Pharmazeutische Zeitung online
Medikamentenmangel

Apotheker bittet Lauterbach, »Notlage« abzuwenden

Ein Apotheker aus dem baden-württembergischen Kirchheim hat einen »Brandbrief« an Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) geschickt. Darin schlägt er Alarm wegen des akuten Mangels an über 400 Arzneimitteln und fordert schnelle Unterstützung, um die Versorgung zu sichern. Er schlägt unter anderem vor, wichtige Medikamente wieder in Deutschland herzustellen und den Import von Arzneimitteln aus dem europäischen Ausland zu erleichtern.
Anne Orth
04.01.2023  15:35 Uhr

Bereits am 19. Dezember warnte Apotheker Daniel Miller aus Kirchheim in Baden-Württemberg Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in einem »Brandbrief« vor einer »Notlage« angesichts einer langen Liste fehlender Arzneimittel und forderte Schritte, um den Mangel zu beseitigen. Er sandte das Schreiben per Mail auch an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und an Manfred Lucha, Gesundheitsminister in Baden-Württemberg. Zudem gab er ein Interview im SWR und streute den Brief in den sozialen Medien. 

»Katastrophale Situation«

Von der PZ befragt, was ihn zum Verfassen des Brandbriefes bewogen hatte, erklärte Miller: »Ich bin seit etwa 20 Jahren im Beruf, meine Apotheke ist seit über 160 Jahren in Familienbesitz. So eine katastrophale Situation an Lieferengpässen habe ich noch nicht erlebt und ich sehe aktuell keine Verbesserung, sondern vielmehr eine Verschlechterung dieses Zustandes. Ich möchte diesen Zustand nicht hinnehmen, sondern etwas tun und mit meinem Schreiben auf die Dringlichkeit einer Lösung hinweisen.« Als Familienvater sei er insbesondere über die Versorgungslage in der Pädiatrie besorgt und könne die Verzweiflung und Sorge vieler Eltern sehr gut nachvollziehen. »Ich hoffe, mit meinem Brandbrief auch weitere Kollegen zu ermutigen, sich hinsichtlich dieser Problematik an die Öffentlichkeit, Politik, usw. zu wenden«, fügt Miller hinzu.

In seinem Brief schilderte der Apotheker die aktuelle Situation, ging auf Ursachen ein und schlug mögliche Lösungen vor. Derzeit fehlten 400 Arzneimittel, sowohl verschreibungspflichtige Arzneimittel als auch OTC-Präparate, die Tendenz sei steigend. Betroffen seien nahezu alle Wirkstoffklassen. Vor allem bei Kinderarzneimitteln herrsche große Not, da Ibuprofen- und Paracetamol-Arzneimittel sowie Antibiotika sehr stark betroffen seien, beschrieb Miller den Ernst der Lage. Oft gebe es keine Ausweichmöglichkeit. Auch bei der Verfügbarkeit von Insulin verschlechtere sich die Situation.

»Gesundheitssystem steht vor dem Burn-out«

»Meiner Ansicht nach befindet sich unser gesamtes Gesundheitssystem in einer Abwärtsspirale«, kritisierte Miller in seinem Schreiben, das der PZ vorliegt. Er beklagte unter anderem sinkende Apothekenzahlen, Schließung von Arztpraxen wegen fehlender Nachfolger, Fachpersonalmangel in allen Bereichen und eine unsichere Arzneimittelversorgung. Der Bevölkerung sei der Ernst der Situation »nicht in dieser Dramatik bewusst«, schrieb Miller. Gegenüber der PZ warnt er: »Seit Beginn der Pandemie sehe ich in den Apotheken eine gewaltige Aufgabe nach der anderen. In den Arztpraxen und Krankenhäusern sieht es ja nicht besser aus. Wenn es so weitergeht, steht unser Gesundheitssystem vor dem Burn-out.«

Als Ursachen für die Misere macht Miller in seinem Schreiben unter anderem die Verlagerung vor allem der Wirkstoffproduktion nach Asien, die Abhängigkeit vom asiatischen Markt und mangelnde Transparenz bei Arzneimittelreserven verantwortlich. Er kritisierte, dass Arzneimittel wie beispielsweise Paracetamol-Saft oft nur von wenigen Herstellern produziert werden. Weitere Ursachen für den Medikamentenmangel seien die Anfälligkeit der Lieferketten, Qualitätsprobleme und Bürokratie.

»Notsortiment« in Deutschland produzieren

Der Apotheker beschränkte sich in seinem Brief aber nicht auf Kritik, sondern machte zahlreiche konkrete Lösungsvorschläge. So forderte er unter anderem, eine Liste mit unbedingt notwendigen Arzneimitteln zu erarbeiten und die Produktion dieses »Notsortiments« in Deutschland sicherzustellen, indem die produzierende Industrie eine wirtschaftliche Vergütung erhält. Dadurch müsse die Abhängigkeit von Asien verringert werden.

Der Apotheker forderte zudem, den Import von Arzneimitteln aus dem europäischen Ausland zu erleichtern. Der Austausch von Präparaten in der Apotheke ohne Rücksprache mit dem Arzt müsse ebenfalls erleichtert werden, genauso wie ein Austausch von Arzneimitteln unter Apotheken. Großbestellungen durch Apotheken, um Arzneimittel zu horten, müsse die Politik durch Mengenbeschränkungen unterbinden. Der Apotheker schlug weiterhin vor, eine Plattform zum besseren Austausch über Lieferengpässe zur Kommunikation von Industrie, Großhandel, Ärzten und Apotheken einzurichten.

Bevölkerung über die Lage informieren

Miller beklagte in seinem Brief außerdem die »fehlende Wertschätzung der Arzneimittel als kostbares Gut«. So würden Kunden Medikamente oftmals aufgrund mangelnder Compliance nicht einnehmen und entsorgen. Um das zu verhindern, müsse die Bevölkerung über die aktuelle Lage informiert werden.

Der Apotheker forderte darüber hinaus eine »Konzentration des Gesundheitssystems auf das Wesentliche«. Die ärztliche Versorgung sowie die flächendeckende Versorgung durch ausreichend verfügbare Arzneimittel müsse sichergestellt werden. »Ich bitte Sie im Sinne der Versorgung unserer Bevölkerung um dringende Unterstützung«, appellierte Miller in seinem Schreiben an die Politiker Lauterbach, Kretschmann und Lucha.

Der »Alarm« des Apothekers blieb nicht ohne Wirkung. »Auf lokaler und auf Landesebene ist das Interesse seitens der Politik sehr groß und ich erhalte sehr positive Rückmeldungen«, berichtete Miller auf Nachfrage der PZ. Auch die Kunden reagierten »sehr interessiert und äußerst positiv«.

BMG sendet allgemeine Antwort

Vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) erhielt der Apotheker am 21. Dezember zunächst eine etwas ausführlichere Eingangsbestätigung. Am heutigen Mittwoch folgte eine Antwort auf sein Schreiben, die der PZ vorliegt. Um die Versorgung zu verbessern, hätten sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände über Voraussetzungsdetails zur Verordnung und Vergütung von individuellen Rezeptarzneimitteln, die auf ärztliche Verschreibung eines entsprechenden Fertigarzneimittels hin in Apotheken hergestellt werden, abgestimmt. So könne bei »Nichtverfügbarkeit eines benötigten Fiebersaftes die Apotheke auf entsprechende Verordnung ein Rezeptarzneimittel herstellen«, heißt es in dem Schreiben. Das BMG wies zudem darauf hin, dass die eingeschränkte Verfügbarkeit ein Tagesordnungspunkt in der letzten Sitzung des Beirats zu Liefer- und Versorgungsengpässen beim BfArM war. Das BfArM stehe darüber hinaus im kontinuierlichen Austausch mit betroffenen Herstellern. Das Ministerium sei an Vorschlägen und Anregungen zur Verbesserung der Versorgungssituation sehr interessiert. Diese würden ausgewertet. »Wir bitten jedoch um Verständnis, dass eine individuelle Stellungnahme hierzu nicht möglich ist«, heißt es weiter.

Geplantes Gesetz kann »aktuellen Brand nicht löschen«

Um das Problem der Lieferengpässe und des Mangels an vielen Arzneimitteln in den Griff zu bekommen, hatte Bundesgesundheitsminister Lauterbach noch vor Weihnachten Eckpunkte für ein Generika-Gesetz vorgelegt. Die PZ berichtete ausführlich darüber. Mit dem Vorhaben will die Ampel-Koalition die Verfügbarkeit von Arzneimitteln, insbesondere im Bereich der Kinderarzneimittel, verbessern. Unter anderem sollen die Festbeträge teils komplett wegfallen, teils nach oben korrigiert werden. Hinzu kommen neue Ausschreibungskriterien bei der Rabattvertragsvergabe. Die während der Pandemie gelockerten Abgaberegeln in Apotheken sollen fortgeführt werden. Zudem hat Lauterbach die Krankenkassen gebeten, Rezeptur-Verordnungen von der Wirtschaftlichkeitsprüfung auszuschließen. Das Gesetz soll in diesem Jahr verabschiedet werden. Auf die Frage, ob das geplante Gesetz die Versorgungssituation verbessern könne, äußerte Apotheker Miller gegenüber der PZ: »Mittelfristig ja, aber der aktuelle Brand wird damit nicht gelöscht.«

Auch der nordrein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte Lauterbach noch vor Weihnachten aufgerufen, einen Versorgungsmangel festzustellen, um die Versorgung mit Kinderarzneimitteln kurzfristig zu verbessern. Dies würde es den Behörden ermöglichen, den Import von Arzneimitteln zu erlauben.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa