ABDA will weg von der Dringlichkeitsliste |
Cornelia Dölger |
26.09.2023 08:40 Uhr |
Wie soll die Versorgung mit Kinderarzneimitteln im Herbst und Winter gesichert werden? Jedenfalls nicht auf Basis der BfArM-Dringlichkeitsliste, meint die ABDA. / Foto: Adobe Stock/photophonie
Gemeinsam gegen Lieferengpässe bei Kinderarzneimitteln, das war das Credo eines Spitzengesprächs des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) Mitte September, an dem auch die ABDA teilnahm. Apothekerinnen und Apotheker sollten demnach »die gleichmäßige und bedarfsgerechte Versorgung mit Kinderarzneimitteln in der Elternberatung unterstützen und die Bedarfe in der eigenen Bevorratung berücksichtigen«, so wurde in Berlin festgehalten. Zudem sollte der Austausch von Kinderarzneimitteln nach der sogenannten »Dringlichkeitsliste Kinderarzneimittel« ausgeweitet und weiter erleichtert werden. Für die Herstellung von Rezepturen und für den Austausch der Darreichungsform sollte bei diesen Kinderarzneimitteln eine Retaxation ausgeschlossen werden.
Der dieses Ziel umreißende Fünf-Punkte-Plan soll schnell umgesetzt werden und gelangt deshalb per Änderungsantrag ins sogenannte Pflegestudiumstärkungsgesetz, das sich bereits im parlamentarischen Verfahren befindet. In einer Stellungnahme, die der PZ vorliegt, begrüßt die ABDA zwar im Grundsatz den entsprechenden Änderungsantrag der Regierungsfraktionen. Dieser sei allerdings nicht geeignet, die Versorgung der betroffenen Kinder mit Arzneimitteln »rechts- und retaxationssicher« zu gewährleisten.
Besagter Änderungsantrag der Regierungsfraktionen bezieht sich unter anderem auf den für Apotheken zentralen §129 SGB V. Der neue Absatz 2b besagt Folgendes:
»(2b) Abweichend von Absatz 1 Satz 1 bis 5 und 8 und dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 können Apotheken bei Nichtverfügbarkeit eines nach Maßgabe des Rahmenvertrags nach Absatz 2 abzugebenden Arzneimittels, das auf der »Dringlichkeitsliste Kinderarzneimittel« in der jeweils geltenden Fassung geführt wird, die auf der Internetseite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte veröffentlicht ist, dieses gegen ein wirkstoffgleiches in der Apotheke hergestelltes Arzneimittel, auch in einer anderen Darreichungsform, oder gegen ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel in einer anderen Darreichungsform ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt austauschen. Absatz 2a Satz 2 und 3 gilt entsprechend.«
Die Bezugnahme auf die Dringlichkeitsliste sieht die ABDA kritisch. Sie sei »weder praktikabel noch rechts- und retaxsicher in den Apotheken umsetzbar; die abschließend in Frage kommenden Fertigarzneimittel (mit ihrer Pharmazentralnummer) sind aufgrund der Angaben in dieser Liste weder von der Apotheke noch von der ABDA/ABDATA oder dem Großhandel zuverlässig bestimmbar«, schreibt die Standesvertretung.
Welche Hürden sieht die Standesvertretung hier? Zum Hintergrund heißt es, die Dringlichkeitsliste des BfArM enthalte essenzielle Arzneimittel für die Pädiatrie, die in der kommenden Infektionssaison möglicherweise knapp werden könnten. Das BfArM veröffentliche die Liste auf seiner Internetseite. Die dort aufgeführten 15 bis 16 Wirkstoffe (nicht Fertigarzneimittel) seien dabei größtenteils auch Bestandteil der Liste der pädiatrischen Arzneimittel gemäß § 35 Absatz 5a SGB V – basierend auf der »WHO Model List of Essential Medicines for Children – 8th list, 2021«.
Letztere enthalte aber Fertigarzneimittel, die auf Grund der zugelassenen Darreichungsformen und Wirkstärken insbesondere zur Behandlung von Kindern bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres notwendig seien. Grundsätzlich unterliege diese Liste, auf der die Dringlichkeitsliste basiere, kontinuierlichen Aktualisierungen durch den BfArM-Beirat, die erst durch eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger gültig würden.
Zudem könne die Dringlichkeitsliste als Teilmenge der veröffentlichten Liste der notwendigen Kinderarzneimittel gemäß § 35 Absatz 5a SGB V nur auf Zulassungsdaten basieren und berücksichtige somit nicht den Vermarktungsstand der Fertigarzneimittel. Um die Bevorratungsplanungen in den Apotheken fachgerecht und die Substitution mit adäquaten Präparaten zu gewährleisten, müssten die Apotheken die betroffenen Wirkstoffe samt Darreichungsform aber den tatsächlich im Markt (nicht) verfügbaren Präparaten eindeutig zuordnen können, schreibt die ABDA.
Die »Dringlichkeitsliste Kinderarzneimittel« stelle im Gegensatz zur Liste der notwendigen Kinderarzneimittel gemäß § 35 Absatz 5a SGB V »keine Arzneimittelliste im eigentlichen Sinne« dar. Vielmehr gebe sie lediglich Wirkstoff und Darreichungsform an, was »eine eindeutige, rechtssichere Zuordnung und Umsetzung der oben genannten Austausch- und Bevorratungsempfehlungen auf Fertigarzneimittelebene unmöglich« mache. Hinzu komme, dass die Liste jederzeit Veränderungen erfahren könne.
Die ABDA fordert daher erneut, den Bezug auf die Dringlichkeitsliste zu streichen. Bereits vergangene Woche hatte ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening diese Position deutlich gemacht. Um Kinder in der kommenden Herbst- und Wintersaison ausreichend mit Arzneimitteln versorgen zu können, sollten Apotheken stattdessen Folgendes tun dürfen: Wie bei allen anderen Arzneimitteln mit Lieferproblemen prüfen sie mittels einer Großhandelsabfrage die Verfügbarkeit. Ist das Medikament nicht verfügbar und gilt die Verordnung zudem für ein Kind bis zum vollendeten zwölften Lebensjahr, gelten die erweiterten Austauschregeln auch für ein wirkstoffgleiches in der Apotheke hergestelltes Arzneimittel, auch in einer anderen Darreichungsform, und für ein wirkstoffgleiches Fertigarzneimittel in einer anderen Darreichungsform, jeweils ohne Rücksprache mit dem verordnenden Arzt.