Antikörper mit neuem Target bei multiplem Myelom |
Annette Rößler |
26.09.2023 14:30 Uhr |
Am multiplen Myelom erkranken vor allem ältere Menschen. Ein mögliches Symptom sind Knochenschmerzen, insbesondere im unteren Rücken. / Foto: Getty Images/Runstudio
Am multiplen Myelom, einer Tumorerkrankung aus der Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome, erkranken pro Jahr etwa sechs bis acht Personen pro 100.000 Einwohner. Nach anfänglichem Ansprechen auf eine Therapie verliert diese bei Patienten mit multiplem Myelom häufig ihre Wirksamkeit, sodass weitere Therapielinien notwendig werden. Wirkstoffgruppen, die dabei eingesetzt werden, sind etwa Immunmodulatoren, Proteasom-Inhibitoren und Anti-CD38-Antikörper. Zuletzt haben außerdem T-Zell-Redirektionstherapeutika, die auf das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA) auf Myelomzellen abzielen, die Therapieoptionen beim multiplen Myelom erweitert.
Mit Talquetamab (Talvey®, Janssen Cilag) kommt nun ein Wirkstoff mit einem neuen Angriffspunkt hinzu. Der bispezifische Antikörper richtet sich gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren der Familie C, Gruppe 5, Mitglied D (GPRC5D) auf Myelomzellen einerseits und CD3-Rezeptoren auf T-Zellen andererseits. Bindet Talquetamab mit seinem einen Ende an GPRC5D und mit dem anderen an CD3, werden dadurch die beiden Zellen einander angenähert; die T-Zelle wird aktiviert und tötet die Myelomzelle ab. Außer auf Mylomzellen kommt GPRC5D nur in sehr geringem Umfang auf gesunden B-Zellen und B-Vorläuferzellen sowie auf Haarfollikel- und Hautzellen vor.
Indiziert ist Talquetamab zur Monotherapie von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem und refraktärem multiplen Myelom, die zuvor bereits mindestens drei Therapien erhalten haben und deren Erkrankung unter der letzten Behandlung fortgeschritten ist. Zu den Vortherapien müssen ein Immunmodulator, ein Proteasom-Inhibitor und ein Anti-CD38-Antikörper zählen. Die Patienten sollen mit Talquetamab behandelt werden, bis es zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommt oder bis eine inakzeptable Toxizität auftritt.
Dosiert wird Talquetamab mit 0,4 mg pro kg Körpergewicht (KG) einmal wöchentlich oder 0,8 mg/kg KG einmal alle zwei Wochen. Die zweiwöchentliche Gabe kommt nur für Patienten in Betracht, die auf die wöchentliche Gabe adäquat ansprechen. Die Applikation erfolgt subkutan am Bauch oder an einer anderen geeigneten Stelle, die nicht tätowiert, vernarbt oder in irgendeiner Form nicht intakt ist. Wenn mehrere Injektionen erforderlich sind, sollen diese im Abstand von mindestens 2 cm zueinander erfolgen.
Die Erhaltungsdosis wird nicht von Anfang an gegeben, sondern über eine mehrstufige Erhöhung der Dosis in der ersten Behandlungswoche erreicht. Für die ersten beiden Titrationsschritte steht Talvey als Injektionslösung mit der Konzentration 2 mg/ml zur Verfügung, für die Erhaltensdosen dann mit 40 mg/ml. Beide Lösungen dürfen nicht gemischt werden, um eine gewünschte Dosis zu erhalten. Verwechslungen der beiden unterschiedlich hoch konzentrierten Lösungen müssen vermieden werden.
Eine Prämedikation mit einem Corticosteroid, einem Antihistaminikum und einem Antipyretikum, gegeben eine bis drei Stunden vor der Talquetamab-Injektion, ist während der Aufdosierungsphase Pflicht und kann auch während der Erhaltungsphase noch notwendig sein. Sie dient in erster Linie dazu, das Risiko für ein Zytokin-Freisetzungssyndrom zu verringern, das in Studien die häufigste und auch die häufigste schwerwiegende Nebenwirkung war.
Talquetamab darf bei Patienten mit aktiver schwerwiegender Infektion nicht angewendet weden. Vor Beginn der Therapie und währenddessen sind die Patienten engmaschig zu überwachen und gegebenenfalls (auch prophylaktisch) mit Antibiotika zu behandeln. Eine Impfung mit Lebendvirusimpfstoffen ist mindestens vier Wochen vor Beginn der Behandlung, währenddessen und mindestens vier Wochen danach zu unterlassen.
Während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird die Anwendung von Talquetamab nicht empfohlen. In der Stillzeit sollen Frauen während der Behandlung mit Talquetamab und mindestens drei Monate nach der letzten Dosis nicht stillen.
Zu den möglichen Nebenwirkungen von Talquetamab zählt auch ein Immuneffektorzell-assoziiertes Neurotoxizitätssyndrom (ICANS), das mit Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen, Desorientierung, Somnolenz, Lethargie und einer Verlangsamung des Denkens einhergehen kann. Treten derartige neurologische Symptome auf, soll der Patient unverzüglich einen Arzt aufsuchen. Er darf dann zudem kein Fahrzeug führen oder gefährliche Maschinen bedienen.