Zusatzbeiträge könnten schon wieder deutlich steigen |
Lukas Brockfeld |
10.10.2025 16:00 Uhr |
Die GKV hat erhebliche finanzielle Probleme. / © Imago/Wolfilser
Seit Jahren wachsen die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stärker als ihre Einnahmen. Das ist vor allem auf den demografischen Wandel sowie steigende Behandlungs- und Pflegekosten zurückzuführen. Die Bundesregierung will weiter steigende Sozialbeiträge unbedingt verhindern und sucht händeringend nach Maßnahmen zur Stabilisierung der GKV-Finanzen. Erst gestern sorgte eine mögliche Anhebung der Zuzahlungen für Medikamente und Krankenhausbehandlungen für Aufsehen.
Eine neue Prognose der Unternehmensberatung Deloitte zeigt jetzt, dass die Situation der GKV deutlich ernster ist, als bisher von der Bundesregierung kommuniziert. Dazu wurden die Einnahmen und die Ausgaben der Sozialversicherungen bis 2050 prognostiziert. Dabei zeigte sich, dass die Einnahmen der Versicherung pro Jahr um etwa 3 Prozent wachsen dürften, auf der Ausgabenseite wird allerdings ein Ausgabenplus von 4,5 bis 5,2 Prozent pro Jahr erwartet.
Die Methodik der Projektion berücksichtigt neben ökonomischen Faktoren (Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, Inflation) auch die altersabhängigen Kosten des medizinisch-technischen Fortschritts. Die genannten Zahlen basieren auf der Annahme, dass die Kosten medizinischer Innovationen im Prognosezeitraum deutlich stärker steigen als in der Vergangenheit, insbesondere durch personalisierte Therapien, Adipositas-Medikamente und die Behandlung von neurologischen Erkrankungen.
Die Entwicklung der GKV-Ausgaben hätte schon im kommenden Jahr spürbare Konsequenzen. Laut der Autoren werden den Krankenkassen 2026 rund 56 Milliarden Euro fehlen, die durch Zusatzbeiträge oder Steuerzuschüsse ausgeglichen werden müssen. Um eine Unterdeckung in dieser Höhe auszugleichen, müsste der durchschnittliche Zusatzbeitrag demnach im Vergleich zum Vorjahr um 0,4 Prozentpunkte auf 2,9 Prozent steigen. Schon zum Jahreswechsel 2024/25 wurden die Zusatzbeiträge deutlich erhöht. Die Bundesregierung hat seitdem immer wieder betont, dass es keine weitere Anhebung geben soll.
Die Prognose für die kommenden Jahre sieht noch düsterer aus: Im Jahr 2030 würden der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) laut der Projektion 87 Milliarden Euro fehlen. Nach Einschätzung der Studienautoren würden die laut Koalitionsvertrag geplanten Maßnahmen das Defizit nur in begrenztem Umfang verringern.
Doch das wäre nur der Anfang. In der Projektion würde die jährliche Unterdeckung der gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2050 ganze 565 Milliarden Euro betragen – und das nur, wenn die von der Koalition geplanten Maßnahmen vollständig umgesetzt werden. Ohne die beabsichtigten Strukturreformen zur Stärkung der Digitalisierung, zum Bürokratieabbau oder zur Weiterentwicklung der Krankenhäuser würden sogar 615 Milliarden Euro fehlen.
Beitragssteigerungen sind in diesem Szenario kaum zu vermeiden. Bei einer Unterdeckung von 565 Milliarden Euro in 2050 ist nach Deloitte-Berechnungen ein durchschnittlicher Beitragssatz von 28,7 Prozent nötig, damit die gesetzlichen Krankenkassen ihre Ausgaben decken können. Aktuell liegt der von den Krankenkassen erhobene durchschnittliche Beitragssatz laut Bundesgesundheitsministerium bei 17,5 Prozent.
Angesichts dieser verheerenden Prognose empfehlen die Autoren drastische Maßnahmen. »Dass Strukturreformen und eine Einsparung von 50 Milliarden Euro langfristig nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sind, zeigt, wie dramatisch die Situation der gesetzlichen Krankenkassen ist«, sagt Gregor Konstantin Elbel, verantwortlicher Partner für den Bereich der Kostenträger und gesetzlichen Krankenkassen bei Deloitte. »Es ist Zeit, das Bismarck‘sche Gesundheitssystem hinter uns zu lassen und Gesundheitsversorgung in Deutschland völlig neu zu denken.«
Die bisher diskutierten Maßnahmen, beispielsweise eine deutliche Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, reichten nicht aus und seien außerdem politisch schwer umzusetzen. »Wir können nur mit einer deutlich gesünderen Allgemeinheit innovative Medizin für unsere alternde Gesellschaft finanzieren«, erklärt Elbel. »Dazu gehören Anreize wie die Besteuerung von ungesunden Produkten. Aber auch die Maßnahmen von Ärztinnen und Ärzten, Krankenhäusern und Pharmaherstellern müssen stärker auf Prävention ausgerichtet und entsprechend vergütet werden.«