Anifrolumab im Handel |
Sven Siebenand |
06.05.2022 07:00 Uhr |
Bei klinischem Verdacht unterstützen Laborparameter die Diagnose eines systemischen Lupus erythematodes, darunter serologische Parameter. / Foto: Adobe Stock/jarun011
Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine seltene Autoimmunerkrankung aus dem Formenkreis der Kollagenosen. Die Prävalenz in Deutschland wird auf 30 bis 40 pro 100.000 Einwohner geschätzt. Frauen sind etwa viermal häufiger betroffen als Männer. In vielen Fällen liegt der Krankheitsbeginn zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr.
Der Krankheitsverlauf des SLE ist durch Schübe und Remissionen gekennzeichnet. Der klinische Verlauf ist sehr variabel und weist ein breites Spektrum von Organmanifestationen auf. Häufig betroffen sind die Gelenke, das Herz, die Lunge sowie das zentrale Nervensystem. Bei etwa 50 Prozent der Patienten tritt eine Nierenentzündung auf, die sogenannte Lupusnephritis. Zudem weisen im Verlauf der Erkrankung etwa 75 Prozent der Patienten Hautveränderungen auf. Bei vielen SLE-Patienten ist auch das Muskel- und Skelettsystem betroffen.
Viele Betroffene erhalten eine Behandlung mit Hydroxychloroquin oder Chloroquin. Zur lokalen Behandlung von Hautveränderungen sind topische Glucocorticoide erste Wahl. Bei der systemischen Gabe von Corticoiden sollte in der Langzeitanwendung eine tägliche Dosis von ≤ 7,5 mg/d Prednisolonäquivalent angestrebt werden, um das Risiko für Nebenwirkungen möglichst gering zu halten. Falls dies nicht möglich ist, kann auch der Einsatz von Immunsuppressiva wie Azathioprin, Methotrexat oder Mycophenolat-Mofetil erwogen werden. Auch Biologika haben in die Behandlung des SLE Einzug gehalten. So können Ärzte seit einigen Jahren in bestimmten Fällen den Antikörper Belimumab einsetzen.
Mit Anifrolumab ist nun ein weiteres Biologikum hinzugekommen. Der Antikörper ist als Zusatztherapie zur Standardbehandlung bei Erwachsenen mit moderatem bis schwerem, aktiven Autoantikörper-positiven SLE zugelassen.
Wie wirkt Anifrolumab? Binden Typ-1-Interferone (Typ-1-IFN) an den IFN-α-Rezeptor (IFNAR), wird eine entzündungsfördernde Signalkaskade ausgelöst. Schätzungsweise bis zu 75 Prozent der erwachsenen SLE-Patienten weisen eine erhöhte Expression von Typ-1-IFN-regulierten Genen auf. Bei SLE befeuern die hochregulierten Typ-1-IFN den zugrunde liegenden Autoimmunprozess immer weiter und bewirken dadurch eine chronische Entzündung und Gewebeschädigung.
Typ-1-Interferone (Typ-1-IFN) spielen eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie des systemischen Lupus erythematodes: Durch die Bindung an einer der beiden Untereinheiten des Interferon-α-Rezeptors (IFNAR) kommt es zur Bildung des IFNAR-Komplexes. Dieser löst eine intrazelluläre Signalkaskade aus, an deren Ende die Verstärkung der Expression von IFN-regulierten Genen steht. / Foto: Stephan Spitzer
Anifrolumab kann den Typ-1-Interferon-(Typ-1-IFN-)Signalweg gezielt hemmen. Es bindet mit hoher Spezifität und Affinität an die Untereinheit 1 des Interferon-α-Rezeptors (IFNAR1) und verhindert somit die Bildung des IFNAR-Komplexes mit der Folge, dass die Typ-1-IFN-Signaltransduktion nicht stattfinden kann. Zudem bewirkt Anifrolumab die Internalisierung von IFNAR1, wodurch ihre Anzahl auf der Zelloberfläche verringert wird. Dadurch kann Anifrolumab die biologische Aktivität von Typ-1-IFN blockieren. / Foto: Stephan Spitzer
Anifrolumab bindet mit hoher Spezifität und Affinität an die Untereinheit 1 des IFNAR. Das hemmt die Typ-1-IFN-Signaltransduktion und blockiert so die biologische Aktivität von Typ-1-IFN. Ferner induziert Anifrolumab die Internalisierung der Untereinheit 1 des IFNAR und reduziert so die IFNAR1-Anzahl auf der Zelloberfläche, die für die Rezeptorbindung zur Verfügung steht. So werden insgesamt die nachgelagerten entzündlichen und immunologischen Prozesse bei SLE inhibiert.
In den beiden randomisierten, doppelblinden placebokontrollierten Studien TULIP-1 und -2 wurde Anifrolumab untersucht. Die Patienten hatten eine mittelschwere bis schwere SLE-Erkrankung und erhielten alle eine Standardtherapie, etwa orale Corticosteroide, Antimalariamittel und/oder Immunsuppressiva.
In TULIP-1 mit 457 SLE-Patienten, die alle vier Wochen 150 oder 300 mg Anifrolumab oder Placebo bekamen, wurde der primäre Endpunkt (SLE-Responder-Index 4) nicht erreicht. Selbst in der Dosisgruppe mit 300 mg alle vier Wochen war der Anteil der Patienten in Woche 52 mit einem SRI-4-Ansprechen vergleichbar mit Placebo (47 versus 43 Prozent). Immerhin deuteten aber mehrere sekundäre Endpunkte, etwa eine anhaltende Reduktion der oralen Corticoiddosis, auf einen klinischen Nutzen von Anifrolumab im Vergleich zu Placebo hin.
Erfolgreicher verlief die TULIP-2-Studie mit 362 Patienten. Der primäre Endpunkt dieser Studie war das Ansprechen in Woche 52, gemessen anhand der BICLA-Skala (BILAG-Based Composite Lupus Assessment). Das Verum (300 mg Anifrolumab intravenös alle vier Wochen) reduzierte die Krankheitsaktivität: 48 Prozent der Patienten unter Anifrolumab erreichten eine BICLA-Response im Vergleich zu 32 Prozent in der Placebogruppe. Auch in dieser Studie konnte mithilfe des Antikörpers bei vielen Patienten die orale Corticoiddosis reduziert werden.
Die empfohlene Dosis von Anifrolumab beträgt 300 mg. Sie wird alle vier Wochen über eine Dauer von 30 Minuten als intravenöse Infusion gegeben. Wenn eine geplante Infusion verpasst wurde, soll diese so bald wie möglich nachgeholt werden. Ein Mindestabstand von 14 Tagen soll zwischen den Dosen aber eingehalten werden. Die Behandlung ist unter Umständen zu unterbrechen oder zu beenden, wenn der Patient Reaktionen im Zusammenhang mit der Infusion entwickelt. Bei Patienten mit infusionsbedingten Reaktionen in der Anamnese kann vor der Infusion von Anifrolumab eine Prämedikation gegeben werden, etwa ein Antihistaminikum. Die Anwendung von Anifrolumab in Kombination mit anderen Biologika wird nicht empfohlen.
Sehr häufige Nebenwirkungen sind Infektionen der oberen Atemwege (34 Prozent) und Bronchitis (11 Prozent). Häufig kommt es zum Beispiel zu Herpes zoster (6 Prozent). In der Fachinformation von Saphnelo wird dazu geraten, eine Therapie mit Anifrolumab bei Patienten mit einer klinisch signifikanten aktiven Infektion nicht zu starten, bevor die Infektion abgeheilt ist oder adäquat behandelt wird. Vor Beginn der Behandlung sollte darauf geachtet werden, dass alle notwendigen Schutzimpfungen abgeschlossen sind. Patienten, die mit Anifrolumab behandelt werden, sollen nicht mit Lebendimpfstoffen oder attenuierten Lebendimpfstoffen geimpft werden.
Die Anwendung von Saphnelo während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die nicht verhüten, wird nicht empfohlen, es sei denn der mögliche Nutzen rechtfertigt das potenzielle Risiko. In der Stillzeit ist zu entscheiden, ob das Stillen unterbrochen wird oder ob auf die Behandlung mit dem Antikörper verzichtet wird.
Die ungeöffnete Durchstechflasche sollte im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C gelagert werden.
Schon seit einiger Zeit werden auch Biologika bei SLE eingesetzt. Allerdings gab es in den vergangenen Jahren keine weiteren Neuentwicklungen in dieser Indikation. Das Studienprogramm mit dem bekannten Antikörper Ustekinumab wurde aufgrund mangelnder Wirksamkeit bei Lupus erythematodes eingestellt. Daher ist es sehr erfreulich, dass es nun ein neuer Antikörper zur Zulassung geschafft hat.
Das wachsende Verständnis bezüglich der Rolle von Typ-1-Inteferonen als Treiber der SLE-Pathogenese bereitete den Weg für Anifrolumab. Dieser Antikörper hat einen anderen Wirkmechanismus als der bei SLE ebenfalls zugelassene Antikörper Belimumab. Anifrolumab bindet mit Spezifität und Affinität an die Untereinheit 1 des Typ-1-IFN-Rezeptors und hemmt die Aktivität aller Typ-1-IFN. Dieses neue Wirkprinzip rechtfertigt die Einstufung als Sprunginnovation.
Die erzielten Studienergebnisse würden dagegen vorläufig die Kategorie Schrittinnovation nahelegen. Denn riesig ist die in den Zulassungsstudien beobachtete Wirksamkeit auf die Krankheitsaktivität, die die Add-on-Behandlung mit dem neuen Antikörper bringt, leider nicht. Dennoch zeigen die Studien, dass viele Patienten profitieren, zum Beispiel durch eine anhaltende Reduktion der oralen Corticoiddosis. Auch das Sicherheitsprofil von Anifrolumab ist akzeptabel. Wünschenswert wären Vergleichsstudien, insbesondere mit Belimumab, um den Fortschritt dank Anifrolumab besser beurteilen zu können.
Sven Siebenand, Chefredakteur