ABDA fordert mehr Entlastung und Entscheidungsfreiheit |
Melanie Höhn |
08.06.2023 13:00 Uhr |
Die Apotheken benötigten über die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen hinaus weitere flexible rechtliche Abgaberegeln, fordert die ABDA. / Foto: IMAGO/Design Pics
Kurz vor der öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am 12. Juni, bei der der Entwurf des Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) diskutiert wird, hat sich die ABDA zu Wort gemeldet. In einer am gestrigen Mittwoch veröffentlichen Stellungnahme begrüßt es die Standesvertretung der Apothekerinnen und Apotheker zwar, dass sich der Gesetzgeber dieser Problematik annimmt. Der Gesetzentwurf sei jedoch nicht dafür geeignet, »die Problematik an der Wurzel zu bekämpfen«.
Insbesondere würden ausreichende Regelungen fehlen, »die es Apotheken rechtssicher ermöglichen, bei Lieferengpässen die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten«. Der den Apotheken im Zusammenhang mit der Lösung von Versorgungsproblemen aufgrund von Lieferengpässen entstehende Aufwand werde nach dem Gesetzentwurf zudem nicht annähernd berücksichtigt.
Die Apotheken benötigten über die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen hinaus weitere flexible rechtliche Abgaberegeln, durch die die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sichergestellt werden könne, heißt es in der Stellungnahme. Die bisher eingeräumten Sonderregelungen würden weitgehend der Notwendigkeit Rechnung tragen, »unbürokratisch auf die besonderen Herausforderungen bei Nichtverfügbarkeit von Arzneimitteln zu reagieren und hätten damit vielfach erst ermöglicht, eine effiziente und hochwertige Arzneimittelversorgung aufrecht zu erhalten«. Darüber hinaus entlasteten sie auch die Ärzteschaft von Rückspracheerfordernissen mit der Apotheke oder erneuten Patientenbesuchen zur Ausstellung neuer beziehungsweise korrigierter Verschreibungen aus rein formalen Gründen. Es habe sich im Zuge der Anwendung dieser Ausnahmeregelungen gezeigt, »dass es notwendig und zielführend sei, diese Ausnahmen für das regelhafte Versorgungsgeschehen zu übernehmen, da sie dazu beitragen können, in der Regelversorgung – aber auch bei der Bewältigung von Lieferengpässen –, die Arzneimittelversorgung zu sichern«.
Nach ABDA-Analysen hätten diese bisherigen Ausnahmeregelungen nicht die wirtschaftlichen Effekte der Austauschregelungen gemäß § 129 Absatz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) V in Verbindung mit dem Rahmenvertrag nach § 129 Absatz 2 SGB V vermindert. Ganz im Gegenteil seien die Rabattverträge nach § 130a Absatz 8 in nahezu unverändertem Ausmaß durch die Apotheken bedient worden. Dasselbe gelte für die Abgabe von preisgünstigen Arzneimitteln § 129 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 1 SGB V sowie von preisgünstigen Importen nach § 129 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 2 SGB V. »Damit entbehren die bürokratischen Anforderungen, die mit dem Nachweis einer nicht gegebenen Lieferbarkeit von Rabatt- beziehungsweise preisgünstigen Arzneimitteln verbunden sind, ihrer Grundlage«, heißt es seitens der ABDA. Es sei weder den Versicherten noch den Apotheken zuzumuten, auf nochmalige Rückfragen beim Arzt oder noch ausstehende Lieferungen des pharmazeutischen Großhandels zu warten, um die Versorgung durchzuführen, wenn die Wirtschaftlichkeit der Versorgung auch ohne diese Hindernisse gewährleistet sei.
Zudem kritisiert die ABDA in ihrer Stellungnahme, dass die Honorierung des in den Apotheken entstehenden Aufwands für die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung im Zuge eines Liefer- oder Versorgungsengpasses unzureichend sei und eine erhebliche Nachbesserung erfordere, »durch die die Leistungen der Apotheken nachdrücklich anerkannt wird«. Der vorgesehene Zuschlag von 50 Cent zuzüglich Umsatzsteuer zur Abgeltung des Aufwands, der öffentlichen Apotheken bei der Sicherstellung der Versorgung mit verordneten Arzneimitteln entstehe, die einem Lieferengpass unterliegen, sei unzureichend.
Die ABDA fordert daher in der Arzneimittelpreisverordnung und dem SGB V einen gesonderten Zuschlag
wie folgt zu verankern:
»Ist das aufgrund der ärztlichen Verschreibung abzugebende Arzneimittel weder in der Apotheke vorrätig noch beim pharmazeutischen Großhandel oder pharmazeutischen Unternehmer verfügbar, ist für die stattdessen erfolgte Abgabe je Arzneimittel ein Zuschlag in Höhe von 21 Euro zuzüglich Umsatzsteuer zu berechnen. Dies ist auf der ärztlichen Verschreibung oder im elektronischen Abgabedatensatz zu dokumentieren.«
Weiterhin fordert die ABDA, dass »im Fall der Nichtverfügbarkeit des verordneten Arzneimittels und fehlender Austauschmöglichkeiten an Stelle des Fertigarzneimittels auch ein entsprechendes Rezeptur- beziehungsweise Defekturarzneimittel in der Apotheke hergestellt und abgegeben werden kann sowie retaxsicher von allen Krankenkassen erstattet wird«. Dies müsse gesetzlich auch ausdrücklich so festgestellt werden. Die Standesvertretung schlägt deshalb vor, § 21 Absatz 1 Arzneimittelgesetz (AMG) um folgenden Satz 2 zu ergänzen: »Arzneimittel, für die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einen Lieferengpass nach § 52b Absatz 3 Satz bekannt gemacht hat, gelten als nachweislich häufig ärztlich oder zahnärztlich verschrieben im Sinne von Satz 1 Nummer 1«.
Als Begründung wird angeführt: »Für Arzneimittel, für die das BfArM einen Lieferengpass bekannt gemacht hat, werden die Anforderungen für eine Defekturherstellung gelockert. Von dem Erfordernis häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibungen in der Apotheke kann für Arzneimittel, die von einem Lieferengpass betroffen sind, durch eine gesetzliche Fiktion eine Ausnahme verankert werden, die es der Apotheke erlaubt, betroffene Arzneimittel auch ohne konkrete häufige Verschreibungen im Rahmen der Defektur herstellen zu können.«
Ferner sieht die ABDA Regelungsbedarf im Bereich der Hilfsmittelversorgung. Die Pflicht zur Präqualifizierung nach § 126 Absatz 1a SGB V sei auf die besondere Situation der Apotheken anzupassen. Dieses Erfordernis führe auch der Bundesrat entsprechend in seiner Stellungnahme aus. Die ABDA begrüße »außerordentlich« den Ansatz des Bundesrats, eine Ausnahme von der in § 126 Absatz 1a Satz 2 SGB V festgelegten Verpflichtung, das Zertifikat einer Präqualifizierungsstelle als Nachweis für die Eignung zur Hilfsmittelversorgung vorzulegen, für apothekenübliche Hilfsmittel insoweit einzuräumen, als dass die Vorlage der Apothekenbetriebserlaubnis ausreiche.
Dieser Ansatz entspreche einer langjährigen Forderung der ABDA. »Es ist nicht einsichtig, weswegen Apotheken, deren Tätigkeit auch bei der Versorgung mit Hilfsmitteln bereits einer Vielzahl von Regularien zur Sicherstellung der gebotenen Qualität unterliegt, zusätzlich noch das Zertifikat einer Präqualifizierungsstelle beibringen müssen«, heißt es in der Stellungnahme. Um die Versorgung mit Hilfsmitteln für die Offizinen handhabbar zu halten, sei es zielführend, »die Apotheken aufgrund der beruflichen Kompetenz des verantwortlichen Apothekenleiters und seines Personals und der anderweitig zu durchlaufenden apotheken- und berufsrechtlichen Verfahren weitestgehend aus dem Präqualifizierungsverfahren herauszunehmen«.
Generell sei zum Regierungsentwurf zu bemerken, dass er von einem extrem kleinteiligen Regelungsbedürfnis, wohl motiviert durch den Wunsch nach »Einzelfallgerechtigkeit«, getragen sei, so die ABDA. »An keiner Stelle werden die mit dieser Vielzahl von Einzelfallregelungen einhergehenden Aufwände auch nur erwähnt, geschweige denn beziffert und ihre Erstattung geregelt«, lässt sich der Stellungnahme entnehmen. Diese Belastungen würden sich in einem drastisch erhöhtem Arbeits- und Informationsaufwand für die Apothekenteams zeigen. Zusätzlich zu den Anstrengungen, die Patientinnen und Patienten unter Lieferengpassbedingungen bestmöglich zu versorgen, würden sie sich mit einer Vielzahl von Neuregelungen, Einzelmaßnahmen zur Preisbildung und erweiterten Dokumentationserfordernissen befassen müssen.
Hinzu komme, dass die Kosten, die Dritten durch diversen Einzelfallregelungen und ihres Zusammenspiels in der Apothekensoftware entstehen, letztlich die Apotheken in Form erhöhter Kosten für die entsprechenden Instrumente belaste. Eine Abschätzung hierzu sei aktuell nicht möglich.