Wie wir uns an die Corona-Zeit erinnern, hängt unter anderem davon ab, welche Emotionen damit verbunden sind – ob wir zum Beispiel eine nahestehende Person verloren haben oder anders herum mehr Zeit mit der Familie hatten. / Foto: Adobe Stock/RyanJLane
Umfragen aus der Corona-Zeit zufolge hatten viele Menschen erwartet, dass wir uns nie wieder die Hände schütteln. Viele hätten sich nicht vorstellen können, dass sie sich je wieder in einer Menschenmenge wohl fühlen. Viele trauten sich nur noch mit Maske, Handschuhen und Desinfektionsspray zum Einkaufen. Doch diese Empfindungen gingen in vielen Fällen wieder fast so schnell wie sie gekommen waren.
Wie kann das sein? Vergessen ist lebenswichtig, sagen Hirnforscher und Psychologen. Wenn wir immer alles speichern würden und immer alles gleich wichtig wäre, wären wir handlungsunfähig. Was in welcher Form wieder ans Tageslicht kommt, hängt auch damit zusammen, welche Emotion gerade dominiert. Vergessen im Sinn von gelöscht haben wir Corona sicher nicht, sagt die Psychologin Susanne Spieß vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Die Frage ist weniger, woran wir uns erinnern, als wie wir uns daran erinnern.
Spieß vergleicht das mit einem Trauerprozess, bei dem es verschiedene Phasen gibt. «Wir können in dem Gefühl bleiben, das wir damals damit verbunden haben. Oder wir können uns mit den Gefühlen, den Gedanken, der Situation an sich auf verschiedene Weise auseinandersetzen. Dann beginnt die Heilung.» Die vermeintliche «Vergessensleistung» sei eigentlich eine «Verarbeitungsleistung», sagt Spieß. Wie gut das gelinge, hänge auch davon ab, «wie gut ich bewusst entspannt im Hier und Jetzt sein kann».
Außerdem liefen bei jedem Menschen andere Selektionsprozesse ab, abhängig von den Vorerfahrungen, Vorlieben, Ängsten und Einstellungen: Wer sich schon immer in Menschenmengen unwohl fühlte, wird dieses – in der Pandemie verstärkte – Gefühl der Vorsicht vermutlich länger haben als jemand, der sich schon immer auf Straßenfesten pudelwohl fühlte.
Gegen Ende der Corona-Zeit sei es vielleicht zu einer Art Desensibilisierung gekommen, sagt Spieß. Die erste Umarmung nach den Lockdowns fühlte sich noch seltsam an, vor allem, weil man immer die Perspektive des anderen mitdachte: Ist das ok für sie oder ihn? Aber mit jeder Umarmung verschwand die Irritation ein bisschen mehr. Bei Menschen, die immer allen um den Hals fielen, ging das vermutlich schneller als bei Menschen, die Körperkontakt lieber meiden.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.