Antikörpertiter korreliert gut mit Immunschutz nach Impfung |
Theo Dingermann |
20.08.2021 09:00 Uhr |
Eine neue Analyse zeigte für Spikevax-Geimpfte einen klaren Zusammenhang zwischen hohen Antikörperspiegeln und einem geringeren Risiko, an Covid-19 zu erkranken. / Foto: imago images/ZUMA Wire
Eignet sich der individuelle Antikörpertiter gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 als Surrogat, um den Schutz vor Covid-19 abzuschätzen? Das haben sich Wissenschaftler um Peter B. Gilbert vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle gefragt und eine entsprechende Fallkontrollstudie durchgeführt. Alle Teilnehmer hatten eine Grundimmunisierung mit Spikevax® von Moderna (mRNA-1273) erhalten.
Die Autoren verglichen die Antikörperspiegel im Blut von Probanden, die Durchbruchsinfektionen entwickelten, mit denen einer entsprechenden Probandengruppe, bei der kein Covid-19 diagnostiziert wurde. Im Ergebnis konnten sie zeigen, dass tatsächlich niedrige Werte an neutralisierenden Antikörpern als Indikator für einen unzureichenden Schutz vor Covid-19 gewertet werden können. Die Ergebnisse haben sie jetzt als Preprint auf dem medRxiv-Preprintserver publiziert.
Bei den Probanden wurden vier Serum-Antikörpermarker an den Tagen 1 (erste Dosis), 29 (zweite Dosis) und 57 bestimmt – also rund einen Monat nach der zweiten Impfung. Bei diesen Markern handelte es sich (i) um IgG-bindende Antikörper (bAbs) gegen das Spike-Protein, (ii) um Antikörper gegen die rezeptorbindende Domäne (RBD) sowie um die neutralisierenden Pseudovirus-Antikörpertiter, die (iii) 50 Prozent oder (iv) 80 Prozent der Viren an einer Infektion zu hindern vermochten. Die neutralisierenden Pseudovirus-Antikörpertiter waren zuvor gegen den jeweiligen internationalen WHO-Standard (cID50 und cID80) kalibriert worden.
Jeder der bestimmten Antikörpermarker am Tag 57 wurde als Korrelat für ein Erkrankungsrisiko ab sieben Tage nach der Messung am Tag 57 bewertet; in ähnlicher Weise wurde jeder Marker am Tag 29 als Korrelat für ein Erkrankungsrisiko ab sieben Tage nach Messung am Tag 29 gewertet. Risikofaktoren waren bei dieser Korrelation berücksichtigt worden.
Es ließ sich eindeutig zeigen, dass die am Tag 57 gemessenen Werte für Anti-Spike-IgG, Anti-RBD-IgG, cID50- und cID80-Neutralisationswerte invers mit dem Risiko für Covid-19 korrelierten. Das galt auch für die Marker, die am Tag 29 gemessen wurden.
Die kumulative Inzidenz von Covid-19 bis 100 Tage nach Tag 57 betrug für Probanden mit nicht nachweisbaren cID50-Neutralisationstitern 0,030. Betrugen die cID50-Neutralisationstitern 100 bzw. 1000, resultierten kumulative Inzidenzen von Covid-19 bis 100 Tage nach Tag 57 von 0,0056 bzw. 0,0023.Für Probanden, bei denen diese Titer ermittelt wurden, ergab sich eine Wirksamkeit des Impfstoffs von 50,8 Prozent, 90,7 Prozent und 96,1 Prozent.
Demnach besitzen Personen mit nicht nachweisbaren Mengen an neutralisierenden Antikörpern ein etwa zehnmal höheres Risiko, an Covid-19 zu erkranken, als Personen, deren Antikörperspiegel deutlich messbar war. Daraus kann man schließen, dass der Großteil des Schutzes, den der Moderna-Impfstoffe bietet, auf die Menge an neutralisierenden Antikörper zurückzuführen ist. Zu ähnlichen Ergebnissen waren kürzlich bereits Forscher der Universität Oxford und des Pharmaunternehmens Astra-Zeneca für den Impfstoff Vaxzevria® gekommen.
David Benkeser, Koautor der Studie und Biostatistiker an der Emory University in Atlanta, Georgia, gibt gegenüber »Nature« zu bedenken, dass die Analyse nicht bedeutet, dass es einen Schwellenwert an Antikörpern gibt, der einen 100-prozentigen Schutz gewährleistet. Allerdings hofft er, dass diese Arbeit Forschern und Regulierungsbehörden dabei helfen wird, eine Art »Schutzkorrelat« für Covid-19-Impfstoffe zu ermitteln. Dies wäre äußerst hilfreich zur Beurteilung der Wirksamkeit neuer Impfstoffe, für die dann solche Werte als Surrogat für einen Immunschutz mit einer relativ kleinen Anzahl von Menschen genutzt werden könnten.
Miles Davenport, ein Immunologe am Kirby Institute in Sydney, Australien, hält die Studie für wichtig, weil sie einen klaren Zusammenhang zwischen hohen Antikörperspiegeln und einem geringeren Risiko für Covid-19 aufzeigt. Er weist jedoch darauf hin, dass die meisten Teilnehmer an der Moderna-Impfstoffstudie eine starke Antikörperreaktion zeigten. Daher ist es schwierig, die Auswirkungen niedriger Antikörperspiegel sicher zu bestimmen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.