Artemisinin bei PCOS in Pilotstudie wirksam |
Annette Rößler |
17.06.2024 09:00 Uhr |
Aus dem einjährigen Beifuß (Artemisia annua) stammt Artemisinin. Der Naturstoff ist bei Malaria wirksam und einer aktuellen kleinen Studie zufolge auch bei polyzystischem Ovarsyndrom. / Foto: Adobe Stock/orestligetka
Vom polyzystischen Ovarsyndrom (PCOS) sind 10 bis 13 Prozent der Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter betroffen. Bei ihnen liegt ein Überschuss an männlichen Geschlechtshormonen vor, was unter anderem zu Zyklusstörungen, Unfruchtbarkeit und metabolischen Störungen wie einer Insulinresistenz führt. Obwohl das PCOS oft einen hohen Leidensdruck verursacht und die häufigste endokrinologische Erkrankung von Frauen im fertilen Alter ist, gibt es zurzeit weder ein zugelassenes Medikament noch eine Leitlinie. Letzteres soll sich jedoch bald ändern.
Auch in puncto Behandlungsmöglichkeiten gibt es Neuigkeiten. Sie sind im Fachjournal »Science« nachzulesen, wo aktuell ein Team um Yang Liu von der Fudan-Universität in Schanghai über eine potenzielle Wirksamkeit von Artemisinin-Derivaten bei PCOS berichtet. Die Gruppe hatte in einer früheren Arbeit festgestellt, dass Artemisinin, ein aus dem einjährigen Beifuß (Artemisia annua) gewonnener Naturstoff, der als Malariamittel gebräuchlich ist, auch die Insulinsensitivität erhöht. In der aktuellen Studie verabreichten die Forschenden den vom Artemisinin abgeleiteten Wirkstoff Artemether Mäusen und Ratten, bei denen sie zuvor experimentell eine Art PCOS erzeugt hatten.
Die Produktion männlicher Geschlechtshormone ging daraufhin bei den Tieren deutlich zurück und Zyklusunregelmäßigkeiten, die polyzystische Morphologie der Eierstöcke und die Subfertilität besserten sich. Genauere Analysen ergaben, dass hierfür die Interaktion zwischen den beiden Enzymen Lon Peptidase 1 (LONP1) und Cytochrom-P-450-(CYP-)11A1 verantwortlich war, die durch Arthemeter verstärkt wurde. CYP11A1 katalysiert den ersten Schritt der Androgensynthese; es wird mithilfe von LONP1 abgebaut. Bei den Versuchstieren mit PCOS war LONP1 herunterreguliert, sodass CYP11A1 überaktiv war und vermehrt Androgene synthetisiert wurden. Durch die Gabe des Artemisinin-Abkömmlings wurde CYP11A1 verstärkt abgebaut.
Auch bei 19 PCOS-Patientinnen, die zwölf Wochen lang mit Dihydroartemisinin (DHA) behandelt wurden, zeigten sich positive Effekte: Unter anderem der Testosteronspiegel und der Wert des Anti-Müller-Hormons (ein Marker für die Eizellreserve) sanken signifikant ab, zudem kam es bei knapp zwei Dritteln der Probandinnen zu einer Wiederherstellung regelmäßiger Menstruationszyklen. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden keine berichtet.
Die Autoren sehen in ihren Ergebnissen einen Beleg für ein vielversprechendes Potenzial von Artemisinin-Derivaten als »umfassende Behandlung« bei PCOS. Unabhängige Experten, die das Science Media Center befragt hat, loben zwar die Methodik der Studie, weisen aber auf Einschränkungen hin.
So merkt etwa Dr. Cornelia Jaursch-Hancke, Leiterin des Fachbereichs Diabetologie und Endokrinologie an der DKD Helios Klinik Wiesbaden und verantwortliche Koordinatorin der aktuell in der Erstellung befindlichen S2k-Leitlinie zum PCOS, an, dass die genauen Wirkungen von Artemisinin auf den menschlichen Organismus noch nicht bekannt seien. Die vorliegende Studie beschränke sich in der genauen Wirkweise nur auf die Enzyme, die PCOS betreffen. »Aber was das Medikament noch alles im Körper macht, untersuchen sie nicht.«
Derzeit stehe neben oralen Kontrazeptiva mit Metformin eine »höchst wirksame Behandlung« für Patientinnen mit PCOS zur Verfügung, so Jaursch-Hancke. Daneben würden viele alternative Behandlungsmöglichkeiten diskutiert, etwa Inositol, Resveratol, Mönchspfeffer, Coenzym Q10, Ginseng, Curcumin und weitere. Auch diese hätten in ähnlichen Studien wie der vorliegenden Effekte zeigen können, »aber in placebokontrollierten Folgestudien hatten sie keine ausreichende Wirkung«, berichtet die Expertin. Aus dieser Erfahrung heraus sehe sie »zunächst keine Perspektive für Artemisinin«.
Professor Dr. Beata Seeber, stellvertretende Direktorin der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck in Österreich, gibt zu bedenken, dass CYP11A1 einen sehr frühen Schritt der Steroidproduktion im Ovar katalysiere. »Das heißt, es ist auch für die Produktion anderer wichtiger Fortpflanzungshormone wie Progesteron, DHEA und schließlich auch Estradiol zuständig. Die Auswirkungen von Artemisininen auf diese wichtigen Hormone wurden in der Studie nicht untersucht.«