63.162 Kilometer für eine Clonazepam-Tablette |
Melanie Höhn |
09.05.2025 09:00 Uhr |
Die Umweltauswirkungen der Produktion gehen weit über den in diesem Artikel beschriebenen Lebenszyklus hinaus, so die Studienautoren. Denn die Anwendenden scheiden Wirkstoffe auch wieder aus, die ins Abwasser gelangen und dort mitunter persistieren. / © Getty Images/Vladimir Gerasimov
Eine generische Clonazepam-Tablette reist theoretisch 63.162 Kilometer um die Welt: Eine Studie der Autoren um Harjas Kaur von der McMaster University in Hamilton zeichnet den Produktionsweg und den Vertrieb des Medikaments nach – unter der Annahme, das Rezept wurde im kanadischen Vancouver ausgestellt.
Der Produktionsprozess beginnt mit der Gewinnung von Ausgangsstoffen zur Herstellung des Wirkstoffs sowie der Hilfsstoffe. Die wichtigsten Zentren für die Rohstoffgewinnung und chemische Synthese befinden sich laut den Studienautoren in Indien und China.
Qualitätsprüfungen und Lagerung des synthetisierten Wirkstoffs fänden beispielsweise innerhalb der Europäischen Union statt. Anschließend wird der Wirkstoff für die nächsten Produktionsschritte nach Indien zurückgeschickt. Die Hilfsstoffe werden von China nach Indien transportiert. Dort wird formuliert und tablettiert. Danach wird die Bulkware für die Herstellung und den regionalen Vertrieb auf den globalen Markt gebracht.
Nach dem Versand durch Europa und Asien führt die Reise für die kanadischen Clonazepam-Tabletten für die letzten Produktionsschritte durch verschiedene Standorte in den USA, insbesondere nach New Jersey als größtem Zentrum Nordamerikas für die finalen Produktionsschritte.
Dann werden die Tabletten nach Tennessee transportiert, dort neu verpackt und anschließend an kanadische Industriecluster, typischerweise im Großraum Toronto, versandt. Die Tabletten werden dann in ganz Kanada distribuiert. Im Beispiel legten sie noch einmal 4200 Kilometer nach Vancouver zurück.
Die Studienautoren schlussfolgern in der medizinischen Fachzeitschrift »Canadian Family Physician«, dass die Herstellung einer Clonazepam-Tablette eine komplexe globale Lieferkette erfordert, die weder ökologisch nachhaltig noch widerstandsfähig gegenüber internationalen Krisen sei. Hersteller müssten eine optimierte Lieferkette priorisieren und nachhaltige Praktiken fördern.
»Unsere Forschung zeigt den enormen globalen Aufwand, der mit der Herstellung eines häufig verschriebenen Medikaments verbunden ist«, so die Autoren. Jeder Schritt gehe mit Treibhausgasemissionen, Ressourcen- und Energieverbrauch einher. »Obwohl wir die genauen Kohlendioxid-Emissionen unseres geschätzten Produktionswegs nicht berechnen konnten, sind mit der Herstellung und Lieferung eines Generikums an einen Patienten hohe Umweltkosten verbunden.«
Die genaue Messung der Treibhausgasemissionen von Arzneimitteln ist schwierig, erklärten die Wissenschaftler. Die Pharmabranche lege aufgrund begrenzter Bestandsdaten, vertraulicher Produktionsprozesse und komplexer Lieferketten bisher nur zögerlich Ökobilanzen vor. Die Kenntnis des CO2-Fußabdrucks von Medikamenten könnte jedoch die Verschreibungspraxis von Ärzten verbessern und Emissionsreduktionsmaßnahmen im Gesundheitswesen steuern, glauben die Autoren.