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PZ-Innovationspreis für Tyrosinkinase-Hemmer Imatinib

14.10.2002  00:00 Uhr
Apothekertag 2002

PZ-Innovationspreis für Tyrosinkinase-Hemmer Imatinib

Der Innovationspreis der Pharmazeutischen Zeitung geht in diesem Jahr an das Leukämie-Medikament Imatinib (Glivec®). PZ-Chefredakteur Professor Dr. Hartmut Morck überreichte die Auszeichnung am vergangenen Samstag während der Expopharm in Berlin an Novartis Pharma.

Mit Imatinib sei in der Therapie der Leukämie ein Durchbruch gelungen, begründete Morck die Auswahl in einer Pressekonferenz im Anschluss an die Preisverleihung. Die Jury habe sich nach intensiver Prüfung der Ergebnisse klinischer Studien sowie der Wertung des Therapieansatzes und des innovativen Wirkungsmechanismus für Imatinib entschieden.

In diesem Jahr musste die Jury unter Leitung des Heidelberger Pharmakologen Professor Dr. Ulrich Schwabe insgesamt 26 Arzneistoffe aus 13 verschiedenen Indikationsgebieten unter die Lupe nehmen, darunter sechs neue Zytostatika, fünf Antibiotika und drei Antirheumatika. In die engere Wahl kamen laut Morck immerhin zehn Wirkstoffe. Unter diesen echten Innovationen hätten sich alleine vier Zytostatika befunden.

Imatinib ist der erste therapeutisch nutzbare Tyrosinkinase-Hemmer. Das maßgeschneiderte Therapeutikum blockiert gezielt eine Gruppe von Enzymen, die unter anderem die unkontrollierte Produktion entarteter Leukozyten katalysiert. Die meisten Patienten mit chronisch myeloischer Leukämie (CML) haben im Erbgut ein so genanntes Philadelphia-Chromosom. Es entsteht, wenn die Enden der Chromosomen 22 und 9 gegeneinander ausgetauscht werden. Dieser Austausch im Erbgut hat fatale Folgen: Denn das Gen, das für die Tyrosinkinase ABL codiert, wird mit dem BCR-Gen fusioniert. So steigt die Aktivität der Kinase deutlich an. Die ABL-Kinase kurbelt die Zellteilung an und unterdrückt die Apoptose. Imatinib blockiert unter anderem die ABL-Kinase und verhindert so die unkontrollierte Vermehrung der entarteten Zelllinien.

Neben der ABL-Kinase hemmt Imatinib auch den PDGF-Rezeptor (Platelet Derived Growth Factor Receptor) und ein Enzym namens KIT. Dazu lagert sich das Molekül in die ATP-Bindungstasche der Enzyme ein. In präklinischen Versuchen hinderte Imatinib die meisten CML-Zelllinien an der Zellteilung. Auf Zellen, die nicht die BCR-ABL-Translokation aufwiesen, wirkte die Substanz erwartungsgemäß nicht.

In eine klinischen Studie der Phase I verabreichten Mediziner das Medikament 54 Patienten in der chronischen Phase der Erkrankung. Alle hatten zuvor nicht auf eine Therapie mit Interferon-a angesprochen. Bei 53 gelang eine komplette hämatologische Remission, und das Blutbild normalisierte sich. Bei 29 Probanden ging die Zahl der Zellen mit Philadelphia-Chromosom im Blut deutlich zurück. Bei sieben Patienten waren in zehn untersuchten Zellkernen überhaupt keine Philadelphia-Chromosomen mehr nachweisbar. In eine andere Phase-I-Studie wurden Patienten in der Blastenkrise aufgenommen, der letzten Phase der Erkrankung. Hier beobachteten die Ärzte immerhin noch bei 21 von 38 Patienten hämatologische Remissionen, bei vier Patienten war das Blutbild anschließend nicht von dem gesunder Menschen zu unterscheiden. Bei sieben Patienten hielt die Remission unter weiterer Therapie mit Imatinib 101 bis 349 Tage an.

Auch Multicenterstudien der Phase II brachten ähnliche Ergebnisse. Nach fast einem Jahr profitierten 91 Prozent der Patienten in der chronischen Phase von einer kompletten hämatologischen Remission.

Eine Erfolgsstory

Dr. Dr. Günther Gerhard, Forschungsleiter Onkologie bei Novartis, bezeichnete die Entwicklung von Imatinib als eine Erfolgsstory, die durchaus mit früheren Durchbrüchen in der Medizin zu vergleichen sei. Klinische Entwicklung und Zulassung verliefen im Eilverfahren. Nach ersten positiven Berichten in den Medien bewarben sich weltweit Patienten um eine Teilnahme an klinischen Prüfungen. So konnten rund 5000 Betroffene aus fast 30 Ländern in die Programme einbezogen werden. Schon 32 Monate nach der ersten Prüfung wurde die Zulassung bei den US-amerikanischen und europäischen Behörden beantragt. Imatinib durchlief dieses Prozedere dann in Rekordzeit.

Der Behandlungserfolg von Imatinib müsse nicht mit drastischen Nebenwirkungen erkauft werden, betonte Privatdozent Dr. Andreas Hochhaus von der Universitätsklinik Mannheim, der maßgeblich an den Prüfprogrammen in Deutschland beteiligt war. Dennoch lagen die Ansprechraten unter Glivec in völlig anderen Dimensionen als bei anderen Therapieregimen. Inzwischen wird der Preisträger bei mehreren anderen Formen bösartiger Erkrankungen geprüft.

Die Pharmazeutische Zeitung zeichnet bereits seit 1995 pharmazeutische Unternehmen für die Entwicklung eines besonders innovativen Arzneimittels aus. Der Preis ging beispielsweise 1996 an den Angiotensin-Antagonisten Losartan und im Jahr 2000 an den TNF-a-Antagonisten Infliximab.

 

Kommentar: Neu oder innovativ Insgesamt 26 neue Arzneistoffe bewertete die PZ-Innovationspreis-Jury in diesem Jahr. Obwohl vermutlich die Marketingabteilungen sämtlicher Hersteller ihre neuen Präparate bei Ärzten und Apothekerschaft als echte Innovationen anpreisen, kamen letztlich nur zehn Kandidaten in die engere Wahl.

Sicher: Trotz der großen Erfolge in der Pharmakotherapie ist der Bedarf an neuen, wirksamen Arzneimittel nach wie vor nicht gedeckt. Man denke nur an Krankheiten wie HIV, Diabetes oder Alzheimer. Ob wir allerdings zehn verschiedene COX-2-Hemmer brauchen, oder der höhere Preis des neuesten Antihistaminikums tatsächlich mit dem noch günstigeren Nebenwirkungsprofil zu rechtfertigen ist, sei dahingestellt.

Die erst vor kurzem von der Weltgesundheitsorganisation aktualisierte Liste der essenziellen Arzneimittel zählt 325 Substanzen auf. In Deutschland tummelt sich heute ein Vielfaches davon auf dem Markt.

Es wäre zu kurz gedacht, die Präparatevielfalt in Deutschland einfach abzutun. Das breit gefächerte Angebot macht aber deutlich, welche wichtigen Aufgaben dem Apotheker als unabhängigem Arzneimittelfachmann zukommen. Er kann auf Grund seiner Ausbildung das tatsächliche Potenzial der verschiedenen Wirkstoffe am besten abschätzen, und seinen Partner, den Arzt, kompetent beraten.

Ulrich Brunner
Ressortleiter Pharmazie

 

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