Apothekenversorgung im Verteidigungsfall |
Melanie Höhn |
03.06.2025 16:20 Uhr |
Generaloberstabsarzt Ralf Hoffmann, Befehlshaber des Zentralen Sanitätsdienstes (links) und Heiko Rottmann, Leiter der Unterabteilung »Gesundheitssicherheit« aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) / © PZ/Melanie Höhn
Angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Lage richtet die Bundeswehr ihren Fokus verstärkt auf die Landes- und Bündnisverteidigung – mit erheblichen Auswirkungen auf das Gesundheitswesen. Wie dieses auf ein Kriegsszenario vorbereitet werden kann, war Thema beim erstmals ausgerichteten Symposium »Gesundheitsversorgung in der Landesverteidigung« in Berlin.
Generaloberstabsarzt Ralf Hoffmann, Befehlshaber des Zentralen Sanitätsdienstes und Wehrmedizinischer Berater des Verteidigungsministers, hatte Vertreterinnen und Vertreter aus zivilem Gesundheitswesen, Bundeswehr, Standesvertretungen der Apotheker- und Ärzteschaft, pharmazeutischer Industrie, Katastrophenschutz, Hilfsorganisationen, Wissenschaft und Politik eingeladen, um konkrete Maßnahmen einer Gesundheitsversorgung im Fall einer Landesverteidigung zu diskutieren. Sein Appell: Die Sicherstellung einer belastbaren medizinischen Versorgung auch im Ernstfall könne nur gemeinsam gelöst werden. Zudem müsse ein Gesundheitssicherstellungsgesetz die rechtlichen Grundlagen für eine krisenfeste medizinische Versorgung schaffen.
»Das Gesundheitssystem muss raus aus dem Dornröschenschlaf«, mahnte Hoffmann in seiner Eröffnungsrede. Mit Blick auf ein mögliches Kriegsszenario müsse die Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Strukturen gestärkt werden. Eine NATO-Simulation zeige: Sollte Deutschland nicht nur Aufmarschgebiet, sondern auch Verwundetendrehscheibe werden, sei mit bis zu 1000 Patientinnen und Patienten pro Tag zu rechnen. Die Bundeswehrkrankenhäuser wären binnen zwei Tagen überlastet – auch, weil das medizinische Personal dann näher an der Front im Einsatz wäre.
Impulse kamen auch aus dem Ausland: Die Ukraine habe ihr Gesundheitssystem mit Kriegsbeginn schnell angepasst, Israel und die Schweiz gelten ebenfalls als Beispiele für krisenfeste Strukturen. Vertreter dieser Länder stellten ihre Erfahrungen vor.
Doch wie kann eine resiliente Arzneimittelversorgung im Verteidigungsfall sichergestellt werden und welche besondere Rolle spielen die Apotheken? »Die öffentlichen Apotheken spielen in der Versorgung eine extrem wichtige Rolle. In der Landesverteidigung werden wir uns überlegen müssen, wie können wir die Apotheken offen halten, wie funktionieren die Versorgungswege, woher bekommen die Apotheken die Medikamente, mit welcher Priorität – das sind Fragestellungen, die jetzt in dem Symposium besprochen werden sollen und wofür wir weitere Vorschläge brauchen, wie das am besten zu realisieren sein wird«, sagte Hoffmann auf Nachfrage der PZ.
Es sei wichtig, zu überlegen, welche Schritte bei der Arzneimittelversorgung eingeleitet werden müssen. »Man kann zum Beispiel eine massive Lagerhaltung fördern, aber die kommt schnell an Grenzen. Das Ganze ist sehr komplex und geht nur zentral. Dann könnte man schauen, dass man die eigenen Möglichkeiten zur Herstellung von Pharmazeutika stärkt, zumindest für Krisenlagen«, so Hoffmann. »Ich glaube das ist ein Schritt, über den wir uns ernsthaft Gedanken machen müssen, um auf solche Krisenlagen besser reagieren zu können.«
In einem nichtöffentlichen Teil diskutierten die Expertinnen und Experten über aktuelle Herausforderungen und Handlungsansätze bei der Gesundheitsversorgung im Verteidigungsfall. Für die Apothekerschaft moderierten Armin Hoffmann, Präsident der Bundeapothekerkammer sowie Professor Dieter Steinhilber, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmazeutische Chemie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main den Workshop zur Sicherstellung einer resilienten Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten. Weitere Teilenehmer waren unter anderem Stephan Hofmeister von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft und Professor Heyo Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité-Klinken in Berlin und Vorsitzender des ExperteInnenrats »Gesundheit und Resilienz« der Bundesregierung, die sich über klinische und ambulante Versorgung sowie die Versorgung mit Blut und Blutprodukten in der Landesverteidigung austauschten.
In den Workshops wurden auch konkrete Szenarien besprochen: Wer behandelt Verwundete? Wer koordiniert Transporte? Wie sieht medizinische Versorgung bei Schuss- oder Explosionsverletzungen aus? Auch Digitalisierung und Fortbildungsbedarfe wurden thematisiert. Die Arbeitsergebnisse der Workshops sollen in einem Bericht zusammengefasst und dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie dem Verteidigungs- und Innenministerium vorgelegt werden.
Ralf Hoffmann betonte zudem, dass die Gesundheitsversorgung im »Worst Case« einer Landesverteidigung eine gesamtstaatliche Aufgabe sei, bei der »alle Verantwortlichen zusammenwirken müssen, um das bestmöglich in den Griff zu bekommen«. Die Bundeswehr und deren Sanitätsdienst stellten nur den Rahmen, um alle Akteure des Gesundheitswesen zusammenzubringen und bestmögliche Lösungen zu suchen.
Das komplexe Gesundheitswesen in Deutschland müsse auf Krise und Konflikt angepasst werden. »Das braucht Zeit, allerdings haben wir diese Zeit nicht mehr und wir müssen tatsächlich konkret werden und so schnell wie möglich Schritte in die Wege leiten. Ich glaube, da ist noch viel Handlungsbedarf«, sagte er. »Die Sicherheitslage hat sich negativ entwickelt in den vergangenen Monaten und Jahren und dieser gestiegenen Bedrohung müssen wir Rechnung tragen.«
Für die Anpassung der gesetzlichen Grundlagen sei das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) federführend, das schon in der vergangenen Legislaturperiode ein Gesundheitssicherstellungsgesetz angeschoben habe. Bei der Erarbeitung seien das BMG sowie das Innen und -Verteidigungsministerium involviert, erklärte Heiko Rottmann, Leiter der BMG-Unterabteilung »Gesundheitssicherheit« auf dem Symposium.
Eckpunkte seien etwa die Aspekte Transport, Blutversorgung, Sanitätsmaterial, Bevorratung oder Entscheidungskompetenzen. Es gebe bereits Ansätze, die beispielsweise Ausnahmen von bestehenden Regelungen ermöglichen, wie etwa in der Pandemie. Sieben Arbeitsgruppen würden sich aktuell in der neuen Legislaturperiode mit diesen Arbeitsfeldern auseinandersetzen, inklusive der Innen- und Gesundheitsressorts der Länder sowie Kliniken, medizinische Fachgesellschaften oder Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz. Der Arbeitsentwurf soll zum Jahreswechsel fertig sein. »Wenn wir schneller wären, wäre es schöner, aber es gibt keine Garantie dafür«, so Rottmann.