Zwischen Prävention und Therapie |
Christina Hohmann-Jeddi |
17.09.2019 11:00 Uhr |
Pathophysiologische Prozesse werden heute immer besser erforscht. / Foto: Getty Images/nicolas_
»Bislang beschäftigen wir uns in der Medizin mit Krankheiten«, sagte Tim Jäger vom Pharmaunternehmen Janssen auf der Jahrestagung House of Pharma in Frankfurt am Main. Wenn Symptome aufträten, gingen Menschen zum Arzt, erhielten eine Diagnose und eine entsprechende Therapie. »Warum setzen wir nicht früher an?«, fragte Jäger. Dank neuer Erkenntnisse zu pathophysiologischen Prozessen könnte es in Zukunft möglich sein, Krankheitsprozesse frühzeitig, also präklinisch, zu erkennen und gezielt aufzuhalten – noch bevor erste Symptome auftreten. »Wir glauben an dieses Konzept der Disease Interception«, so Jäger.
Diese ist von der Prävention aus verschiedenen Gründen abzugrenzen, machte der Referent deutlich. Während sich Prävention prinzipiell an alle Gesunden richte und relativ unspezifisch sei, ziele die DI hochselektiv auf bestimmte Risikogruppen. Diese müssten durch spezifische sensitive Tests mithilfe von Biomarkern bestimmt werden. Der identifizierte Krankheitsprozess müsse durch eine die Krankheit adressierende Therapie gestoppt werden. »Der Zeitpunkt der Diagnose wird quasi nach vorne verlegt, auf einen Zeitpunkt vor Ausbruch der Erkrankung«, so Jäger. Dies werfe grundsätzliche Fragen auf. Denn zum Zeitpunkt der Diagnose ist der Betroffene dann streng genommen noch kein Patient und der Arzt noch kein Therapeut. Letzterer befinde sich vielmehr in einer Beraterrolle, der die Krankheitsentwicklung überwacht.
»Insgesamt sind zum Konzept der Disease Interception noch viele Fragen offen – ethische, gesundheitsökonomische und medizinische«, machte Professor Dr. David Matusiewicz von der FOM – Hochschule für Oekonomie und Management deutlich. So verschwimme zum einen der Begriff Krankheit: »Was ist ein durch Biomarker bestimmtes Erkrankungsrisiko und wo fängt die Krankheit an?« Wie ließen sich Krankheitsrisiken ausreichend sicher bestimmen? Sei es gesundheitsökonomisch sinnvoll, Krankheitsrisiken zu therapieren? Auch ethische Aspekte müssten diskutiert werden, etwa das Recht auf Nichtwissen und die psychologischen Auswirkungen der frühen Kenntnis einer sich anbahnenden Erkrankung auf die Betroffenen.
Jäger wandte ein, dass das Konzept der DI nur für Erkrankungen mit längerem Vorlauf und mit einer kontinuierlichen Progression geeignet sei, etwa Typ-2-Diabetes oder Morbus Alzheimer. Es sei zudem nur sinnvoll, wenn auch effektive Therapien zur Verfügung stünden, mit denen sich die Progression verlangsamen oder bestenfalls stoppen lasse. So weit sei man heute noch nicht, machte Jäger deutlich. »Doch das wird kommen.« In diese Richtung werde sich die Pharmaindustrie weiterentwickeln und ihre Forschungsaktivitäten ausrichten. Dafür sei ein langer Atem nötig, betonte Jäger. »Das wird kein Sprint.«