aus dem Abrechnungsgeschäft von 35 Millionen Euro. »Aus diesen Zahlen kann ich jedenfalls keine Schieflage der ARZ Haan AG ableiten«, so Bellinger. Zwar handele es sich um die Bilanz von 2021, es sei aber kaum vorstellbar, »dass man diese Wertigkeiten mit einem einzigen Geschäft der Größenordnung des WDS abschießen könnte«, so der Steuerberater.
Ein weiterer Punkt beruhigt Bellinger: Das Verhältnis der Abrechnungskunden mit dem ARZ Haan sei klar strukturiert. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sei festgehalten, dass die Apotheken Rechtsinhaber der abzurechnenden Forderungen sind. Ebenso sei geregelt, dass das ARZ jeweils ein eigenes Abrechnungskonto unterhält, aus dem keine Beträge für anderweitige Geschäfte abgezogen werden dürfen. Das sei der wesentliche Unterschied zum damaligen Fall AvP. Bei der Pleite des Rechenzentrums im Herbst 2020 konnten tausende betroffene Apotheken eine Aussonderung ihrer Forderungen nicht durchsetzen – aufgrund der Vertragslage bei AvP.
Auf einen Umstand will Bellinger in diesem Zusammenhang aber doch hinweisen: Zahle die Krankenkasse an das Rechenzentrum aus, sei der Kostenträger endgültig von der Zahlungspflicht befreit. Daran änderten auch die AGB der Rechenzentren nichts. Werde nach der Zahlung des Kostenträgers an das Rechenzentrum vertragswidrig Geld entnommen, seien sämtliche Aussonderungsrechte automatisch nichts mehr wert. Diese Einschränkung gelte allerdings für alle Rechenzentren und sei hier nicht einschlägig. Bellinger deutlich: »Ich sehe aber beim ARZ Haan aktuell keinerlei Hinweise darauf, dass eine solche Schräglage gegeben wäre.« Ein Verlustgeschäft mit der Firma WDS sei nicht auszuschließen, würde sich aber wahrscheinlich auf Konzernebene bewegen. Dort dürfte die Kapitaldecke aber so opulent sein, dass das Unternehmen das wegsteckt.
Noventi teilt hierzu mit, dass als Konsequenz aus der AvP-Insolvenz in den AGB eine Zug-um-Zug-Abtretung eingeführt wurde. Danach gehe die abgetretene Forderung der Apotheke erst dann auf das Rechenzentrum über, wenn diese den korrespondierenden Auszahlungsbetrag erhalten hat. »Dies schließt das theoretische Risiko des Verlusts der Abrechnungsgelder für unsere Kundinnen und Kunden aus«, so ein Noventi-Sprecher. Die Frage nach einem Aussonderungsrecht in einer hypothetischen Insolvenz stelle sich gerade nicht.
Bellinger kritisiert, dass in einem so hochsensiblen Markt immer schnell negative Gerüchte im Umlauf seien. »Ich würde es aber für fatal halten, auf einen Pressebericht, dessen wirtschaftlichen Wahrheitsgehalt man von draußen gar nicht beurteilen kann, mit negativen Konsequenzen zu reagieren, wenn das Unternehmen selbst so gesund ist, dass es einen Störfall der publizierten Größenordnung bequem wegstecken können müsste«, so der Steuerberater.