Alle Apotheken-Angebote im Sinne des Patienten |
Daniela Hüttemann |
18.11.2021 16:30 Uhr |
Zugegeben: Die tägliche Arbeit in der Apotheke macht nicht immer Spaß – doch neues Personal lässt sich nur gewinnen, wenn man sich weiterhin für die pharmazeutischen Berufe begeistern kann. / Foto: Getty Images/Leonardo Patrizi
Mitten in der vierten Coronawelle hatte die Apothekerkammer Schleswig-Holstein ihre Kammerversammlung am Mittwoch kurzfristig von Kiel ins Internet verlegt. Der Frust, immer noch in der Pandemie zu stecken, ist auch in der Apothekerschaft groß, die bereits einen großen Anteil zur Bewältigung beigetragen hat durch die Aufrechterhaltung der Arzneimittelversorgung und neue Aufgaben wie Desinfektionsmittelherstellung, Maskenverteilung, Schnelltestung und Ausstellung von Impfzertifikaten.
Und es könnte noch mehr sein: »Wir müssen alles unternehmen, um diejenigen zu erreichen, die sich bisher noch nicht haben impfen lassen«, sagte Kammerpräsident Dr. Kai Christiansen gleich zu Beginn seines Berichts. »Was wäre das für ein Potenzial gewesen, wenn die Politik die 18.500 Apotheken hier in Deutschland damit beauftragt hätte, das Wissen um das Virus, aber vor allem das Wissen um die Impfung in die Bevölkerung zu tragen? Was wäre passiert, wenn die Apotheken ›Impfaufklärungssprechstunden‹ für Unentschlossene angeboten hätten?« Er hofft, dass sich Skeptiker auch jetzt noch durch fundierte Beratung an einem vertrauenswürdigen Ort wie der Apotheke überzeugen lassen. Auch, wenn er selbst dem Impfen in der Apotheke »leidenschaftslos« gegenüber stehen würde und ihm klar sei, dass entsprechende Forderungen oder Angebote keine Begeisterungsstürme bei den Ärzten auslösen: »Ich bin mir sicher, dass wir in der Corona-Pandemie heute anders dastehen würden, wenn es impfende Apotheken geben würde«, so Christiansen.
Der Wunsch könnte sich bald verwirklichen: Kurz nach der Kammerversammlung sagte RKI-Chef Lothar Wieler in einer Online-Diskussion mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU): »Es muss jetzt Schluss sein, dass irgendwer irgendwelchen anderen Berufsgruppen aufgrund von irgendwelchen Umständen nicht gestattet, zu impfen. Wir sind in einer Notlage. Jeder Mann und Maus, der impfen kann, soll jetzt gefälligst impfen. Sonst kriegen wir diese Krise nicht in den Griff.«
BAK-Präsident Thomas Benkert als Gastredner berichtete Kammerpräsident Dr. Kai Christiansen und den Mitglieder der Kammerversammlung über die Tätigkeiten der Bundesapothekerkammer. / Foto: PZ/Hüttemann (Screenshot)
Heute hieß es von den Grünen Schleswig-Holsteins: »Wir müssen im Wettlauf gegen das Coronavirus schneller beim Impfen werden und dafür brauchen wir die Apotheken als zusätzliche Impfstellen«, zitiert die Deutsche Presse-Agentur den Grünen-Landesvorsitzenden Steffen Regis. Er möchte Apothekenpersonal sowohl mit der Grundimmunisierung als auch Booster-Impfungen betrauen. »Die Hürden für eine Impfung würden so deutlich gesenkt, da die Apotheken für viele Menschen ohnehin Anlaufstellen bei Gesundheitsfragen sind und sie leicht zu erreichen sind.«
Wie Christiansen am Mittwoch berichtete, habe es bereits Anfang der Woche Gespräche zwischen der Apothekerkammer, dem Apothekerverband und dem Landesministerium hierzu gegeben. Mehr verriet der Kammerpräsident allerdings nicht.
Das niederschwellige Impfen in der Apotheke, ob gegen Grippe oder Corona, war für Christiansen aber nur ein Beispiel, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung bei vielen Entscheidungen und Leistungen im Gesundheitswesen noch nicht genug berücksichtigt würden. »In sechs Wochen hätte jede Vor-Ort-Apotheke Pharmazeutische Dienstleistungen anbieten ...können ...sollen«, so Christiansen. Die Apothekerschaft habe sinnvolle und in ihrem Nutzen belegte Dienstleistungen vorgeschlagen; die Honorierung zunächst in Höhe von 150 Millionen Euro jährlich sei bereitgestellt; der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte beim Deutschen Apothekertag im September den Krankenkassen sogar unmissverständlich gedroht, wenn sie sich querstellen. »Und doch weigert sich der GKV-Spitzenverband, seine Unterschrift unter dieses Projekt zu setzen«, ärgerte sich der Kammerpräsident.
Auf die Frage nach dem Warum habe er keine Antwort. »Wollen die Krankenkassen nicht auch genauso wie wir, dass die Menschen gut versorgt sind, dass Fehlgebrauch oder die falsche Anwendung von Arzneimitteln verhindert wird, dass Krankheitsrisiken früh erkannt werden, dass gerade die Arzneimitteltherapie älterer und multimorbider Patienten optimal eingestellt ist?« Im Gegenteil: Manche Kassen hätten die Interessen ihrer Versicherten aus den Augen verloren, wenn sie zum Beispiel eine viel zu geringe Vergütung für die Versorgung mit Inkontinenzprodukten festlegen, aber gleichzeitig für unwissenschaftliche Extras wie Homöopathika den doppelten Betrag übrig hätten.
Christiansen richtete sich an dieser Stelle auch an die bei den Krankenkassen angestellten Heilberufler, ihren Arbeitgebern klar und deutlich zu sagen: »Kommt endlich zur Vernunft und stellt den Menschen wieder in den Mittelpunkt!«
Und auch das E-Rezept hätte den Patienten bald den Alltag erleichtern können, wenn denn alle Beteiligten ihre Hausaufgaben rechtzeitig gemacht hätten, zum Beispiel Krankenkassen ihre Versicherten umfassend informiert und mit NFC-fähigen Gesundheitskarten ausgestattet hätten. »Die Einführung des E-Rezeptes wird nur gelingen, wenn die Krankenkassen, Ärzte, Apotheken und Patienten hier gemeinsame Sache machen«, so Christiansen. Er wünsche sich, bürokratische Monster klein zu halten und »großzügige, verzeihende Regelungen und lange Übergangs- und Friedensfristen«.
Der Kammerpräsident äußerte sich zudem zur möglichen Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken. »Gibt es bald Cannabis für alle in unseren Apotheken?«, fragte er sich angesichts der andauernden Koalitionsverhandlungen zur neuen Bundesregierung. »Wenn die Politik dies möchte, dann kann es mit uns aber nur den heilberuflichen Weg geben. Ein Nebeneinander von Coffeeshop, dem scheinselbständigen Cannabisverkäufer am Bahnhof und dem regulierten Weg über die Apotheke darf es dann nicht geben.« Wenn es soweit kommt, könne er sich auch die pharmazeutische Dienstleistung »Cannabis-Erstberatung in der Apotheke« sowie ein aktives Abraten vorstellen – mit Honorar für jeden Minderjährigen, den die Apotheken vom Kiffen abhalten können.
So sehr sich die Apotheken und ihre Mitarbeiter über die Anerkennung ihrer bisherigen Leistungen in der Pandemie freuen und auch neue Aufgaben übernehmen wollen – das alles wird nur mit mehr Personal gehen. Und hier besteht bereits ein riesiges Problem, dass sich in den kommenden Jahren noch immens verschärfen wird. Christiansen bezeichnete den Personalmangel als DAS drängendste Problem der Apotheken. »Hier müssen wir gewaltige Kraftanstrengungen betreiben, hier müssen wir bisher noch nicht mal gedachte Wege neu denken und bereit sein zu gehen.« Dazu gehöre auch, den PTA- und PKA-Beruf attraktiver zu machen und den Mitarbeitern mehr Verantwortung zu geben.
»Die PKA ist nicht mehr für die Warenbestellung und Lagerhaltung zuständig, sie arbeitet als Assistenz der Geschäftsführung im Bereich Ressourcen und Factoring. Die PTA verantwortet das Feld Customer Relationship und Pharmaceutical Sciences und die angestellten Approbierten besetzen die MedWiss- und Human Ressources-Abteilungen in unseren Apotheken«, zog Christiansen einen Vergleich zur Unternehmenswelt. Es gehe aber nicht einfach um neue Bezeichnungen, sondern um wirkliche Verantwortung, um tatsächliche Handlungsvollmacht in den einzelnen Gebieten, jedoch immer noch mit einem »Reporting« gegenüber den Approbierten.
Um überhaupt junge Menschen für einen Apothekenberuf zu begeistern, rief er alle Offizinen auf, trotz großer Arbeitslast weiterhin und noch mehr Praktikums- und Ausbildungsplätze anzubieten, nicht zuletzt schon für Schüler. Wenn die Apotheken mit Verweis auf »keine Zeit für die Ausbildung« nicht selbst für Nachwuchs sorgten, komme man nie aus dem Teufelskreis des Personalmangels heraus und nagele sich den eigenen Sarg zu. »Die Flamme der Begeisterung für den Beruf der Apothekerin und des Apothekers, für die Vielfältigkeit des PTA-Berufes und die enorme Systemrelevanz der PKA müssen wir in unseren Apotheken entzünden«, appellierte Christiansen an jeden einzelnen.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.