Ansturm auf impfende Apotheken |
Daniela Hüttemann |
02.10.2024 16:20 Uhr |
Aufgrund der umfassenden Vorberichte in den Medien hatten sich viele Hamburger spontan auf den Weg zum Impfen gemacht, sodass sich teilweise Schlangen bildeten wie hier vor dem Gesundheits-Campus der Privilegierten Adler-Apotheke in Wandsbek. / © picture alliance/dpa
Bei bestem Hamburger Schietwetter wird es langsam dunkel in der Hansestadt. Im zweiten Stock der Vita-Apotheke in Eimsbüttel begrüßt Inhaberin Melanie Tilgner die Besucher zur Langen Nacht des Impfens. Es gibt Getränke, Kekse, Luftballons und sogar einen Goodie Bag. Doch deswegen sind die vielen Menschen nicht gekommen. »Ich finde es super, dass man sich hier so niederschwellig impfen lassen kann, auch gleichzeitig gegen Corona und Grippe. Bei meinem Hausarzt habe ich trotz mehrfacher Nachfrage noch keinen Termin bekommen«, erzählt eine Frau um die 60.
Impft bereits seit drei Jahren: Apothekerin Dr. Eilika Zorn. / © PZ/Daniela Hüttemann
Jedes Alter ist hier am Dienstagabend vertreten, von der 19-Jährigen, die dem Kinderarzt entwachsen ist und noch keinen Hausarzt hat, sich aber ihrer kranken Mutter zuliebe impfen lassen möchte, über Krebspatienten mittleren Alters bis hin zum gebrechlichen Ehepaar mit Krücke und Rollator und Ärzten im Ruhestand. Es sind jedoch auch viele Menschen dabei, die selbst keine Risikofaktoren haben, aber sich und andere schützen wollen.
»Ich arbeite im Einzelhandel und habe zwei Kinder mit schlimmem Pseudokrupp«, erzählt eine Mutter. Ein frisch gebackener Vater wurde von seiner stillenden Frau geschickt. Er lässt sich überhaupt das erste Mal gegen Grippe impfen. Auch eine junge Pflegekraft von einer Kinder-Herz-Station ist dabei. Sie hatte keinen Termin und etwa eine Stunde geduldig gewartet, um dazwischen geschoben zu werden. »Ich wusste bislang gar nicht, dass man sich in der Apotheke gegen Grippe und Corona impfen lassen kann und habe es auf dem Weg von der Arbeit auf Instagram gesehen.« Bei ihrem Arbeitgeber sei die betriebsärztliche Impfung schlecht organisiert und während der Arbeitszeit nicht zu schaffen. »Ich wäre sonst an meinem freien Tag gegangen. Aber über den Link habe ich auf der Karte gesehen, dass die Apotheke hier direkt bei mir um die Ecke heute impft.«
Sie ist bei Weitem nicht die Einzige, die am Dienstagabend spontan vorbeikommt. Denn »Hamburger Abendblatt«, »MoPo«, NDR und Tagesschau hatten vorab die Lange Nacht des Impfens in Hamburg angekündigt und die neun Hamburger Apotheken, die sich unter www.lange-nacht-des-impfens.de eingetragen hatten, namentlich genannt. Dass die Apotheken eigentlich eine Terminvergabe hatten, war dort nicht klar kommuniziert.
»Wir waren eigentlich sowieso schon überbucht, denn viele unserer Stammkunden haben sich über unseren Newsletter angemeldet. Aber wir versuchen jetzt, so viele wie möglich dazwischen zu schieben«, so Inhaberin Tilgner. Apothekerin Dr. Eilika Zorn zieht zwischenzeitlich noch einmal neue Covid-19-Impfdosen auf. Viele waren nur zur Grippeimpfung angemeldet, lassen aber spontan zusätzlich ihren Corona-Schutz auffrischen; bereitwillig auch als Selbstzahler, wenn keine STIKO-Indikation besteht.
PhiP Anna Liepina übernahm das Einchecken der Impfgäste. / © PZ/Daniela Hüttemann
Die Formalitäten übernimmt Pharmazeutin im Praktikum (PhiP) Anna Liepina. Sie erklärt das Verfahren, liest Versichertenkarten ein, hilft beim Ausfüllen der Bögen und verweist bei Beratungsbedarf auf die zwei impfenden Apothekerinnen, die heute von einer dritten Kollegin unterstützt werden.
Zwischenzeitlich wächst die Schlange trotzdem bis ins Treppenhaus, der Drucker macht schlapp und die Klemmbretter gehen aus; doch alle warten dankbar und geduldig. Denjenigen mit weniger Zeit drückt Tilgner eine Visitenkarte mit QR-Code in die Hand und bittet, einfach einen Termin für die nächsten Wochen auszumachen, denn in der Vita-Apotheke wird von Mitte September bis etwa Ende November an vier Tagen die Woche geimpft, danach je nach Nachfrage – »aber nur abends, wenn die Arztpraxen zu sind«, betont Tilgner. »Wir nehmen niemandem etwas weg.« Gerade Berufstätige nähmen das Angebot sehr gern an.
So auch ein Ehepaar. »Meine Frau hat heute morgen davon in der Zeitung gelesen«, berichtet der Mann. Grippe und Corona gingen gerade im Freundeskreis um, das sensibilisiere, zudem haben sie Risikofaktoren. Ihre Impfbücher sind bereits so gut gefüllt, dass sie auch gern das Angebot annehmen, sich für 1 Euro einen neuen Impfpass ausstellen zu lassen.
Als die beiden aus dem Impfraum kommen, setzen sie sich wie die Meisten noch 10 bis 15 Minuten in den Warteraum – nur zur Sicherheit. »Die konnte wirklich gut spritzen, ich habe gar nichts gemerkt«, meint die Ehefrau. Auch sie habe vorher gar nicht gewusst, dass das Impfen nun auch in der Apotheke möglich sei. »In der Arztpraxis bekommt man ja oft nicht einmal jemanden ans Telefon, da ist das hier sehr praktisch.« Beim Impfvorgang selbst bemerkt keiner einen Unterschied. Viele wollen sich daher nächstes Jahr direkt in der Apotheke einen Termin holen.
Stolz auf knapp 90 verimpfte Dosen: PhiP Anna Liepina und die Apothekerinnen Pauline Grove, Dr. Eilika Zorn und Stephanie Mehrhoff (von links). / © PZ/Daniela Hüttemann
»Letztes Jahr haben wir 780 Impfungen geschafft – diese Saison haben wir uns doppelt so viele vorgenommen«, berichtet Impfapothekerin Zorn stolz. Als gegen halb zehn die letzten Patienten weg sind (auch kurz vor dem offiziellen Schluss um 21 Uhr sind noch einige spontan Entschlossene eingetrudelt und freuen sich über die offene Tür), sind 53 Dosen Grippe- und 36 Dosen Covid-19-Vakzine verimpft, das Team etwas erschöpft, aber mehr als zufrieden. Mit so einer großen Resonanz hatte es nicht gerechnet.
Ähnliches Feedback kam aus anderen Hamburger Apotheken: »Unglaublich voll war es – und was für ein Erfolg!«, berichtet Heike Gnekow, Mitinhaberin der Privilegierten Adler-Apotheke in Wandsbek, die als Vorsitzende des Bundesverbands der Versorgungsapotheker zuvor kräftig die Werbetrommel in der Kollegenschaft gerührt hatte. »Unser Team hat den Ansturm souverän gemeistert und geimpft wie die Weltmeister.«
Reporterin Daniela Hüttemann ließ sich selbst auch gleich mitimpfen. / © PZ/Daniela Hüttemann
Auch in der Markt-Apotheke Eidelstedt war die Nachfrage enorm, berichtet Inhaberin Dorothee Michel. »Wir haben uns noch ein Vial Comirnaty aus einer Praxis leihen können und konnten trotzdem letztlich die Nachfrage nicht vollständig bedienen.« Sie habe schnell noch weitere Covid-Impftermine auf der Buchungswebsite freigeschaltet. »Grippe-Impfungen machen wir während der Öffnungszeiten ohne Termin.«
Auch in Eidelstedt seien erstaunlich viele jüngere Menschen mit verschiedensten Impfgründen gekommen. »Hauptmotivation, zu uns zu kommen, war die Bequemlichkeit. Manche hätten sich gegen Grippe auch beim Arbeitgeber impfen lassen können oder auch in Praxen. Letzteres scheint aber für viele wegen der kurzen Sprechzeiten dort schwierig zu sein.« Zudem würden offenbar nicht alle Hausärzte Covid-19-Impfungen anbieten. »Mein Fazit für die nächste Runde: noch mehr Personal und noch mehr Material einplanen.« Und eine klarere Kommunikation zur Terminbuchung.
»Es war großartig!«, berichtet Annette Sieckmann-Linck, Inhaberin der Elefanten-Apotheke in Barmbek, auf LinkedIn. »Ein unglaublicher Ansturm und bereits so viele neue Anmeldungen für die nächste Zeit.« Der Bedarf sei riesig und die Kunden wünschten sich ein niederschwelliges Angebot. Sie hofft, dass sich beim nächsten Mal noch mehr Apotheken beteiligen. »Natürlich sind Arzneimittel unsere Hauptkompetenz – aber wir können noch mehr!«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.