Zwei Ansätze zu Bluttests auf bipolare Störungen |
Theo Dingermann |
30.10.2023 13:28 Uhr |
Blut enthält Biomarker, die Hinweise auf das Vorliegen einer bipolaren Störung geben. / Foto: Getty Images/Adam Gault
Man schätzt, dass 17 Prozent der europäischen Bevölkerung von psychischen Störungen betroffen sind. Etwa 1,3 Prozent der Menschen in Europa leiden an einer bipolaren Störung. Wie schwierig es ist, die Krankheit dieser Patienten korrekt zu diagnostizieren, erkennt man unter anderem daran, dass im Schnitt fast sechs Jahre zwischen dem Auftreten einer bipolaren Störung und ihrer ersten korrekten Behandlung vergehen.
Zwei aktuell beschriebene Ansätze widmen sich diesem Problem und schlagen unterschiedliche Biomarker geleitete Diagnosen vor.
Das Diagnostikunternehmen Synlab kündigte in den vergangenen Tagen mit »myEDIT-B« einen blutbasierten Test für die Differenzialdiagnose zwischen bipolarer Störung und unipolarer Depression an. Dieser CE-zertifizierte molekulare In-vitro-Diagnostik-Test verwendet RNA-Editing-Biomarker. Der Test wurde zusammen mit dem Diagnostikhersteller Alcediag im Rahmen des EU-Förderprogramms EITHealth entwickelt und zunächst im Rahmen einer Pilotphase in Italien eingeführt.
Die wissenschaftliche Basis bildet eine Arbeit aus dem Jahr 2022, die in dem Fachjournal »Translational Psychiatry« publiziert wurde. Ein Forscherteam um Nicolas Salvetat von Alcediag und der kollaborativ privat-öffentlichen Forschungsstruktur Sys2Diag am französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS) in Montpellier identifizierten RNA-Editing-Varianten, die mit einer Depression beziehungsweise mit einer bipolaren Störung korrelierten.
Unter »RNA-Editing« versteht man einen biochemischen Prozess in bestimmten Zellen oder Zellorganellen, bei dem die in den Genen kodierte genetische Information im Laufe der Genexpression abgeändert wird. Die Forschenden konzentrierten sich auf eine bestimmte Form des RNA-Editings, bei der die Basen der RNA chemisch modifiziert werden. Beispielsweise kann durch Desaminieren ein Adenosin (A) in ein Inosin (I) umgewandelt werden.
In einem ersten Schritt identifizierten die Forschenden 646 Positionen in 366 Genen, die bei depressiven Patienten und gesunden Freiwilligen in einer Entdeckungskohorte von 57 Teilnehmern unterschiedlich nach diesem Prinzip (A-nach-I-Modifikation) editiert waren.
Nach einer Analyse der biologischen Signalwege wurden Biomarkerkandidaten aus acht Genen ausgewählt und in einer Validierungskohorte mit 410 Teilnehmern getestet. Die Kombination der ausgewählten Biomarker ermöglichte dann die Unterscheidung zwischen depressiven Patienten (n = 267) und Kontrollen (n = 143). Die Sensitivität dieser Analyse wurde mit 84,0 Prozent und die Spezifität mit 87,1 Prozent ermittelt.
In einem zweiten Schritt differenzierten die Forschenden zwischen den 160 Patienten mit unipolarer Depression und de 95 Patienten mit einer diagnostizierten bipolaren Störung. Danach kristallisierten sich sechs Biomarkern heraus, die eine Differenzialdiagnose der bipolaren Störung mit einer hohen Spezifität von 84,6 Prozent und einer Sensitivität von 90,9 Prozent ermöglichte.
Nach Angaben des Unternehmens Synlab ist es mithilfe des myEDIT-B-Tests möglich, die Diagnose einer bipolaren Störung innerhalb von 24 Tagen zu treffen.
Einen anderen Ansatz zur Verbesserung der Diagnose einer bipolaren Störung wählte ein Forscherteam an der University of Cambridge, Großbritannien. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit wurden jetzt im Journal »JAMA Psychiatry« publiziert.
Dr. Jakub Tomasik und Kollegen konnten an einer Kohorte mit 241 Patienten, die entweder eine bipolare Störung oder eine unipolare Depression hatten, ein typisches Metabolitenprofil in einer getrockneten Blutprobe (DBS) identifizieren, das mit lebenslangen manischen Symptomen korrelierte. Sie entdeckten 17 Biomarker, mit deren Hilfe eine Differenzialdiagnose möglich war. Als stärkster Biomarker erwies sich Ceramid d18:0/24:1. Die Mehrzahl der restlichen Biomarker lässt sich als Lipid-Derivate klassifizieren. Das Metabolitenprofil wurde in einer zweiten Kohorte bestätigt.
Zwar handelt es sich bei diesem Bluttest noch um einen Machbarkeitsnachweis, das heißt ein Diagnostik-Kit steht noch nicht zur Verfügung. Allerdings sind die Daten so vielversprechend, dass an einer Translation in die Klinik mit Hochdruck gearbeitet wird.
»Psychiatrische Beurteilungen sind zwar hochwirksam, aber die Möglichkeit, eine bipolare Störung mit einem einfachen Bluttest zu diagnostizieren, könnte sicherstellen, dass die Patienten gleich beim ersten Mal die richtige Behandlung erhalten, und den Druck auf das medizinische Personal verringern«, sagt Tomasik in einer Pressemitteilung der University of Cambridge.