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Medikamentenmangel

Apotheken blicken mit Sorge auf Lieferengpässe

Ob Fiebersäfte für Kinder, Hustenmittel, Blutdrucksenker, Brustkrebsmedikamente oder Magensäureblocker: Lieferengpässe haben das Angebot in den Offizinen verknappt. Apothekerinnen und Apotheker blicken mit großer Sorge auf diese Entwicklung. Welche Lösungen gibt es, um die Engpässe einzudämmen?
dpa
PZ
19.11.2022  13:45 Uhr

Wer in der Apotheke eine bestimmte Arznei haben will, stößt mitunter auf Schwierigkeiten. Denn Lieferengpässe haben das Angebot verknappt – Kunden bekommen dann oft ein Alternativmittel, das nicht erste Wahl war. Apotheker sehen die Engpässe mit Sorge. »Die Lage ist schlimm«, sagt der Vorsitzende des Apothekerverbandes Nordrhein, Thomas Preis. So etwas habe er in über 30 Berufsjahren nicht erlebt. Die Probleme hätten in den vergangenen Monaten zugenommen. Mit Blick auf 2023 sagt er: «Wir erwarten eine Steigerung der Lieferdefizite.» Ein ABDA-Sprecher sprach von einer »großen Herausforderung«, die man angesichts der Engpässe habe, und die auf absehbare Zeit bestehen bleiben werde und begründet die angespannte Lage mit dem «enormen Kostendruck im Gesundheitswesen».

Als Beispiel für Engpässe nennt Preis den Wirkstoff Pantoprazol, der gegen Magenprobleme eingesetzt wird. Weil Pantoprazol-Präparate nicht mehr zu haben seien, müsse man ausweichen auf Omeprazol. Dieser Wirkstoff aber habe mehr Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Im Moment gehe niemand »unversorgt« aus der Apotheke, aber: »Die Arzneimitteltherapie, die mit den noch verfügbaren Arzneimitteln möglich sein wird, kann auch zu Qualitätseinbußen führen.« Auf das kommende Jahr blickt Preis mit Bedenken. »Wir erwarten eine Steigerung der Lieferdefizite.« Der Apothekerverband Westfalen-Lippe teilte mit, dass derzeit auch bei Hustenmitteln mit Codein, Antieleptika, mehreren Antibiotika und starken Schmerzmitteln Lieferengpässe bestehen. Auch das Internet spiele eine Rolle: Eine Sprecherin des Verbandes berichtet, dass das bei Durchfallerkrankungen geeignete Mittel Elotrans in sozialen Medien als angebliches Anti-Kater-Mittel beworben werde. Ergebnis: Auch hier gibt es den Angaben zufolge Engpässe. Das sei »äußerst bedenklich«.

300 Meldungen zu Lieferengpässen

Laut einer Umfrage des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) haben 18 Prozent der Bundesbürger Schwierigkeiten oder Knappheit bei Medikamenten erlebt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt derzeit etwa 300 Meldungen zu Lieferengpässen auf - bei rund 100 000 zugelassenen Arzneimitteln in Deutschland. Für viele knappe Medikamente gibt es aber Alternativen. »Ein Lieferengpass muss daher nicht gleichzeitig ein Versorgungsengpass sein«, betont die Behörde. Derzeit gebe es nur rund 10 Meldungen zu versorgungskritischen Wirkstoffen. Die Behörde sieht »keine Hinweise auf eine generelle akute Verschlechterung der Versorgungslage in Deutschland«. 

Als Ursache der Engpässe sehen Apotheken und Gewerkschaften die Globalisierung. Rund 68 Prozent der Produktionsorte von Wirkstoffen, die für Europa bestimmt sind, liegen im kostengünstigeren Asien, heißt es in einer Studie des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen (vfa). Kommt es dort zu Fertigungsproblemen, Verunreinigungen oder zum Produktionsstillstand, kann das auch Deutschland treffen. Um Geld zu sparen, setzten Hersteller auf eine Produktion in Asien, sagte ein ABDA-Sprecher. Falle dort eine Charge aus oder der Schiffstransport verspäte sich, habe das Folgen für das hiesige Angebot. Vor wenigen Jahrzehnten seien die aktuellen Lieferengpässe undenkbar gewesen, kritisiert Thomas Preis. »Früher war Deutschland die Apotheke der Welt, heute sind China und Indien die Apotheke der Welt.« Aus seiner Sicht wäre es wichtig, möglichst viel Produktion nach Deutschland zurückzubringen.

1,3 Milliarden Euro zusätzliche Belastungen

Ein weiterer Grund für Lieferengpässe ist wirtschaftlicher Druck. Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht nur den Kassenabschlag von 1,77 Euro auf 2 Euro befristet auf die kommenden zwei Jahre erhöht – auch der Herstellerrabatt für 2023 wurde angehoben: Dieser habe zusätzliche Belastungen von 1,3 Milliarden Euro 2023 zur Folge, kritisierte vfa-Präsident Han Steutel.

Auch der Pharmakonzern Stada, einer der größten Anbieter von Nachahmerarzneien und rezeptfreien Medikamenten in Deutschland, spürt den Druck höherer Energie- und Transportkosten sowie teurerer Rohstoffe. Wegen der Rabattverträge könnten Hersteller gestiegene Energiekosten nicht weitergeben. »So entstehen Preise und Margen, die teilweise unsere Herstellkosten kaum noch decken und die Lage spitzt sich weiter zu«, sagt Vorstandschef Peter Goldschmidt.

»Politisch gewollter Kostendruck«

Auch der Verband Pro Generika beklagt Kostendruck in der Inflation. Hersteller von Generika, also wirkstoffgleiche Nachahmerprodukte von Arzneien, deren Patentschutz abgelaufen ist, deckten 78 Prozent des Arzneibedarfs der gesetzlichen Krankenkassen. Gemessen an dem, was die Kassen den Firmen für Generika bezahlten, rangiere Deutschland im europäischen Vergleich aber am unteren Ende. Mit dem »politisch gewollten Kostendruck« sei die Arzneiversorgung brüchig geworden, kritisierte Geschäftsführer Bork Bretthauer. »Rasant steigende Wirkstoff- und Produktionskosten bei eingefrorenen Preisen machen die Produktion von Arzneimitteln wie Fiebersäften zum Verlustgeschäft«. Fiebersäfte für Kinder sind rezeptfrei. Die Kosten dafür werden von den Kassen erstattet mit Festbeträgen an Firmen. Über die anhaltenden Liefer- und Versorgungsengpässe und mögliche Lösungsansätze sprach Pro Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer in einem PZ-Interview.

In den vergangenen Monaten berichtete die PZ auch immer wieder über Lieferengpässe bei Fiebersäften für Kinder mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol. Die Produzenten von Paracetamol-Fiebersäften erhalten laut Pro Generika 1,36 Euro je Flasche. Der Wirkstoff sei aber binnen eines Jahres um 70 Prozent teurer geworden. Immer mehr Hersteller zögen sich aus der Produktion zurück. Inzwischen sei nur noch ein Hauptanbieter übrig – Teva mit seiner Arzneimarke Ratiopharm aus Ulm.

Wie kann man die Lieferengpässe in den Griff bekommen?

Was aber tun gegen Arznei-Lieferengpässe? Stada-Chef Goldschmidt fordert, bei Ausschreibungen sollten anstelle von Exklusivverträgen die besten drei Arzneianbieter zum Zug kommen. Das würde Lieferketten stärken. Die Forderung, die Produktion wieder stärker von Asien nach Europa zu bringen, hält Goldschmidt für zu kurz. »Die Produktionsstätten in Indien oder China, von denen wir Ware beziehen, sind nach europäischen Standards geprüft.« Zudem könne es auch in Europa Ausfälle und Engpässe geben, während die Arznei-Kosten steigen würden. »Die Preise würden explodieren.«

Pro Generika fordert, etwa den Festbetrag für Arzneifirmen zu erhöhen – er liege seit zehn Jahren auf demselben Niveau. Das würde die Kosten im Gesundheitssystem erhöhen. Der Verband verweist auch auf Großbritannien. Sei dort ein Generikum zum vereinbarten Preis in Apotheken nicht verfügbar, werde der Erstattungspreis für bestimmte Zeit angehoben. So könnten Firmen wieder wirtschaftlicher agieren. »Gemessen daran ist das deutsche System zu schwerfällig und rigide.« Um Lieferengpässe in den Griff zu bekommen, müsse die Produktion von Wirkstoffen und Arzneimitteln unter hohen Umweltschutz- und Sozialstandards wieder verstärkt in der EU stattfinden, fordert der Apothekerverband Westfalen-Lippe. 

Förderkonzept für mehr Arzneimittelproduktion in Europa

Aus Sorge vor zu großen Abhängigkeiten von anderen Ländern fordert Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek vom Bund ein Förderkonzept für mehr Arzneimittelproduktion in Europa. »Es ist kein Geheimnis, dass Deutschland und die gesamte EU bei Arzneimitteln zu sehr auf China oder auch Indien angewiesen sind«, sagte der CSU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in München. Die Bundesregierung müsse »endlich nachhaltig« gegen die Abhängigkeit von China bei Arzneimitteln vorgehen.

Holetschek erinnerte in dem Kontext daran, dass auch in Deutschland in den vergangenen Jahren die negativen Folgen von Abhängigkeiten zu spüren gewesen seien: »Nicht nur Fiebersäfte für Kinder waren knapp, sondern zeitweise auch überlebenswichtige Medikamente zur Brustkrebstherapie und Allergiemedikamente. Deshalb muss jetzt endlich gehandelt werden.« Alleine die Volksrepublik China sei für rund 40 Prozent der weltweiten Antibiotikaexporte verantwortlich, betonte Holetschek. »Dass die gesamte EU so am Tropf Chinas hängt, ist nicht akzeptabel. Vielmehr müssen versorgungsrelevante Wirkstoffe wieder in Europa selbst hergestellt werden. Denn sonst laufen wir in ein gesamtgesellschaftliches Gesundheitsrisiko.« Es brauche dringend eine Förderung der EU-Produktion, auch der Pharmastandort Deutschland müsse weiter gestärkt werden. »Deshalb muss die Bundesregierung rasch eine vernünftige Förderung auflegen.«

Die Abhängigkeit von China habe noch weitere Konsequenzen, warnte Holetschek. »Werden beispielsweise Antibiotika fast nur noch in Ländern mit niedrigeren Produktionsstandards hergestellt, dann fördert das die Entstehung von Resistenzen gegen diese Antibiotika.« Hintergrund dafür seien Antibiotika, die in jenen Ländern bei der Produktion ins Abwasser gelangen. Dadurch könnten Bakterien Abwehrstrategien gegen entwickeln, also resistent werden. »Wenn Antibiotika nicht mehr wirken, dann fallen wir wieder zurück in Zeiten, in denen viele Infektionen lebensbedrohlich sein können. Das können – neben anderen Faktoren – gute Produktionsstandards verhindern«, sagte Holetschek. Daher müsse die Antibiotika-Produktion und Forschung in der EU schnell angekurbelt werden. »Deutschland sollte die Pharmaunternehmen fördern, die ihre Produktion in Deutschland ausbauen.«

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