Zweiter Migräne-Antikörper auf dem Markt |
Kerstin A. Gräfe |
02.05.2019 08:00 Uhr |
Möglichst keine äußeren Reize! Hinter dem sachlichen Begriff »Migränetag« verbirgt sich für Patienten und ihre Angehörigen viel Leid. Antikörper wie Galcanezumab sollen es reduzieren. / Foto: Getty Images/Tom Merton
Galcanezumab (Emgality® 120 mg Injektionslösung in einem Fertigpen, Lilly) ist nach Erenumab (Aimovig®, Novartis) der zweite Anti-CGRP-Antikörper zur Migräneprophylaxe auf dem deutschen Markt.
Der Neuling darf wie Erenumab bei Erwachsenen mit mindestens vier Migränetagen pro Monat eingesetzt werden. Galcanezumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG4-Antikörper. Aufgrund seiner Molekülgroße ist es unwahrscheinlich, dass er die Blut-Hirn-Schranke in signifikantem Ausmaß überwindet. Sein Wirkort liegt daher höchstwahrscheinlich außerhalb des ZNS.
Hersteller Lilly vermutet hier vaskuläre oder neuronale Strukturen – etwa die harte Hirnhaut und das trigeminovaskuläre System. Galcanezumab adressiert wie Erenumab CGRP als Target. Während Erenumab jedoch den CGRP-Rezeptorkomplex blockiert, bindet Galcanezumab an CGRP selbst und blockiert dessen biologische Aktivität. Welches Wirkprinzip überlegen ist, ist derzeit unbekannt.
Die Pathophysiologie der Migräne ist nicht vollständig geklärt. Man geht heute davon aus, dass die Erkrankung eine phasenhaft auftretende, komplexe neurologische Regulationsstörung ist, bei der unter anderem neurogene Entzündungsprozesse sowie eine veränderte Schmerzregulation eine Rolle spielen. Im Mittelpunkt der Hypothese steht das trigeminovaskuläre System. Diese anatomische Struktur besteht aus den Nerven, die im zentralen Trigeminuskern in den oberen Rückenmarkssegmenten und des Hirnstamms entspringen, im Ganglion umgeschaltet werden und unter anderem durale und zerebrale Gefäße innervieren.
Da das Gehirn selbst schmerzunempfindlich ist, spielen bei der Entstehung der Kopfschmerzen wahrscheinlich Blutgefäße der Dura mater (harte Hirnhaut) und zerebrale Arterien eine Rolle. Somit ist das trigeminovaskuläre System maßgeblich an der Schmerzentstehung beteiligt. Eine Aktivierung des Systems hat eine Ausschüttung verschiedener Neuropeptide zur Folge. Eine besondere Rolle nimmt hier das CGRP (Calcitonin-Gene-related-Peptide) ein. Es wirkt als potenter Vasodilatator und ist in neuroinflammatorische Prozesse involviert.
Die empfohlene Dosis beträgt 120 mg Galcanezumab einmal pro Monat mittels subkutaner Injektion, wobei die Behandlung mit einer Anfangsdosis von 240 mg (zwei Injektionen am selben Tag) eingeleitet wird. Nach drei Monaten sollte ein Arzt den Behandlungserfolg überprüfen und eine Fortsetzung individuell entschieden werden. Die Patienten können sich Galcanezumab nach entsprechender Schulung selbst injizieren. Appliziert wird der Antikörper subkutan in Bauch, Oberschenkel, dorsal am Oberarm oder in den Gesäßbereich.
Aus Vorsichtsgründen sollte Galcanezumab während der Schwangerschaft nicht angewendet werden. In den ersten Tagen nach der Geburt wird auch stillenden Müttern nicht zur Emgality-Therapie geraten. Falls es klinisch notwendig ist, kann der Arzt danach die Behandlung mit Galcanezumab während der Stillzeit in Betracht ziehen.
Die Zulassung basiert auf drei Phase-III-Studien mit mehr als 2800 Patienten. An EVOLVE-1 und EVOLVE-2 nahmen Patienten mit episodischer Migräne teil, REGAIN schloss Patienten mit der chronischen Form ein. In allen drei Studien erhielten die Patienten entweder einmal im Monat Placebo, 120 mg Galcanezumab (nach einer Anfangsdosis von 240 mg) oder 240 mg Galcanezumab. Der primäre Endpunkt war jeweils die mittlere Änderung der monatlichen Migräne-Kopfschmerz-Tage (MKT) gegenüber dem Ausgangswert.
In EVOLVE-1 und -2 zeigten beide Verumgruppen im Vergleich zu Placebo signifikante und klinisch relevante Verbesserungen. Unter dem Antikörper hatten die Patienten im Durchschnitt 4,7 beziehungsweise 4,3 MKT weniger als vor Beginn der Therapie, verglichen mit 2,8 beziehungsweise 2,3 weniger MKT unter Placebo (p < 0,001). 62 beziehungsweise 59 Prozent der Patienten erreichten eine 50-prozentige Reduktion der MKT, verglichen mit 39 beziehungsweise 36 Prozent unter Placebo (p < 0,001).
In REGAIN hatten die Probanden unter Emgality durchschnittlich 4,8 MKT weniger als vor der Therapie und damit eine signifikant größere Verbesserung als unter Placebo mit einem Rückgang der MKT um 2,7 (p < 0,001). 28 Prozent der Patienten erreichten unter Galcanezumab eine 50-prozentige Reduktion der MKT. Unter Placebo war dies bei 15 Prozent der Fall (p < 0,001).
Als häufigste Nebenwirkungen traten in den Studien Schmerzen oder Hautreaktionen an der Injektionsstelle auf, gefolgt von Schwindel, Obstipation, Juckreiz und Urtikaria. Zur Verträglichkeit bei Patienten mit bestimmten schwerwiegenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegen keine Daten vor, da diese von den klinischen Studien ausgeschlossen waren.
Emgality ist im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C zu lagern. Das Präparat kann ungekühlt bis zu sieben Tage bei bis zu 30 °C gelagert werden.
Galcanezumab ist der zweite Antikörper für die Migräneprophylaxe, der in Deutschland in den Handel kam. Im Vergleich zum bereits seit 2018 verfügbaren Erenumab ist vorläufig kein Vorteil aus den Studienergebnissen abzuleiten. Auch das Einsatzgebiet ist identisch, ebenso das Dosierungsschema. Galcanezumab wird wie Erenumab einmal monatlich subkutan injiziert. Ein geringer Unterschied hinsichtlich des Wirkmechanismus besteht jedoch. Während Erenumab an den CGRP-Rezeptorkomplex bindet, dockt Galcanezumab an den Liganden an. Wünschenswert wäre eine direkte Vergleichsstudie der verschiedenen Anti-CGRP-Antikörper. Vorläufig ist Galcanezumab als Analogpräparat einzustufen.
Sven Siebenand, Chefredakteur