Amoxicillin-Deal ist kein Vorbild für Deutschland |
Cornelia Dölger |
05.10.2023 09:00 Uhr |
Um die Versorgung mit Amoxicillin-haltigen Präparaten zu sichern, geht Frankreich einen eigenen Weg. Ob der auch für Deutschland taugen würde? / Foto: Adobe Stock/Artinun
Nicht nur in Deutschland, in ganz Europa fehlen wichtige Arzneimittel. Mit den sinkenden Temperaturen dürfte sich die Lage noch verschärfen; die steigenden Infektionszahlen werden erneut große Lücken in die Bestände an Antibiotika sowie Schmerz- und Fiebermitteln reißen.
Um dieses Szenario zu verhindern oder zumindest zu mildern, hat Frankreich vor Kurzem einen Deal mit Antibiotika-Herstellern im Land abgeschlossen, wie es Mitte September in einem Pressebericht hieß, der sich auf französische Medien bezog. Demnach will sich das Land die Versorgung mit Amoxicillin-Präparaten sichern, indem es Herstellern eine zeitlich begrenzte Preiserhöhung um zehn Prozent anbietet und sie im Gegenzug verpflichtet, den Komplettbedarf in den kommenden Monaten zu bedienen. Falls sie dem nicht nachkommen, müssen sie die Mehreinnahmen durch die höheren Preise anteilig zurückzahlen.
Das Unternehmen Biogaran, der französische Marktführer für Amoxicillin-Präparate, soll dem Deal zugestimmt haben, mehr als ein Dutzend Labore, die Amoxicillin-Präparate herstellen, ebenso.
Bereits im Juni hatte Frankreichs Präsident Emanuel Macron angekündigt, die Medikamentenproduktion ins Land zurückholen zu wollen beziehungsweise auszubauen, über Macrons »Gesundheitsplan 2030« hatte das »Handelsblatt« berichtet. Dafür will die Regierung dem Bericht zufolge insgesamt 7,5 Milliarden Euro ausgeben.
Mehr Geld ins System – das begrüßen die Hersteller hierzulande natürlich auch. Dass eine nominelle Preiserhöhung die Liefersicherheit aber erhöhen würde, bezweifeln sie. Nominell zehn Prozent mehr seien nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie wären »in keinem Fall ausreichend, um den Aufbau oder die Rückholung von zusätzlichen Produktionskapazitäten anzustoßen und die dringend notwendigen strukturellen Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssicherheit zu finanzieren«, wie etwa das Unternehmen Sandoz der PZ auf Anfrage mitteilte.
Sandoz ist laut Pro Generika mit einem Marktanteil von 70 Prozent der größte Amoxicillin-Hersteller auf dem deutschen Markt. Jede Option einer Preiserhöhung für versorgungsrelevante Generika werde ausdrücklich begrüßt, hieß es dazu weiter. Allerdings seien die Preisregulationen komplex. Der Gesetzgeber müsse sicherstellen, dass Preiserhöhungen auch eins zu eins beim Hersteller ankämen.
Tatsächlich sieht das Lieferengpassgesetz (ALBVVG) Preiserhöhungen für bestimmte Arzneimittel vor. Demnach soll es höhere Erstattungsgrenzen um bis zu 50 Prozent geben, wenn die betreffenden Arzneimittel als versorgungsrelevante Kinderarzneimittel erfasst sind oder als versorgungskritisch benannt werden. Auch Amoxicillin-Präparate fallen darunter.
Diese Preiserhöhung relativiere sich angesichts der niedrigen Festbeträge aber, hieß es dazu vom Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH). Der zuletzt gültige Festbetrag für 100 ml Amoxicillin-Saft mit 250 mg Wirkstoff lag demnach unter Berücksichtigung aller Abschläge »bei lediglich ca. 1,50 Euro (Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers)«.
Auch Pro Generika sieht in einer temporären Preiserhöhung nicht den Ausweg aus der Lieferengpasskrise. Zwar zeige die Maßnahme, dass sie französische Regierung verstanden habe, dass der Kostendruck die Versorgung destabilisiert habe, sagte eine Sprecherin auf PZ-Anfrage. Es sei gut und richtig, diesen zu lockern. Dennoch könne ein solcher Schritt keine strukturelle Veränderung herbeiführen. Denn kurzfristig mehr Geld führe ja nicht zu mehr Produktionskapazitäten. »In Deutschland haben wir das Problem, dass es zu wenige Hersteller und zu geringe Produktionskapazitäten gibt.« Die Hersteller produzierten unter Volllast und könnten oft gerade mal die Nachfrage decken. Damit wieder mehr Anbieter in die Versorgung einstiegen, brauche es »mehr als einen kurzfristigen Incentive«.
Die vorgeschriebene Lagerhaltung sei im Übrigen keine Garantie für eine ausreichende Versorgung – im Gegenteil, wie Hersteller Sandoz der PZ mitteilte. Das ALBVVG zwinge Hersteller in Rabattverträgen zu einer sechsmonatigen Lagerhaltung, was für die Hersteller enorme zusätzliche ökonomische und organisatorische Belastungen nach sich ziehe. Auch stünden diese Arzneimittel bei begrenzten Kapazitäten in der Produktion, die schon heute maximal ausgelastet seien, dann nicht für andere Länder oder Kunden zur Verfügung. Vielmehr drohe gerade bei Arzneimitteln mit volatilen Saisonverläufen wie bei Antibiotika »im Zweifel sogar die Vernichtung von überschüssiger Lagerware«.
Der BAH ergänzte, dass die im ALBVVG genannten Regeln zur Bevorratung zwar auf den ersten Blick wie eine Maßnahme gegen Lieferengpässe wirkten. Allerdings stellten sie in der Realität »nur eine weitere mit Kosten für den Hersteller verbundene Hürde dar«. Pro Generika sieht das ähnlich. Wo immer es ginge, hielten die Hersteller einen größtmöglichen Vorrat bereit. Bei Nachfrage-Peaks wie im vergangenen Herbst sei dieser aber schnell aufgebraucht. »Zudem ist es technisch unmöglich Vorräte aufzubauen, wenn man bereits unter Volllast produziert und damit die aktuelle Nachfrage schon kaum mehr bedienen kann.«