Apotheken in Seenot, Politiker in Sehnot |
Daniela Hüttemann |
01.09.2023 17:30 Uhr |
Der LAV-Vorstandsvorsitzende Berend Groeneveld und Kammerpräsidentin Cathrin Burs verdeutlichten den zum Sommerfest gekommenen Politikern, wie Ernst die Lage der Apotheken auch in Niedersachsen ist. / Foto: LAV Nds./Apothekerkammer Nds./Lorena Kirste
Die Apotheken sind in Seenot – so drastisch formulierte es Berend Groeneveld, Vorstandsvorsitzender des Landesapothekerverbands Niedersachsen in seiner Begrüßungsrede zum politischen Sommerfest am Donnerstagabend in Hannover, zu dem der LAV gemeinsam mit der Apothekerkammer Niedersachsen Landtags- und Kommunalpolitiker sowie Gäste aus dem gesamten Gesundheitsbereich eingeladen hatten. Und die waren auch dank der günstigen Lage direkt neben dem Landtag zahlreich erschienen.
Kurz vor der Coronavirus-Pandemie hatte Groeneveld der Politik noch eine »Sehnot« in Bezug auf die Probleme der Apotheken attestiert. Zwar hätten die Politiker diese zumindest mittlerweile im Blick. Es gab und gibt viele wertschätzende Worte und Dank für die Leistungen der Apotheken während der Pandemie und nun im täglichen Lieferengpass-Management – »aber es fehlt immer noch der Wille, das in eine angemessene Honorierung umzusetzen«, kritisierte Groeneveld .
In Niedersachsen schätze man den engen und offenen Austausch mit der Politik. Hier würden die Forderungen der Apotheken spätestens seit dem erfolgreichen Protesttag am 14. Juni ernster genommen. Alle seien überrascht gewesen, wie geschlossen die Teilnahme der Apotheken war – ein Zeichen, dass die Not alle betrifft. »Noch funktioniert die Versorgung bei uns im zweitgrößten Bundesland, aber die Wege zur nächsten Apotheke werden weiter werden – auch in beliebten Urlaubsregionen wie an der Nordsee oder im Harz«, warnte Groeneveld.
Der Verbandsvorsitzende prophezeite, dass die flächendeckende Versorgung in zwei bis vier Jahren nicht mehr gegeben sein wird, wenn es so weitergeht wie bisher. Es tue ihm um jede einzelne Apotheke leid, die schließen müsse, schloss er sich einem Zitat des ehemaligen ABDA-Präsidenten Friedemann Schmidt an. In Niedersachsen waren es zum Jahreswechsel noch 1755 Apotheken, Tendenz weiter sinkend. Der Apothekenschwund hier sei überproportional stark im Bundesvergleich.
»Der Staat hat uns eine Aufgabe übertragen, nämlich die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Dazu sind wir gerne bereit, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Aber dann muss der Staat auch dafür sorgen, dass wir das schaffen können«, sagte Groeneveld. Denn es funktioniere nicht mehr für ein Honorar wie noch vor 19 Jahren, auf dem Niveau sich die Apotheken immer noch befinden, während seitdem beispielsweise das Beitragsvolumen der Krankenkassen um 200 Prozent stieg, die Lohnkosten um 168 Prozent und die Mieten um 172 Prozent. »Unser Honorar muss deutlich angepasst werden«, forderte der LAV-Vorsitzende.
Neben einer fairen Honorierung wünschen sich die Apotheken angesichts des eklatanten Fachkräftemangels auch die Förderung des pharmazeutischen Nachwuchses und den Abbau von Bürokratie. »Wir kämpfen für maximale Handlungsfreiheiten«, so Groeneveld mit Blick auf anstehende Verhandlungen zwischen Deutschem Apothekerverband und GKV-Spitzenverband kommende Woche. Das Lieferengpass-Gesetz (ALBVVG) habe hier bislang nur marginale Verbesserungen geschaffen. Auch die Nullretaxierung gehöre abgeschafft.
Von zwei kleinen Lichtblicken sprach Kammerpräsidentin Cathrin Burs. So bedankte sie sich bei den Landtagsabgeordneten, dass endlich das Schulgeld für PTA in Niedersachsen abgeschafft wurde. Zudem wies sie auf ein gerade gestartetes Pilotprojekt mit der TU Braunschweig hin, bei dem Pharmazeuten und Mediziner im Praktikum gemeinsame Seminare belegen und praktische Übungen am Patientenbett im Städtischen Klinikum Braunschweig durchführen. Doch der Nachwuchs brauche auch eine wirtschaftliche Perspektive, um in Zukunft das hohe Niveau der Gesundheitsversorgung aufrecht erhalten zu können. Es geht nur gemeinsam – das gilt nicht nur für Apotheker und Ärzte von Anfang an direkt am Patientenbett, sondern für alle Bereiche im Gesundheitswesen.
Führten nach den Eröffnungsreden und Grußworten noch vertiefende Gespräch: Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay, Staatssekretärin Christine Arbogast, Kammerpräsidentin Cathrin Burs und Verbandsvorsitzender Berend Groeneveld (v.l.). / Foto: LAV Nds./Apothekerkammer Nds./Lorena Kirste
In ihren Grußworten betonten Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Bündnis 90/Die Grünen) und Christine Arbogast, niedersächsische Staatssekretärin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, wie wichtig die Apotheken als tragende Säule des Gesundheitssystems seien und wie viel sie insbesondere während der Corona-Pandemie geleistet hätten und bedankten sich noch einmal für dieses Engagement.
Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay bedankte sich bei den Apotheken für ihr herausragendens Engagement während der Corona-Pandemie, aber auch in der alltäglichen Versorgung. / Foto: LAV Nds./Apothekerkammer Nds./Lorena Kirste
»Kein Internethändler kann diese menschlichen Strukturen vor Ort ersetzen«, betonte Onay. Er erkannte an, dass es in der Apotheke um mehr als die Abgabe und den Verkauf von Medikamenten gehe. Als oft erste Ansprechpartner seien die Mitarbeitenden in den Apotheken kreative Problemlöser. Die Arbeit der Apotheken inklusive intensiver Arzneimittelberatung und Rezepturen sei unverzichtbar.
»Wir sehen in der Tat, vor welchen Herausforderungen Sie stehen und welche Sorgen Sie sich um die Zukunft machen, sowohl auf kommunaler wie auf Landesebene«, bestätigte Staatssekretärin Abrogast und gab zu, dass die Corona-Pandemie ein Schlaglicht auf Felder geworfen hätte, »die wir bislang nicht genügend beackert haben«. Dazu gehörten auch die Apotheken. »Ja, wir haben eine große Verantwortung, dass die Apotheken auch in Zukunft stabil ihre Arbeit machen können, dass die Versorgung weiterhin funktioniert«, so Abrogast.
Es gebe jedoch keine einfachen Lösungen, weder für den Fachkräftemangel noch die bessere Vernetzung der Versorgungsstrukturen wie beim Entlassmanagement aus dem Krankenhaus. Sie versprach jedoch, offen für Gespräche mit den Apotheken zu sein, um gemeinsam Ideen zu entwickeln. Sie appellierte an die Apothekerinnen und Apotheker: »Bleiben Sie stark!«
Staatssekretärin Christine Abrogast (l.) versprach, mit den Apotheken gemeinsam nach Lösungen suchen zu wollen. / Foto: LAV Nds./Apothekerkammer Nds./Lorena Kirste
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