Zwischen Begehrlichkeiten und Beständigkeit |
Daniela Hüttemann |
15.09.2025 16:20 Uhr |
Freie Berufe wie Apotheker haben eigene Versorgungswerke. Diese arbeiten nicht mit dem Umlage-, sondern mit dem Kapitaldeckungsverfahren. / © Johnér Images/Lisa Berg
Warum haben die Freien Berufe wie Apotheker, Ärzte, Anwälte und Architekten überhaupt eigene Versorgungswerke für die Altersversorgung? Ganz einfach: Bei der Adenauer’schen Rentenreform 1957 wollte man sie explizit nicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) haben. »Dabei haben sie sogar leidenschaftlich dafür gekämpft.« Daran erinnerte Hans-Georg Möller, Vorsitzender des Verwaltungsausschusses der Apothekerversorgung Niedersachsen, vergangene Woche bei der allgemeinen Mitgliederversammlung der Apothekerkammer Hamburg (die Kammern Hamburg und Sachsen-Anhalt sind an die niedersächsische Apothekerversorgung angeschlossen).
Immerhin wurde den Freien Berufen erlaubt, eigene Versorgungswerke zu gründen, in die auch ihre angestellten Kolleginnen und Kollegen aufgenommen werden, die einen Anspruch auf Befreiung von der GRV bei klassischer Berufsausübung haben.
Warum wollte man die Freien Berufe nicht dabeihaben? Weil sie durch relativ gutes Einkommen zwar höhere Beiträge eingezahlt hätten, im Umlageverfahren der Gesetzlichen Rentenversicherung aber auch höhere Renten rausbekommen hätten – bei deutlich längerer Lebensdauer. Diese Historie sollte man kennen und die Politik gegebenenfalls immer wieder daran erinnern. Denn dies ist auch heute noch prinzipiell ein Grund, der die Versorgungswerke vor einer Einverleibung in die GRV schützt.
Dr. Hans-Georg Möller, Vorsitzender des Verwaltungsausschusses der Apothekerversorgung Niedersachsen / © PZ/Daniela Hüttemann
Möller erklärte noch einmal die Unterschiede: Die Gesetzliche Rentenversicherung ist für abhängig Beschäftigte konzipiert und funktioniert nach Umlageverfahren, Solidar- und Äquivalenzprinzip: Was man einzahlt, wird sofort für die bestehenden Renten wieder ausgegeben. Was man später selbst erhält, soll sich an der Lebensarbeitsleistung orientieren. Die Dynamisierung ist an die Lohnentwicklung gekoppelt.
»Dieses System funktioniert gut bei stabiler demografischer Entwicklung, wie wir sie in den 1950er-Jahren mit den Babyboomern hatten«, erklärte der Apotheker, der selbst zu dieser Generation gehört. Doch schon vor 40 Jahren kippte das System und seitdem war absehbar, dass wir den Punkt erreichen, an dem viele in Rente gehen, nicht mehr einzahlen und teils relativ hohe Rentenansprüche haben, die von weniger Einzahlenden bedient werden müssen. »Man hat bislang alles vermieden, was daran etwas ändern könnte«, bedauerte Möller.
Eine Neiddebatte scheint da unvermeidbar. Man könne den Versorgungswerken jedoch nicht vorwerfen, dass sie gut funktionieren. Möller fand deutliche Worte: »Die Forderung einer »Erwerbstätigenversicherung« ist nichts anderes als der Versuch, ein gut funktionierendes System, das ohne einen Euro Zuschuss auskommt, in Haftung für jahrzehntelange schlechte Rentenpolitik zu nehmen. Darüber hinaus zahlen unsere Mitglieder über Steuern in nicht unerheblichem Umfang auch Zuschüsse für die Gesetzliche Rentenversicherung.«
Die Versorgungswerke arbeiten nicht mit dem Umlageverfahren, sondern mit dem Kapitaldeckungsverfahren. »Was Sie monatlich einzahlen, wird angelegt und erwirtschaftet eine Rendite. Ab dem Renteneintritt wird beides an Sie ausgezahlt. So finanziert bei uns jede Generation ihre eigene Rente und wir haben kein demografisches Problem«, erläuterte Möller. Zusätzliche gebe es Umlagefinanzierungs-Elemente. Möller sprach von hoher Flexibilität und Krisenfestigkeit. Dabei muss die Lebenserwartung für die Deckungsrückstellung berücksichtigt werden.
»Angehörige der Freien Berufe haben eine etwa fünf Jahre höhere Lebenserwartung, wenn sie das Rentenalter erreichen. Sie sind also privilegiert, tun aber auch etwas dafür.« Das werde mittlerweile mit berufsspezifischen Sterbetafeln abgebildet und versicherungsmathematisch berücksichtigt.
Wie sicher sind die Renten aus Versorgungswerken vor politischen Begehrlichkeiten? »Ich kann Sie da zunächst beruhigen«, so Möller. Die Eigentumsgarantie sei durch das Grundgesetz geschützt. Was jedoch passieren könnte, ist, dass die Politik Neuzugänge und das Befreiungsrecht beschneidet. »Beides würde uns stark in Mitleidenschaft ziehen.«
Die Idee der Erwerbstätigenversicherung, die auch Beamte und Selbstständige einschließen will, sei zunächst ein schlüssiger Gedanke, aber schwierig einzuführen, wenn das System kurz vor dem Kollaps stehe, analysierte Möller. »Damit würden die Probleme auch nicht gelöst, sondern mittel- bis langfristig sogar größer.«
Zwar gebe es zunächst hohe Beitragszahlungen, aber in der Folge auch hohe Ansprüche bei der erwähnten deutlich höheren Lebenserwartung dieser Berufsgruppen. »Das ist ein schlechtes Geschäft für die Gesetzliche Rentenversicherung und schützt uns im Augenblick vor einer Vereinnahmung«, glaubt Möller.
Anders könnte es aussehen, wenn das Äquivalenzprinzip aufgehoben würde: Wer mehr einzahlt, hat auch höhere Rentenansprüche. Eine mögliche Umverteilung gehe gerade als »Boomer-Soli« durch die Presse. »Dann würden wir Apotheker weiter hohe Beiträge einzahlen bei deutlich gekürzten Renten und wären ein gutes Geschäft für die Rentenversicherung, allerdings wäre dies ein starker Vertrauensbruch auch für die, die schon lange einzahlen. Das hat hohes Potenzial für den Gang nach Karlsruhe.«
Immerhin: Im Koalitionsvertrag sei klar vereinbart, dass man funktionierende Systeme unangetastet lassen will. »Da stehen auch explizit die Versorgungswerke drin. Daher können wir uns in dieser Legislaturperiode relativ sicher fühlen.« Möller sieht daher keine akute Gefahr für die Versorgungswerke, »wir müssen aber auf den politischen Diskurs achten«.
Es gibt laut Möller 91 berufsständische Versorgungswerke mit 1,2 Millionen Mitgliedern und aktuell 350.000 Rentenempfängern. Jährlich werden 8,5 Milliarden Euro an Renten ausgezahlt. Dem stehen 13 Milliarden Euro Beitragseinnahmen und 12 Milliarden Vermögenserträge gegenüber. Die Vermögensanlage betrage 235 Milliarden Euro.
Die Apothekerversorgung Niedersachsen (mit Hamburg und Sachsen-Anhalt) zähle aktuell 12.166 Mitglieder, die einzahlen, und 3577 Rentenempfänger. 112 Millionen Euro Einnahmen stehen 86 Millionen Euro Auszahlungen gegenüber. »Den Rest legen wir an«, so Möller. Damit bereite man sich auch darauf vor, wenn sich das Verhältnis irgendwann umkehrt.
Im Gegensatz zu anderen Versorgungswerken halte man bei der Apothekerversorgung Niedersachsen am Rechnungszins von 4,0 Prozent fest. 2010 bis 2013 hätte viele den Rechnungszins abgesenkt, was sich nicht auf die Renten, aber die Anwartschaften auswirkt. Eine Absenkung des Rechnungszinses wäre ein großer Eingriff in die Generationengerechtigkeit, meint Möller – »wir würden die Jüngeren benachteiligen«.
Um ihn zu erreichen und bilanzielle Reserven aufzubauen, habe es über neun Jahre keine Dynamisierung der Anwartschaften gegeben; seit drei Jahren werde wieder moderat dynamisiert: Für kommendes Jahr habe die Delegiertenversammlung des Versorgungswerks im Februar für das kommende Jahr eine Dynamisierung von 1,0 Prozent beschlossen.
»Wir müssen über einen langen Zeitraum die zugesagten Leistungen sicherstellen und immer zahlungsfähig sein.« Dazu werde die Versicherungsmathematik ständig angepasst und auch in der Kapitalanlage müsse man flexibel sein. Hier gebe es immer mehr Unwägbarkeiten angesichts Geopolitik, Börsenentwicklung und Inflation.
»Seit die Zinsen so unter die Räder gekommen sind, mussten wir immer mehr Risiken eingehen.« Aber Risiken seien an sich nichts Schlimmes, sondern kalkulierbar. Dafür sorgt auch eine breite Risikostreuung. »Es wäre ein noch größeres Risiko gewesen, für 0 Prozent Zinsen anzulegen.« Die Apothekerversorgung Niedersachsen achte auf eine breite Risikostreuung über alle denkbaren Assetklassen.
Auch diese Schlagzeile nahm Möller auf, um sie zu entkräften. In der Presse war vor allem das Versorgungswerk der Berliner Zahnärzte, aber auch die Apothekerversorgung Schleswig-Holstein und zwei weitere betroffen. Es ging um Verluste bei sogenannten Mezzanine-Finanzierungen im Immobilienbereich im Zuge der Baukrise. »Auch wir haben da investiert, aber mit Maß und Mitte«, so Möller in Bezug auf Niedersachsen, Hamburg und Sachsen-Anhalt.
Die betroffenen Versorgungswerke seien dadurch keinesfalls in Finanznot gekommen, sondern können die Verluste ausgleichen, was nur zulasten der Dynamisierungen gehe. »Die schlechte Presse fällt aber leider auf alle Versorgungswerke zurück. Das können wir aber nicht brauchen in den bevorstehenden Diskussionen«, so Möller und warb für Transparenz und einen sachlichen Diskurs, dem sich die Versorgungswerke stellen müssten. »Das können wir mit gutem Gewissen tun. Sie können Ihrem Eintritt in den Ruhestand materiell gelassen entgegensehen.«