Armut in der Apotheke begegnen |
Daniela Hüttemann |
18.12.2024 18:00 Uhr |
Apotheker sollten mehr tun (dürfen), als Arzneimittel abzugeben, meint Sabine Haul, die gut im Stadtteil und darüber hinaus vernetzt ist. / © PZ/Daniela Hüttemann
Ossolinski und Haul berichteten im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung über viele konkrete Fälle, wo es aufgrund von Armut zu einer Unter-, aber auch Überversorgung kommt. »Manchmal werden mehr Arzneimittel als nötig verordnet, weil die Krankenkasse sie übernimmt, nicht aber die eigentlich sinnvollere Therapiealternative«, so Haul.
Zum Beispiel die Patientin mit mittleren Schmerzen, aber mit dem Hauptproblem Obstipation. »Es wurden auf Wunsch der Patientin Opioide verordnet, obwohl sie mit einem Metamizol ausgekommen wäre – nur, damit sie ihr Macrogol erstattet bekommt«, kritisiert Haul. Heraus komme so etwas häufig in den intensiven Gesprächen als Teil der erweiterten Medikationsberatung. Nicht selten verschleppten ärmere Menschen auch Krankheiten wie einen Atemwegsinfekt, bis der Arzt ein Antibiotikum aufschreibt.
Verweigert die Krankenkasse eine Therapie, lohne es sich oft, Einspruch einzulegen. Das schaffen jedoch viele Menschen im Alter und/oder in Armut nicht allein. »Für manche Therapien muss man richtig kämpfen, zum Beispiel zur Migräne-Prophylaxe. Die bekommen dann eher die, die mit dem Anwalt drohen und die Ressourcen haben. Gerecht ist das nicht«, findet die Apothekerin.
»Bei einem OTC-Wunsch suchen wir immer nach der günstigsten und sinnvollsten Alternative. Bei einer Erkältung raten wir beispielsweise von den teuren Kombinationspräparaten ab, empfehlen stattdessen gegebenenfalls ein Nasenspray und raten zu Ruhe und Inhalation. Und zur Not geben wir auch mal kostenlos Ibuprofen für zwei Tage mit oder verschieben die Zahlung auf den nächsten Monat.« Ausgenutzt werde das selten. Viele zahlten dankbar später zurück und seien generell bereit, von ihrem wenigen Geld in ihre Gesundheit zu investieren.
»Ich wünsche mir, dass sich jede Apotheke in ihrem Umfeld gut vernetzt und weiß, wohin sie die Patienten oder auch ihre Angehörigen vermitteln kann«, so Haul. Im ersten Schritt könne man sich an sein Bezirksamt/Bürgerbüro und Gesundheitsamt wenden, um herauszufinden, wer für die Pflegeberatung zuständig ist. Gute Anlaufstellen sind auch Organisationen wie die Diakonie oder das Deutsche Rote Kreuz.
Die Beteiligung an solchen Netzwerken sei auch eine Möglichkeit für die Apotheke, sich und ihren Wert besser zu zeigen. »Vielen anderen Leistungserbringern, den Behörden und der Politik ist nicht bewusst, was wir bereits alles können und machen an Therapiebegleitung, Medikationsmanagement oder auch Prävention.«
Mittlerweile schickten Gesundheitszentrum, Pflegestützpunkt und auch Arztpraxen Patienten für Medikationsanalysen in die Apotheke, wenn die Mitarbeiter dort einen Bedarf vermuten oder verweisen auf den Botendienst, wenn Patienten mobilitätseingeschränkt sind.
Bei der Elefanten-Apotheke kam der Stein vor rund elf Jahren ins Rollen, als ein Demenz-Netzwerk für den Stadtteil ins Leben gerufen wurde. Daraus entstanden neue Kontakte, auch zu anderen Professionen und Spezialgebieten. »Je besser ich mich interprofessionell vernetze, desto mehr Zeit spare ich ganz klar in der Beratung im HV«, ist Hauls Erfahrung. Auch Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen für bestimmte Erkrankungen können mit ihrem Spezialwissen oft weiterhelfen (siehe Kasten).
»Wir haben alle einmal diesen Beruf ergriffen, weil wir helfen wollen, und sind frustriert, wenn wir das Gefühl haben, nichts machen zu können. Netzwerke entlasten alle Mitarbeitenden in der Apotheke. Und um noch etwas Positives zu sagen: Es gibt im Gesundheits- und Sozialsystem viele Unterstützungsmöglichkeiten, aber man muss den Patienten den Weg dorthin weisen. Das können durchaus wir Apotheken übernehmen.«