AOK will Ärztemangel mit digitalem »Symptomcheck« abfedern |
Wenn Versicherte der AOK Plus gesundheitliche Probleme haben, können sie seit Kurzem einen »Symptomcheck« per App nutzen. / Foto: imago images/Westend61
Seit Mai 2022 können Versicherte der AOK Plus die App »AOK NAVIDA – Deine persönliche Gesundheitsassistentin« nutzen. Diese enthält einen Symptomcheck, der folgendermaßen funktioniert: Leiden Versicherte beispielsweise unter Halskratzen, Hautveränderungen oder Magen-Darm-Beschwerden, können sie diese mit der App prüfen lassen und erhalten erste Antworten und Einschätzungen. »Mithilfe künstlicher Intelligenz werden in einem Chat Fragen zu den Beschwerden gestellt. Daraufhin erhalten die Versicherten einen Bericht mit einer entsprechenden Behandlungsempfehlung«, informiert Hannelore Strobel, Pressesprecherin der AOK Plus. Diesen Service stelle das Leipziger Start-up-Unternehmen Docyet zur Verfügung, mit dem die AOK zusammenarbeitet. Auf die Frage, ob im Chat Menschen Fragen zu den Symptomen der Versicherten stellen oder ob der Chat Computer-betrieben ist, äußerte sich Strobel nicht.
Herzstück des Angebots ist eine Datenbank, in der mehr als 680 Erkrankungen, über 1.260 Symptome und mehr als 130 Risikofaktoren gespeichert sind. Laut AOK handelt es sich um »eine der umfangreichsten Datenbanken für eine digitale Triagierung«.
»Mit diesem neuen Angebot geben wir unseren Versicherten ein Instrument an die Hand, mit dessen Hilfe sie fachlich gut geführt Anzeichen möglicher Krankheiten in Ruhe überprüfen und zu einer gewissen Klarheit kommen können, ob diese Symptome zum Beispiel mit Bettruhe, Wadenwickeln und Tee gelindert oder behandlungsbedürftig durch einen Arzt sind«, erläutert Strobel. Ergibt der Symptomcheck, dass ein Arztbesuch notwendig ist, können Versicherte über die App auch gleich eine Videosprechstunde mit einer Ärztin oder einem Arzt in Anspruch nehmen. Dafür wird geprüft, ob sich das Krankheitsbild für eine Fernbehandlung per Video eignet. Um Videosprechstunden anbieten zu können, kooperiert die AOK mit dem Unternehmen Kry.
Die AOK bestreitet nicht einmal, dass sie mit dem Software-betriebenen Symptomcheck auch mögliche Versorgungslücken schließen will. Nach Einschätzung von Pressesprecherin Strobel sind der ortsunabhängige Symptomcheck und gegebenenfalls die Videosprechstunde »eine Erleichterung für die Nutzerinnen und Nutzer in fraglichen gesundheitlichen Situationen, zum Beispiel auch im Urlaub, fern vom bekannten Hausarzt oder in Zeiten absehbar voller Wartezimmer«. Die AOK sehe das Angebot als einen Beitrag zur Gestaltung der Gesundheitsversorgung. Damit könne durchaus auch der Ärztemangel in einigen Regionen ein Stück weit abgefedert werden, sagt Strobel.
Nach Einschätzung der AOK-Pressesprecherin macht der Symptomcheck Ärzten keine Konkurrenz, sondern sei einer Arztkonsultation vorgelagert und eigne sich für niedrigschwellige Probleme. »Wir kommunizieren explizit, dass es sich um Diagnosewahrscheinlichkeiten handelt, und verweisen direkt danach auf unsere Arztsuche und Online-Videosprechstunde, wo diese Diagnosewahrscheinlichkeit mit der Ärztin oder dem Arzt besprochen werden kann«, erläutert Strobel. Der Symptomcheck sei ein zugelassenes Medizinprodukt und entspreche höchsten Qualitätsstandards.
In ihrer Pressemitteilung argumentiert die AOK Plus zudem, dass die neue App es mit »Dr. Google« aufnehmen könne. Wer einmal Symptome bei Google gecheckt habe, der wisse, dass dort auch ein Schnupfen quasi tödlich enden könne. Pressesprecherin Strobel schränkt jedoch ein: »Eine Anamnese bezüglich der Vorerkrankungen ist nur bedingt möglich.« Derzeit würden nur Standards abgefragt, etwa nach einer Schwangerschaft, Übergewicht, Rauchen oder verbreiteten chronischen Erkrankungen. Zurückliegende Operationen, genetische Erkrankungen oder Ähnliches berücksichtige das System bei der Prüfung nicht. Zudem sei es nicht möglich, die Angaben der Nutzer auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. »Somit sind die ausgespielten Diagnosen nicht validiert. Es findet keine Diagnoseausspielung beim Verdacht auf einen Notfall oder bei schwerwiegenden Diagnosen statt«, so Strobel. Eine pädiatrische Diagnostik sei ebenfalls nicht möglich.
Dass die Nutzung von Gesundheits-Apps mit Vorsicht zu genießen ist, zeigt eine Analyse des Austrian Institutes for Health Technologie Assessment (AIHTA). In einer Untersuchung kommt das österreichische Institut zu dem Schluss, dass Symptom-Checker-Apps nicht zu empfehlen sind, da ihr Nutzen bisher nicht erwiesen ist. Beim Symptom Kopfschmerz könnten die möglichen Diagnosen von Verspannungen bis zum Hirntumor reichen. Die Evidenz zur Genauigkeit der Diagnosevorschläge und der daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen lieferte keine zufriedenstellenden Ergebnisse, so das Fazit der AIHTA. Zudem bestehe die Gefahr einer Fehl- oder Überdiagnostik.